
Debatte über Mundschutz Eiertanz statt Maskenball


Menschen mit Gesichtsmasken in Bogota
Foto: JUAN BARRETO/ AFPIm Nationalen Pandemieplan der Bundesrepublik Deutschland finden sich drei Seiten über Kommunikation . Diese wird als "wesentlicher Bestandteil" der Vorbereitung und Bewältigung einer Pandemie bezeichnet. Denn "effektive Risiko- und Krisenkommunikation … wird im Pandemiefall mitentscheidend dafür sein, die Auswirkungen einer pandemischen Situation beherrschbar zu halten und den Krisenfall zu bewältigen." Das Ziel ist, "einen kontinuierlichen und konsistenten Informationsfluss aller Beteiligten zu gewährleisten, der Bevölkerung schnellstmöglich das erforderliche Wissen zum Schutz vor einer Erkrankung zu vermitteln und sie zum Selbst- und Fremdschutz zu motivieren." Der Plan beschreibt auch, was dazu notwendig ist: "Deshalb sollten schon vor der Krise im Rahmen der Pandemiepläne Management- und Kommunikationspläne bereitstehen … sowie Botschaften formuliert und getestet worden sein."
Es geht in dieser Analyse weniger um Schuldzuweisung, sondern um eine nüchterne Bestandsaufnahme: Wie gut funktioniert die Kommunikation nach Pandemieplan bisher? Und zwar anhand der Äußerungen von relevanten politischen Stellen, Massenmedien und Fachleuten, samt ihrer Wirkung. Dafür bietet sich aus kommunikationsanalytischer Sicht das Thema "Masken" an. Denn Masken sind medial sichtbar, physisch greifbar und weltweit zu einem Symbol der Viruskrise geworden. Am 28. Januar schreibt der WDR :
"Sollten sich alle Bürger Atemschutzmasken zulegen? Nein, das ist laut RKI unnötig. So sieht das auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) … Das Tragen von Masken könnte den Schutz sogar verringern: Das Robert Koch-Institut gibt zu bedenken, dass Träger einer Maske sich damit so sehr geschützt fühlen könnten, dass sie andere Präventionsmaßnahmen vernachlässigen."
Das ist eine strukturell alte, oft wiederkehrende Argumentation, schon bei der jahrelangen Debatte über die Gurtpflicht waren ähnliche Töne zu hören: Wer angeschnallt ist, fahre dann völlig verantwortungslos, weil er das "Gefühl (hat), … unverwundbar zu sein" ("Die Zeit", 1982) . Diese Argumentation beruht einerseits auf einem schwierigen, weil zu eindimensionalen Menschenbild und andererseits auf Misstrauen gegenüber professioneller Kommunikation. Man nimmt damit implizit an, es sei unmöglich, Gurt oder Maske zu empfehlen, ohne andere Maßnahmen zu schwächen. Das ist heute noch falscher als früher. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagt am 30. Januar der "Bild"-Zeitung :
"Ein Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist." Die "Bild"-Zeitung übersetzt: "Bedeutet: Eine Maske bietet keinen zusätzlichen Schutz."
Aus heutiger Sicht kann man diese Äußerungen als Fake News empfinden. Das Virus ist über mit dem Atem ausgestoßene Tröpfchen übertragbar, und Masken bieten zusätzlichen Schutz. Hier ist eine Sollbruchstelle von Krisenkommunikation erkennbar: Die Öffentlichkeit sehnt sich nach verlässlichen Informationen, aber in einer neuen, eskalierenden Krise können sich Erkenntnisse schnell verändern. Eine der wichtigsten Grundregeln der Krisenkommunikation lautet daher, wenn irgend möglich zukunftsfähig zu kommunizieren, sodass man nicht ständig zurückrudern oder sich korrigieren muss. Sonst wird die Grundlage für die meisten Formen der Kommunikation beschädigt: Vertrauen.
Die Einschätzung des Robert Koch-Instituts vor der aktuellen Pandemie war eindeutig: Masken nur für Fachpersonal und Infizierte. Die Bundesregierung erklärt den Grund am 24. Februar :
"Demnach gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis darüber, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit vor Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus schützt."
