Drohende EU-Klage Regierung will Datenschützer in die Freiheit entlassen

CDU-Politikerin Voßhoff: Künftig Chefin einer obersten Bundesbehörde
Foto: DPA/ CDU/CSU-Fraktion im Deutschen BundestagSpätestens seit der NSA-Affäre verweisen Politiker und Manager gern und stolz auf den hiesigen Datenschutz: Höchster Standard! Beste Gesetze! Standortvorteil! Fast könnte man vergessen, dass Facebook, Google und Geheimdienste sich davon eher unbeeindruckt zeigen - und dass eine längst überflüssige Reform die angeblich so mustergültige Datenschutzaufsicht schwächen könnte.
Auf Druck der EU-Kommission will die Bundesregierung die Datenschutzbehörde nun endlich vom Innenministerium abkoppeln. Seit 1995 ist die Unabhängigkeit zwar vorgeschrieben - schließlich sollen die Datenschützer der Exekutive mit ihren Geheimdiensten auf die Finger schauen. Doch bisher hat sich Deutschland davor gedrückt.
Noch kommen die knapp 100 Mitarbeiter von Andrea Voßhoff, der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, aus dem Personalpool des Innenministeriums. Dort liegt auch die Dienstaufsicht, und häufig wechseln Mitarbeiter zwischen den Häusern. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Auch wenn Voßhoff offiziell niemand hineinredet: Echte Unabhängigkeit sieht anders aus. Peter Schaar, ihr Amtsvorgänger, sagt: "Mitarbeiter haben zu hören bekommen, dass sich zu viel Kritik am Innenministerium nicht gehöre, man sei ja schließlich Teil des Hauses. Da musste ich dann deutliche Worte sprechen." Weniger subtil wurde in den Achtzigerjahren ein besonders hartnäckiger Geheimdienst-Aufseher vom Innenministerium aus dem Amt gemobbt . Außerdem ist die Regierung für die Rechtsaufsicht zuständig.
Überwachung vor, Datenschutz kann warten
Das soll sich ändern. Die Regierung will in den kommenden Tagen offenbar ein Gesetz auf den Weg bringen , damit Voßhoff Chefin einer eigenständigen obersten Bundesbehörde wird. Nur Parlamente und Gerichte sollen sie künftig noch kontrollieren.
Ein überfälliger Schritt. Bereits 2010 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Datenschützer der Bundesländer von den Fesseln der Exekutive befreit gehören. Auch die Länder hatten sich vor einer Umsetzung der EU-Richtlinie gedrückt. Weil auf Bundesebene jedoch alles weiterging wie gehabt, beschwerte sich die Netzaktivistin und Piraten-Politikerin Katharina Nocun Anfang 2013 bei der EU-Kommission .
Mehr als ein Jahr und eine weitere Beschwerde später gab es nur eine knappe Antwort: Es werde umfassend geprüft, schreibt die Generaldirektion Justiz. "Dabei ist der Fall eindeutig. Seit mehr als 20 Jahren wird hier geltendes EU-Recht nicht umgesetzt", sagt Nocun. "Statt den Datenschutz zu stärken, haben Brüssel und Berlin sich in den letzten Jahrzehnten lieber mit dem Durchboxen neuer Überwachungsspielzeuge befasst."
Ausgerechnet bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung hatte die EU-Kommission sich mächtig ins Zeug gelegt. Weil Deutschland es gewagt hatte, bei der Umsetzung der mittlerweile aus Datenschutzgründen wieder gekippten EU-Richtlinie zu zögern, klagte die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof. Überwachung duldet offenbar keinen Aufschub, der Datenschutz hingegen kann warten.
Schwächung der Datenschutzaufsicht
Nun soll es endlich so weit sein. Doch Voßhoffs neue Unabhängigkeit hat einen Haken. "Ohne personelle Aufstockung führt das de facto zu einer Schwächung der Datenschutzaufsicht, weil sich die Behörde nun um Personalführung und andere organisatorische Dinge selbst kümmern muss", sagt Schaar. In der Behörde ist dieses Problem bekannt. Offiziell äußern will man sich derzeit dazu aber nicht - die Verhandlungen laufen noch.
Ob es aber mit ein paar zusätzlichen Planstellen für die eigene Verwaltung getan ist, scheint ohnehin fraglich. Denn die Aufgaben der Datenschützer nehmen zu: Behörden und Sicherheitsapparat haben Datenhunger, Europa sucht gemeinsame Datenschutzstandards, und die Digitalisierung in allen Lebensbereichen - von intelligenter Stromversorgung bis hin zum Internet der Dinge - wirft grundsätzliche Fragen auf.
Wer kann auf gespeicherte Daten zugreifen? Was darf überhaupt gesammelt und ausgewertet werden? Was passiert, wenn eine Behörde oder ein Unternehmen Mist baut? Schaar, der im Februar nach zehn Jahren aus dem Amt schied, fürchtet eine Begrenzung auf das Mindestmaß: "Es kommen keine zusätzlichen Befugnisse und keine wirksamen Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen hinzu."
Die Unabhängigkeit der obersten Datenschützerin, Hoheit über Personal und Kopierer, ist das eine. Ihre Befugnisse sind das andere. Wie ernst es die Politik wirklich mit dem viel gelobten deutschen Datenschutz meint, kann sie in den kommenden Monaten unter Beweis stellen.