Sascha Lobo

Pflichtdienst Ein Jahr für den Staat knechten, am besten an der Tankstelle

Sascha Lobo
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Die Jugend steht vor gigantischen Aufgaben, entstanden aus Versäumnissen und der Egozentrik der Alten. Ein Pflichtjahr wäre der Gipfel der Unverschämtheit.
Zivildienst der Zukunft?

Zivildienst der Zukunft?

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IMAGO/Manngold

Immer wieder brandet dieser Vorschlag auf, junge Leute müssten ein Jahr lang dem Staat dienen, und zwar nach dessen Regeln. Es ist eine veraltete, missgünstige, zukunfts- und jugendfeindliche Idee. Sie beruht von konservativer Seite auf patriarchaler Bevormundung und von linker Seite auf kollektivistischer Bevormundung. Aber alle Lager sind sich einig, dass die Jugend ordentlich arbeiten sollte, bevor sie die süßen Früchte des Erwachsenseins genießen darf. Als sei die Jugend unvollkommen und moralisch fragwürdig, wenn sie nicht ein Jahr durchgeknechtet wurde.

»Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, dieser durch und durch elende Spruch ist ein Hinweis darauf, dass in Deutschland (wie in vielen anderen Teilen der Welt) die Jugendfeindlichkeit Tradition hat und eine enge Verbindung zur Arbeit mitbringt. Genauer analysiert sagen diese Worte ja, dass man als junge Person gefälligst ohne Zweifel, ohne Nachfragen, ohne Murren auch noch die beklopptesten Arbeiten auszuführen habe. Das ist auf vielen Ebenen falsch, schon weil sich Arbeit durch die Digitalisierung massiv weiterentwickelt hat. Aber auch, weil dahinter Jugendmissgunst und Jugendneid stehen, beides giftige Haltungen ohne Anstand.

Quer durch die Gesellschaft findet sich eine Déformation générationelle, bei der die Alten den Jungen ihre Jugend vorwerfen. Im schlimmsten Fall verkaufen sie das auch noch als »sozial« oder »vorteilhaft«. Das Pflichtjahr ist das Sahnehäubchen der Unverschämtheit dieser Jugenddiskriminierung. Die jungen Menschen wiederum können sich kaum wehren, weil sie durch die Demografie seit Jahrzehnten in der Unterzahl sind. Man muss sich die Folgen ganz plastisch vergegenwärtigen:

  • Die digitale Infrastruktur, für junge Menschen beruflich, privat, kulturell und sozial elementar, ist in Deutschland katastrophal, weil über Jahrzehnte die Alten definiert haben, was an Geschwindigkeit ja wohl völlig ausreicht.

  • Klimakatastrophe und Artensterben sind von den Alten nur zaghaft bekämpft worden, weil man um Gottes willen die eigenen Pfründe nicht gefährden wollte.

  • Die Welt ist unberechenbarer und gefährlicher geworden; zwischen Weltkriegs- und Atomangst muss die Jugend inzwischen mit längst überwunden geglaubten Zumutungen zurechtkommen.

Diese Liste ließe sich noch sehr viel umfangreicher ausführen, aber das allein reicht aus, um zu erkennen: Die Jugend steht vor einer Vielzahl gigantischer Aufgaben, die zum guten Teil aus den Versäumnissen, Fehlern und der Generationenegozentrik der Alten entstanden sind. Und zusätzlich sollen sie jetzt auch noch arbeiten, und zwar nicht nach eigener Façon, sondern in den Bereichen, die die Alten in Form staatlicher Willkür ihnen diktieren. Um die eigenen Missstände notdürftig zu überdecken. Nach dem Milliardendebakel des Tankrabatts schlägt sicher irgendjemand demnächst vor, junge Leute sollten ihren Dienst an der Gesellschaft an der Tankstelle verrichten.

Auf solche Vorwürfe reagieren die Alten erfahrungsgemäß sehr angefasst und reden zunächst vom »Zusammenhalt«. Aber was ist das für ein Zusammenhalt, der unfreiwillig und ausschließlich auf den Schultern einer Generation ruht, die sich bereits intensiv engagiert, nur eben in anderen Sphären, als die Alten sich das wünschen? Ist es nicht vorstellbar, dass junge Menschen andere Dinge wichtig finden, und zwar vollkommen zu Recht? Selten fehlt in der Debatte über die Arbeitspflicht junger Menschen die Erzählung vom deutschen Wohlstand. Damit wollen die Alten eher unsubtil erklären, dass man sich diese Zugehörigkeit ja wohl irgendwie verdienen müsse.