Der für die öffentliche Information zur Coronakrise essenzielle NDR-Podcast mit dem Virologen Christian Drosten schlägt in die gleiche Begründungskerbe:
"Für dieses Tragen von Atemschutzmasken in der normalen Umgebung durch den Normalbürger - da gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, dass das irgendeinen Nutzen hat oder irgendeinen Schutz bietet. "(27. Februar) "Die Bevölkerung muss sich keine Atemschutzmasken kaufen. Es gibt keine Evidenz dafür. Wir haben keinerlei Hinweis, dass das helfen könnte. " (28. Februar)
Noch am 19. März twittert die Tagesschau : "Laut Gesundheitsministerium gibt es nur zwei Fälle, in denen das Tragen einer Schutzmaske sinnvoll ist" - wiederum bereits Infizierte und Fachpersonal. Aus kommunikationsstrategischer Sicht ergibt sich mit diesem großen Konsens (Politik, Massenmedien, Fachleute) der Ablehnung von Massenmasken eine kognitive Dissonanz, es entstehen also zwei widersprüchliche Reize für das Publikum. Einerseits sagen die Verantwortlichen, die breite Verwendung von Masken sei nicht notwendig. Andererseits sind die Massenmedien voll mit Bildern aus Ostasien, wo buchstäblich Milliarden Menschen Masken tragen. Aus solchen kognitiven Dissonanzen können ganze Zweifelswelten entstehen, weil Menschen diese Irritation nicht gut aushalten und daher auflösen wollen.
Zugleich läuft die politische Kommunikation in liberalen Demokratien seit Jahren in eine gefährliche Falle: Im 20. Jahrhundert waren Existenz und Instrumentalisierung von Herrschaftswissen eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht ging es im massenmedialen Zeitalter kaum anders. Im 21. Jahrhundert dagegen ist der Informationswunsch einer digital vernetzten Öffentlichkeit größer, unerbittlicher und transparenzsüchtiger als je zuvor - und allergisch gegen (gefühltes) Herrschaftswissen. Konkret bedeutet das: Die kognitive Dissonanz wird aufgelöst mit der Vermutung, dass Masken zwar eigentlich schützen - aber aus taktischen oder politischen Gründen trotzdem nicht empfohlen werden.
Diese Vermutung ist leider nicht völlig aus der Luft gegriffen, immer wieder taucht von relevanten Stellen eine bestimmte Erzählung auf: Eine zu große private Nachfrage nach Masken würde zum Mangel im Gesundheitssystem führen. Das ist technisch korrekt, aber erzeugt eine weitere kognitive Dissonanz, die noch stärker ist. Sie findet sich in beinahe kristalliner Form bei der Pressekonferenz von Spahn am 11. März :
"Auch der klassische OP-Mundschutz, den viele tragen, schützt sehr überschaubar, um es so zu formulieren … OP-Masken sollten vor allem für diejenigen da sein, die sie für ihre tägliche Arbeit zum Schutz für uns alle brauchen. Das sind zuvörderst Ärzte und Pflegekräfte."
