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Stream-Piraten: Protest gegen kino.to-Abschaltung

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Demo gegen Urheberrechte "Wir alle schauen kino.to"

Auf kino.to guckten sie illegal kopierte Filme und Serien, nun protestieren sie gegen die "Content-Mafia" und den "Hollywood-Dreck": In Dresden haben am Donnerstagabend junge Aktivisten gegen die Abschaltung des Raubkopie-Verzeichnisses demonstriert.
Von Rick Noack

"Der deutsche Staat hat zum Schlag gegen das Internet ausgeholt", sagt der 20-jährige Christian Knauth. Zusammen mit rund 40 anderen Jugendlichen hat er sich am Donnerstagabend vor dem Gebäude der Dresdner Staatsanwaltschaft versammelt, um gegen die Abschaltung der Raubkopie-Plattform kino.tozu demonstrieren. Im Palast dort sitzen die Feinde, die freien Bürger des Internets stehen davor, so sehen sie das hier. "Unser Internet lassen wir uns nicht wegnehmen", brüllt Knauth ins Megafon, passend zum in die Höhe gehaltenen Schild "Stop Streaming, Start Screaming".

Auch Anton Schellong will das Internet retten, aber ihm fehlen noch ein paar Pappschilder. "Kann sich hier noch jemand dazwischenstellen?", ruft der Dresdner Physikstudent und Protest-Organisator der im Gras sitzenden Menge entgegen. Zusammen mit rund 40 anderen Jugendlichen hat er sich am Donnerstagabend vor dem Gebäude der Dresdner Staatsanwaltschaft versammelt, um gegen die Abschaltung der Videoplattform kino.to zu demonstrieren.

Die jungen Aktivisten applaudieren. "Nieder mit der Content-Mafia, nieder mit der Content-Mafia", rufen sie. Die Abschaltung von kino.to ist nur der Anlass für den Protest. Das Ziel der Demonstranten ist eine Änderung der Copyright-Gesetze. Zu der "Content-Mafia" gehören all jene, die mit dem Copyright Geld verdienen. Hollywood-Produzenten zum Beispiel.

Pappschilder gegen Staatsanwälte

Aber auch die Betreiber von kino.to, die durch den Betrieb von Filehostern und Werbung hohe Einnahmen erzielt haben sollen. Die versammelten Dresdner Internetaktivisten stört das weniger: "Es ist doof, dass kino.to offline ist." So fasst es zumindest die 14-jährige Mascha zusammen. Ihre Mama fände die Abschaltung im übrigen auch blöd, weil sie dort gern Serien geschaut habe, sagt die junge sächsische Realschülerin und fügt lächelnd hinzu: "Ich habe aber schon ein neues Portal gefunden, wo ich meine Filme kostenlos schauen kann."

Es ist ein bunt gemischtes Häufchen, das sich da vor der mächtigen Sandstein-Fassade  der Dresdner Staatsanwaltschaft versammelt hat. Ein Vater ist mit seinem Baby gekommen, Jugendliche sitzen im Gras und trinken Bier, die eingefleischten Internetfans haben weißen Guy-Fawkes-Masken mitgebracht, die sie trotz des warmen Wetters tapfer aufsetzen. Auf den Masken tragen sie Sonnenbrillen, denn das sieht cooler aus. Guy Fawkes scheiterte 1605 mit dem Versuch, den englischen König umzubringen. Noch heute werden Fackelzüge für Fawkes veranstaltet - die Internet-Guerilla Anonymous hat die Masken zu ihrem Markenzeichen erkoren.

Dass die Copyright-Demonstration von diesem Donnerstag ähnlich lange in Erinnerung bleibt, ist nicht zu erwarten. Die einzige offizielle Reaktion auf die Proteste übermittelt ein Polizeibeamter: Der Gerichtspräsident fordert, dass die Demonstranten die Piratenflagge, die auf der Wiese weht, abnehmen. An solch einem historischen Ort sei ein Totenkopf nämlich nicht angemessen. Und so rollen die Aktivisten ihre Flagge eben brav wieder ein. Sie haben ja noch ihre beschrifteten Pappschilder.

Sorgfältig malt Mr. Bean auf einem davon das Wort "Zensur" aus. "Auf kino.to wurden doch lediglich Links bereit gestellt und keine Videodateien gespeichert. Es ist nicht fair, dass man ein Suchverzeichnis illegalisiert", sagt der 20-jährige, der eigentlich Tischlerlehrling ist und auch nicht Mr. Bean heißt. Unruhig dreht er seinen schwarzen Filzstift in der Hand hin und her. Was man jetzt tun könne? "Wir können die Filmindustrie boykottieren. Ich gehe jedenfalls nicht mehr ins Kino", sagt Mr. Bean.

