De Maizières Internetagenda Netzvater unser

Innenminister de Maizière (Archivbild): Bruch mit der Schäuble-Tradition
Foto: ddpBerlin - Thomas de Maizière steht vor einer blankgeputzten Lokomotive in einem Schuppen des Deutschen Technikmuseums in Berlin. Der Innenminister spricht über die Zukunft, über die Rolle des Staats im Internet. Dazu braucht es eine gewichtige Kulisse.
Noch immer hadert die Politik oft mit dem Internet, handelt oftmals gar nicht oder unzureichend, manchmal auch hektisch und überzogen. Das führte zum Erfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl, zu Massenprotesten gegen Kinderporno-Sperren, zur Schlappe mit der Vorratsdatenspeicherung vor dem Verfassungsgericht.
"Das Phänomen Internet haben wir lange genug erst ignoriert, dann teils unterschätzt, teils überschätzt und vor allem bestaunt", sagt de Maizière zu Beginn seiner Rede. Damit will er aufräumen, es wird grundsätzlich. Es geht um einen Handlungsrahmen für die nächsten Jahre. Nachdem Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Mitte Juni ihre Ideen zu einer Reform des Urheberrechts präsentierte, nun also der Innenminister mit seiner Lokschuppenrede. Zur Vorbereitung hat de Maizière sich Expertenrat geholt. Bei diesen "Netzdialogen", vier davon gab es bisher, trafen Netzaktivisten auf Beamte, Unternehmer und Juristen.
Selbstregulierung und Rücksichtnahme
Es gab einiges zu besprechen. Als Zwischenergebnis präsentierte der Minister am Dienstagmittag 14 Thesen zu den Grundlagen einer Netzpolitik (siehe Kasten linke Spalte). Die stehen nun zur Diskussion im Netz, im Herbst sollen weitere Veranstaltungen folgen. De Maizière setzt vor allem auf das bestehende Recht und appelliert an gegenseitige Rücksichtnahme und eine Selbstregulierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Erst wenn das nicht funktioniere, müsse der Staat aktiv werden. "Übertriebener Schutz bedeutet zugleich immer auch Bevormundung."
Der Minister vertritt damit eine liberale Haltung, setzt auf Ausgleich und Dialog. Seine Thesen sind pragmatisch, größtenteils wenig überraschend. "Eine Herangehensweise, die das Internet ausschließlich als Sicherheitsrisiko betrachtet und in erster Linie Misstrauen gegen den Bürger hegt, kann nicht Ausgangspunkt unseres staatlichen Handelns sein." An Internetsperren und Vorratsdatenspeicherung hält er gleichwohl fest.
Gerade berate der Bundesrat über einen Gesetzentwurf, der es Google verbieten könnte, ganze Straßenzüge zu fotografieren. Das hält der Minister nicht für den richtigen Weg. "Bei einer solchen Einzelfallgesetzgebung würden wir bald hoffnungslos hinterherhinken. Das Recht wäre dann weder technikneutral noch entwicklungsoffen." Auch, weil Blogger bereits angekündigt haben, fehlende Bilder einfach in Eigenregie zu knipsen. Die Datenmacht, so de Maizière, liege spätestens seit dem Web 2.0 nicht nur bei Unternehmen und Staaten, sondern auch bei jedem einzelnen Nutzer.
Anonyme Schmähungen frei zum Löschen
Angesichts dieser "Datenmacht" fordert er ein "privates Darstellungsrecht", ähnlich der Gegendarstellung in der Presse, damit sich Einzelne gegen "Falsches oder Ehrenrühriges" im Internet zur Wehr setzen können. Betreiber von Suchmaschinen sollten gezwungen werden, "die eigene Darstellung auf Platz eins einer Trefferliste zu setzen".
Außerdem fordert der Minister einen Anspruch gegenüber Providern auf das Löschen von anonymen Schmähungen. Wer sich nicht zu erkennen gebe und öffentlich verletzende Äußerungen verbreite, "darf sich über eine Löschung nicht beschweren". Der Staat müsse einen Rahmen setzen, damit jeder Einzelne im Internet seine Freiheit ausüben könne - gleichzeitig müsse für einen Ausgleich zwischen konkurrierenden Freiheiten gesorgt werden.
Eine vollständige Anonymität im Internet lehnt er ab. Dazu brauche es eine Vorratsdatenspeicherung, Internetnutzer müssten nötigenfalls als konkrete Menschen zu erkennen sein. "Das Grundprinzip des Unbeobachtseins der alltäglichen privaten Lebensgestaltung muss dabei im Internet ebenso gewahrt sein wie Sanktionen gegen schwere Rechtsverletzungen", so de Maizière.
"Freilich nicht überdehnt"
Ein komplett neues Internetgesetzbuch hält er für überflüssig. Viele Phänomene des Internets seien bereits jetzt zufriedenstellend geregelt. "Wir sollten daher stets versuchen, zunächst eine Analogie zur Offline-Welt zu bilden", so der Minister. Der Staat habe aber auch das Recht und die Pflicht, in Internetdienste und -nutzungen einzugreifen. Es müsse diskutiert werden, ob bestimmte Dienste im Internet eine Genehmigung voraussetzen sollten. Als Beispiele nannte er Medikamentenhandel, Ortungsdienste, Kreditvermittlungsplattformen und anonyme Finanzdienstleister.
Auch zur politischen Willensbildung könne das Internet beitragen, aber natürlich nur zusätzlich. "Dabei dürfen die Erwartungen freilich nicht überdehnt werden." Ein Satz, der stellvertretend für die Grundsatzrede von de Maizière steht. Noch ein Beispiel: Der Ausbau von Breitbandnetzen, der natürlich vom Staat gefördert werde, aber zuvorderst in der Verantwortung der Unternehmen liege. Immer bemüht sich de Maizière um einen konzilianten Tonfall, will zeigen, dass er zugehört hat.
Chaos Computer Club lobt und kritisiert
"Die Rede des Ministers war ja nun voller Fragen und Konjunktive", sagt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. Sie lobte bei der anschließenden Diskussion der Lokschuppenrede, dass es in vielen Punkten einen Konsens gäbe. Unter Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble sei das nicht denkbar gewesen. Sie kritisierte aber sein Eintreten für das ihrer Meinung nach technisch unzulängliche Internetsperrgesetz gegen Kinderpornografie.
Außerdem habe der Minister keine Antwort darauf gegeben, wie der Staat das vom Verfassungsgericht eingeforderte Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstellen wolle. Stattdessen habe er die Vorratsdatenspeicherung als unumgänglich bezeichnet, das sei aber ein Widerspruch. "Darauf hat das Innenministerium bisher keine Antwort."