Dieser Kontrast irritiert: Wie kann es gleichzeitig sein, dass OP-Masken kaum schützen sollen - aber als Schutz für Ärzte und Pflegekräfte notwendig sind? Darauf gibt es tatsächlich sinnvolle Antworten, etwa die Verwendungssituation und die Gefährdungslage. Aber im Fall einer Pandemie muss man Kommunikation vor allem anhand ihrer Wirkung beurteilen - und nicht anhand einer theoretischen Erklärbarkeit. Auf diese Weise wird die Erzählung begünstigt, dass Masken zwar schützen, aber weil es keine gäbe, würde die Bundesregierung eben lügen. Die Wahrheit ist schon wegen der Forschungslage komplizierter, aber es ist nachvollziehbar, wie der Eindruck der politischen Notlüge in der Öffentlichkeit entstanden ist. Fachleute drängen die Politik seit Jahren, Maskenvorräte anzulegen. Geschehen ist das nicht, das verstärkt das Gefühl ungenügender Pandemievorbereitung, die jetzt mit problematischer Kommunikation verdeckt werden solle.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
Auch im Podcast mit Drosten ist wegen des gigantischen Publikumsinteresses immer wieder die Rede von Masken: "Eine letzte Frage …, die uns massiv immer noch und immer wieder erreicht von Hörern, ist die Frage nach Atemschutzmasken." Im bearbeiteten Podcast-Transkript vom 17. März steht als zusammenfassende Zwischenüberschrift : "ATEMSCHUTZMASKEN HELFEN WENIG". Drosten selbst äußert sich viel differenzierter, aber hier ist wiederum mustergültig ein medialer Mechanismus zu erkennen, der Krisenkommunikation erschwert. Medien wollen und müssen erklären, vereinfachen, einordnen, und eines der Instrumente dafür ist die Zuspitzung. Die ist manchmal für die Vereindeutigung notwendig - aber genau dieser Wunsch nach Klarheit und Plakativität kann in heftigen Konflikt mit der Realität geraten, wenn der weitere Krisenverlauf schwer einschätzbar ist. Wissenschaft hat das Privileg des ständigen Zweifelns - aber das Publikum verlangt Eindeutigkeit, und zwar gefälligst genau jetzt! Dieses Spannungsfeld ist nur schwer aufzulösen, und dabei passieren Fehler.
Solche Fehler finden leider auch abseits der Masken-Kommunikation statt, in nicht mehr akzeptablem Ausmaß. Am 14. März twittert das Bundesgesundheitsministerium :
"!!Achtung Fake News!! Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit / die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT! Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen."
Es ist schwer, klarer, eindeutiger und wuchtiger zu kommunizieren. Leider wird diese Aussage zum Vertrauensdebakel, weil zwei Tage später, am 16. März 2020, Angela Merkel nichts anderes verkündet als massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens . Wie soll man dem Twitter-Kanal des Gesundheitsministeriums in Zukunft Vertrauen schenken? Eine ähnliche Fehlkommunikation findet auch über den Sprecher von Spahn statt . Beides beschädigt das Vertrauen in den Absender erheblich. Der Schaden wird auch deshalb größer, weil Fehlerkultur ohnehin keine deutsche Stärke ist - in der politischen Landschaft aber noch weniger.
Interessanterweise lässt sich am Beispiel Drosten erkennen, wie aus Fehlern sogar ein Vertrauensvorteil entstehen kann. Der Virologe hatte zunächst gegen Schulschließungen argumentiert - dann aber erklärt, dass er das für nicht mehr richtig halte. Samt Beschreibung, wie er durch Diskussionen zur neuen Auffassung gekommen sei. Die Resonanz ist überwältigend positiv: Es gibt kaum stärkere Instrumente für den Vertrauensaufbau als den transparenten, offenen und erklärenden Umgang mit eigenen Fehlern. Das Publikum bekommt das Gefühl, dass in Zukunft Fehler korrigiert werden, was das Vertrauen in die Richtigkeit aller anderen Aussagen stärkt. In eine kommunikationsstrategische Planung gehört der professionelle Umgang mit Fehlern, leider war davon bisher wenig zu sehen. Insbesondere in Sachen Masken.
Aus der interessierten Öffentlichkeit mehren sich im März die Stimmen, die einen anderen Umgang mit Masken fordern. Einerseits gibt es unterdessen auch europäische Länder, die die Massenmaske entdeckt haben. Andererseits hat die Politik unterschätzt, wie groß der Wunsch des Publikums ist, etwas beitragen zu können, um der eigenen Hilflosigkeit zu begegnen. Masken sind hierfür perfekt geeignet, weil man sie selbst herstellen und jeden Tag verwenden kann. So entsteht das Gefühl, selbst aktiv Teil der Lösung zu sein, wodurch sich als Nebeneffekt Extremsituationen besser bewältigen lassen. Deshalb entstehen viele private Projekte wie maskeauf.de oder maskezeigen.de, die zur Herstellung und dem Masseneinsatz privater Masken aufrufen. Virologe Alexander Kekulé sagt dazu im ZDF :
"Ich finde es ganz fürchterlich, dass das Robert Koch-Institut immer noch daran festhält, dass diese Masken nichts brächten. Das stimmt nicht: Erst einmal schützt man andere. Zum anderen schützt man sich selbst."