"kino.to hat die größere Auswahl geboten"

Neben ihm hat die 21-jährige Katjushka den Papp-Schriftzug inzwischen vervollständigt: "Zensur = Diktatur" steht nun dort. "Ich bin eben ein Mensch, der für Ideale wie Informations- und Meinungsfreiheit einsteht", sagt Katjushka. Die Entwicklung von kino.to sei eine kluge Idee gewesen. "Und Open Source ist die Zukunft", unterbricht sie ihr Freund "S0ma", der von sich sagt, er arbeite für die Aktivistengruppe Anonymous. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Guantanamo-Party Crew".

Organisator Anton Schellong sieht das ganz pragmatisch: "kino.to hat die größere Auswahl geboten als die Content Mafia. In einer Marktwirtschaft ist es doch folgendermaßen: Der, der das bessere Angebot hat, gewinnt. Und dann wundert sich die Filmindustrie noch, warum ihre Gewinne einbrechen?" Dass Copyright-Verletzungen Verbrechen seien, will er so nicht gelten lassen. "Wir können nicht zulassen, dass das Internet durch veraltete Institutionen zerstört wird", sagt er und meint mit "veraltet" wie immer die "Content Mafia". Alternative Filmprojekte würden bereits jetzt über Spenden finanziert. Und die seien sowieso besser, als "der ganze Hollywood-Dreck".

Am Vorabend hatte Schellong auf Facebook die Demonstration angekündigt.  Spontan gründete er dafür noch eine Vereinigung unter dem Namen "Freie Bürger des Internets" (FBI) und druckte Flugblätter. Rund 200 junge Dresdner sagten zu, doch gekommen ist nur ein Fünftel. "Bei so einer kurzfristigen Aktion habe ich das auch nicht anders erwartet", sagt er und wendet sich seinen Freunden zu, die ihn umringen. Die Frau mit der roten Bluse, die kopfschüttelnd aus dem Eingang der Staatsanwaltschaft schreitet, sieht er nicht mehr.

Sie lacht die Menge aus, dreht sich immer wieder empört um. "Solche Spinner! Das Verfahren, das hier läuft, ist vollkommen rechtens. Oh man, mehr kann ich dazu echt nicht sagen", regt sie sich auf, steigt in ihr Auto und braust davon. Ihren Namen wollte sie nicht nennen. Wolfgang Klein, der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, äußert sich konzilianter: "Hier geht es um Raubkopien und um viel Geld. Ihre Meinung zu äußern, ist dennoch das gute Recht der Demonstranten."

Keine Angst vor Strafe

Mehr Verständnis zeigt ein Rentner, der von seinem Fahrrad abgestiegen ist, um sich die Demonstration genauer anzuschauen. "Also ich mache ja auch illegale Dinge im Internet", gibt er nachdenklich zu, korrigiert sich aber schnell: "Eigentlich ist das natürlich so halb-legal. Ich lade Musik runter, ohne etwas zu bezahlen. Aber selbstverständlich mache ich das mit legalen Programmen." Er kratzt sich am Kopf, merkt, dass das nicht allzu überzeugend klingt. Aber wie kommt er da jetzt wieder raus? "Ich habe meinen Kindern jedenfalls gesagt, dass die das nicht machen sollen. Denn schließlich muss es auf der Welt gerecht zugehen. Mir geht's halt um die Gerechtigkeit", sagt der Rentner und freut sich über seine gelungenen Schlussworte.

Dass sie aufgrund ihres Protests gegen die Abschaltung von kino.to in den Fokus der Staatsanwaltschaft geraten könnten, fürchten zumindest die jungen Internetaktivisten nicht. Keiner der Anwesenden hat Videos auf der Plattform hochgeladen, zumindest gibt es keiner zu. Da die Betreiber der illegalen Organisation rund um kino.to offenbar Geld an die Uploader gezahlt haben, sind diese nun ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen. Ob das bloße Anschauen der gestreamten Filme strafbar ist, bleibt weiterhin ein umstrittenes Thema unter Juristen. 

"Wir alle schauen kino.to", rufen die Demonstranten noch einmal lautstark und hoffen, dass irgendjemand in der Staatsanwaltschaft ihnen zuhört. Inzwischen ist es 17 Uhr, die Lokalpresse ist schon wieder abgefahren, alles verlief friedlich. Es ist Zeit zu gehen. Anton will demnächst weitere Proteste organisieren. Aber vielleicht ist das auch gar nicht mehr nötig: "In drei Tagen ist kino.to sowieso wieder online. Die haben doch ein Backup von der Seite", meint der Demonstrant "S0ma". Woher er das weiß? "Ich habe da so meine Kontakte."

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