
Fall Deniz Yücel Deutschlands Integrationsproblem in drei Tweets


Plakate mit dem Porträtfoto des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel
Foto: Kay Nietfeld/ dpaEs gibt nicht besonders viele Sätze, die sowohl Migrantenverbände als auch Rechtspopulisten unterschreiben würden. Einer davon lautet: "Deutschland hat ein Integrationsproblem." Die Art, wie der Fall Deniz Yücel (der deutsche Journalist, der in der Türkei in Untersuchungshaft sitzt) in sozialen Medien besprochen wird, spiegelt die Integrationsproblematik. Aber lässt auch ein wenig, ein klein wenig Hoffnung aufblitzen.
Deutschland diskutiert nicht nur über Yücel, die Türkei und Pressefreiheit - sondern gleichzeitig auch über Integration. Also unbeabsichtigt auch über sich selbst. Zu verstehen ist das mit drei Tweets zu Yücel.
Der erste Tweet stammt von einem Berliner Abgeordneten einer rechtspopulistischen bis rechtsextremen Partei. "Merkel CDU macht sich Sorgen um 'Deutschland verrecke' Yücel. Das passt zusammen." Deniz Yücel ist für provozierende Kolumnen bekannt, eine seiner Polemiken von 2011 ist gegen die "deutsche Nation" als Konstrukt gerichtet. Darauf spielt die Zuschreibung "Deutschland verrecke" an. Die beiden Sätze erfüllen damit die Funktion, Angela Merkel durch ihr Engagement für Yücel als Feindin Deutschlands zu brandmarken.
Um diesen Bogen überhaupt schlagen zu können, muss man die höchst problematische Überzeugung mitbringen, dass Grundrechte nicht für alle gelten - sondern nur für diejenigen mit der richtigen politischen Auffassung. Der Tweet stammt ausgerechnet von einem Mann, der auf seinem Twitterprofil erklärt: "Hier herrscht Meinungsfreiheit für echte Menschen, die Gesicht zeigen". Diese Bigotterie ist verräterisch, und sie geht oft noch weiter als in diesem Tweet. In vielen rechten Diskussionen ist von "Passdeutschen" die Rede, ein offen rassistischer Begriff, der bedeutet, dass man mit einem Nachnamen wie "Yücel" nicht wirklich deutsch sein kann.
Die Nennung des Breitscheidplatzes zielt hier einzig und allein auf die Eskalation in einen perversen Dreiklang: Türke, Moslem, Terrorist. Diese sprachliche Konstruktion verrät die Haltung: Wir gegen die, Deutsche gegen angebliche Feinde der Deutschen, die man ja schon am Namen - hier Yücel - erkennt.
Da spiegelt sich eine Extremform des größten Integrationsproblems: Noch immer, während demnächst die vierte Generation türkischer Einwanderer aufwächst, gehören türkischstämmige Deutsche irgendwie nicht dazu. Es beginnt mit angeblich vergebenen Wohnungen, wenn man mit dem falschen Namen anfragt. Es geht weiter mit dem, was die deutschkurdische Journalistin Mely Kiyak in ihrer Rede zur Verleihung eines Preises für kritischen Journalismus ausführte: Sie hat noch nie - noch nie! - einen Text veröffentlicht, auf den sie keine Verachtungsreaktionen bekam. Wer einen türkisch klingenden Namen trägt und in der Öffentlichkeit wagt, seine Stimme zu erheben, womöglich noch kontrovers - wird mit einem Hassschwarm konfrontiert. Nicht erst seit den sozialen Medien.
Die Spitze schließlich, eine moderne, deutsche Schande, besteht aus dem Fall NSU samt der Behandlung durch die Behörden . Die Grundlage des zehnjährigen Behördenversagens ist hier die Annahme, dass die Morde an Türken und türkisch scheinenden Personen ja wohl von einer "Türkenmafia" begangen worden sein müssen.
Und dann gibt es die andere Seite, die so eng dazu gehört.

Dieser Tweet stammt von einem ganz normalen Deutschtürken, zumindest laut seinem Twitter-Profil. Er antwortet als Privatperson (deshalb anonymisiert) auf den Tweet eines AKP-Abgeordneten über Yücel. Die Übersetzung: "Nur weil Deutschland Druck ausübt, dürft ihr diesen PKK Sympathisanten nicht freilassen (ich nenne ihn nicht Journalist, weil nur andere diese Bezeichnung verdienen)."
Letztlich ist dieser Tweet besorgniserregender als offene Hetze. Gerade weil er nicht wutschäumend scheint, sondern in elaborierter Sprache exakt die Erdogan-Propaganda wiedergibt: Kritische Journalisten sind keine Journalisten, sondern Terrorsympathisanten oder gleich Terroristen. Der Nährboden des Totalitarismus: Kritik ist Terror.
Natürlich ist nicht klar, was genau diese Person antreibt. Aber an den Auftritten von Erdogan in Deutschland lässt sich erkennen, wie unglaublich viele Deutschtürken empfänglich sind für dessen nationalistische, anti-rechtsstaatliche Begeisterung. Denn es handelt sich um ein so einfaches wie bequemes Identifikationsangebot. Das kann selbst bei Deutschtürken der dritten Generation um so erfolgreicher wirken, je weniger Identifikation mit einer Heimat Deutschland möglich ist.
Mit einer zunehmend diktatorischen Türkei kann hier eine Spirale der Abgrenzung entstehen, die auf beiden Seiten die radikalen Kräfte stärkt: Feinde brauchen sich. Kein Wunder, dass sowohl Rechtspopulisten wie auch AKP-Parteigänger die Inhaftierung Yücels feiern. Ein Symbol dafür, dass misslingende Integration der Nährboden ist für noch mehr Ausgrenzung, die wiederum die Integration erschwert.
Der letzte Tweet wiederum steht symbolisch - trotz der schlimmen Lage von Deniz Yücel - für einen Schimmer der Hoffnung.
Bericht aus Land mit fairste und rechtsstaatlichste Behandlung wo gibt https://t.co/SxRg2i2KjX #FreeDeniz
— Doris Akrap (@dorisakrap) February 27, 2017
Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu - einer der irritierend wenigen türkischstämmigen Intellektuellen, die auch zu anderen Themen als "nur" Migration das Gehör der deutschen Öffentlichkeit finden - popularisierte in den Neunzigerjahren den Begriff "Kanak Sprak". Also eine immigrantische Färbung der deutschen Sprache. Der Satz "Bericht aus Land mit fairste und rechtsstaatlichste Behandlung wo gibt", den hier eine mit Yücel bekannte Journalistin wiedergibt, ist doppelt ironisch gebrochen.
Es ist ein Zitat von Deniz Yücel selbst, der so auf Twitter den deutschtürkischen Slang immer wieder spöttisch verwendet hat. Der Superlativ stammt aus Erdogans Propaganda selbst, wo die Presse der Türkei als die freiste der Welt bezeichnet wird. Dabei sitzen in keinem Land der Welt mehr Journalisten im Gefängnis.
Die deutsche Zivilgesellschaft aber hat dagegen nicht nur getwittert, sondern auch einen laut hupenden Protest-Autokorso organisiert, natürlich als Referenz auf diese deutschtürkische Eigenart, zum Beispiel zu Hochzeiten. Neben der sehr breiten Solidarisierung mit Yücel liegt - so klein das Zeichen sein mag - genau darin der Hoffnungsschimmer für die Integration: in der spielerischen, liebevoll-ironischen Annäherung. Gerade weil es ein Teil der deutschtürkischen Alltagskultur ist.
tl;dr: Freiheit für Deniz Yücel!