Erst Ende März ändert sich die zuvor abwehrende Kommunikation der Verantwortlichen zu den Masken für die vielen. Bundesgesundheitsminister Spahn twittert am 31. März :
"Ob selbst genäht oder im Handel erworben: Community-Masken reduzieren das Risiko, andere anzustecken. Wer sie trägt, schützt andere. Sie bieten jedoch keinen medizinischen Schutz vor Ansteckung. #coronavirus"
Es ist ein cleverer Schachzug, hier halboffiziell einen eigenen Namen einzuführen: "Community-Masken". Die Debatte litt von Anfang an darunter, dass verschiedene Masken mit sehr unterschiedlichen Funktionen in einen kommunikativen Topf geworfen wurden. Eine klarere Differenzierung hätte viele Probleme wahrscheinlich reduzieren können. Zwischenzeitlich sind die ersten auf das Coronavirus bezogenen Studien erschienen, die bestätigen, was einzelne Fachleute schon länger sagen: "Jede Maske ist besser als keine Maske." (Walter Popp, Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene). Anfang April 2020 ändert auch das RKI seine öffentliche Haltung, die "Tagesschau" titelt :
"Corona-Schutz: Auch RKI empfiehlt nun allen eine Maske - Lange hatte das RKI nur Menschen mit einer Atemwegserkrankung geraten, in der Öffentlichkeit einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Nun ändert die Behörde ihre Einschätzung."
Diejenigen Länder, die am sichtbarsten mit Massenmasken umgegangen sind - China, Singapur, Taiwan, Japan - haben nach bisherigen Erkenntnissen die Pandemie auch am besten eingrenzen können. Das ist keine zwingende Kausalität, sondern zunächst nur eine Korrelation. Aber man hätte aus der panasiatischen Bestürzung angesichts der Maskenlosigkeit in Europa und Amerika trotzdem lernen können. Die verschiedenen asiatischen Gesellschaften heben kollektive, soziale Werte im Schnitt stärker hervor, während europäische und nordamerikanische Gesellschaften den Wert der Individualität stärker betonen. Deshalb lautet die zentrale Maskenfrage in Japan oder Taiwan: Was bringt eine Maske der Gesellschaft? In Deutschland oder den USA lautet sie: Was bringt eine Maske mir? Tatsächlich ist der wissenschaftliche Stand, dass die Maske viel eher andere schützt als einen selbst. Vielleicht ist das westliche Maskenproblem letztlich eines von zu großer Ichbezogenheit, wo es in Zeiten der Pandemie eigentlich um alle geht. Gerade bei der Kommunikation.
Denn Masken sind immer auch kommunikative Symbole, sie zeigen öffentlich: Achtung, hier ist etwas Besonderes im Gang! Massenmasken dienen als Zeichen der kollektiven Dringlichkeit, sie vermitteln wie Tausende Ausrufezeichen bei jeder Begegnung, wie massiv diese Krise ist. Das Erleben der Menschen im Alltag ist ein oft unterschätzter Faktor bei der Wirkung von Kommunikation. Solche Verhaltensänderungen öffentlich zu illustrieren - etwa Merkel mit Maske bei der Videoansprache im Kanzleramt - hätte starken Signalcharakter. Am 6. April schließlich sagt die Bundeskanzlerin :
"Am Anfang gab es mehr Zurückhaltung zu diesen Masken, zu den Alltagsmasken, wenn ich das jetzt einmal so sagen darf. Jetzt wandelt sich auch die Meinung der Experten, und der werden wir uns natürlich nicht entgegenstellen."
Im Nachhinein ist man immer klüger, und die nachträgliche Analyse ist bedeutend einfacher als eine funktionierende Planung vorher. Zudem scheint die Bewältigung der Coronakrise in Deutschland besser politisch organisiert zu werden als in den meisten anderen Ländern. Aber was die Kommunikation angeht, ist es etwas billig, dem Meinungswandel der Experten (die man zum Gutteil auch selbst ausgewählt hat) die Verantwortung für die nicht wenigen Fehler zuzuschieben. Wenn ich das jetzt einmal so sagen darf.