Keiner der vielen Vorwürfe an die Jungen ist gerechtfertigt

Natürlich ist Deutschland ein reiches Land, und dazu haben ohne Zweifel die Alten beigetragen. Aber was nützt dieses Wissen, wenn es für junge Menschen ohne Unterstützung nur noch schwer möglich ist, eine vernünftige Wohnung in irgendeiner größeren Stadt zu mieten? Wenn man zum Beispiel in Berlin eine Zweizimmerwohnung sucht, dann verrät eine große Vermietungsplattform, dass bei halbwegs akzeptablen Angeboten schon nach einer halben Stunde mehrere Tausend Anfragen eingegangen sind. Dann nützt es einem wenig, wenn man aus den Nachrichten erfährt, dass man offenbar zu einer »Erbengeneration« gehört. Abgesehen davon, dass das Durchschnittsalter von Erbenden in Deutschland zwischen 40 und 65 Jahren liegt.

Wie gut eine Gesellschaft mit der Jugend umgeht, zeigt sich nicht in den privilegierten Sphären, sondern in der Breite. Deutschland galt mal als Land des Aufstiegs mit der Erzählung, dass man gerade als junge Person mit harter Arbeit eine gute Perspektive geboten bekomme. Und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Faktisch ist es aber so, dass Deutschland zu den Ländern mit der geringsten sozialen (oder besser: wirtschaftlichen) Mobilität gerade für ärmere Menschen gehört. Sagen die Untersuchungen der OECD, die hier Deutschland ein sehr schlechtes Zeugnis ausstellt: Danach ist es in Deutschland schwerer als in den USA, sich aus der Armut herauszuarbeiten . Das wiederum muss man kombinieren mit der Tatsache, dass jedes fünfte Kind in Deutschland arm oder armutsgefährdet ist .

Noch dazu existiert ein gruseliger Konsens bei so vielen Alten aller politischer Ausrichtungen, wie sehr die heutige Jugend nichts hinbekomme und recht missraten sei. Sie beherrsche die Rechtschreibung kaum, habe wenig Allgemeinwissen, sei faul, ständig unkonzentriert und narzisstisch ohnehin, wegen Smartphone, Internet, Genusssucht, sprich: wegen geradezu unverschämtem Jungsein. Buchstäblich keiner der vielen, vielen Generationenvorwürfe ist gerechtfertigt, im Gegenteil lässt sich fast alles, was ungünstig läuft, auf die falschen Prioritäten, Strategien und Aktivitäten der Alten zurückführen.

Und jetzt kommen die Alten um die Ecke und wollen die selbstverursachten Probleme – Pflegenotstand, zu wenig Soldat*innen sowie allgemein zu viele nervige, schlecht bezahlte Jobs – mit einem Arbeitszwang für Jugendliche lösen. So würden es jedenfalls auch die Alten nennen, wenn man forderte: Vor dem Ruhestand muss zwingend ein soziales Jahr absolviert werden, sonst wird die Rente reduziert.

Eine regelrechte Jugendverachtung offenbart sich, wenn man sich die Begründungen anhört. Der Jugend würde das auch mal ganz guttun. Das verquere Jugendbild, das dahintersteht, ist schiere Missgunst, denn »auch mal ganz guttun« bedeutet übersetzt: Ich habe gelitten, und deshalb sollen die Jungen jetzt auch leiden. »Aber uns hat es doch auch nicht geschadet!« – doch, Günter, du bist offensichtlich ein egozentrischer, missgünstiger, generationengrollender Besitzstandswahrer geworden, ohne Gespür für die Gegenwart.

Probleme gemeinsam mit der Jugend lösen statt auf ihren Schultern

Ein Pflichtdienst ist ein toxisches Konzept, das das gesellschaftliche und politische Versagen gleich mehrerer Generationen mit der Zeit und der Kraft der Jugend übertünchen soll. Denn natürlich könnte man versuchen, die gegenwärtigen Probleme gemeinsam mit der Jugend zu lösen statt auf deren Schultern. Aber dazu müsste man erst einmal das eigene generationelle Scheitern eingestehen, von der verbockten Digitalisierung über die verbockte Bildung und die verbockte Pflege bis zur verbockten Klimapolitik. Auffällig viele Verbockungen übrigens, die die jungen Menschen ungleich stärker oder ausschließlich betreffen.

Es wäre doch so leicht, etwa indem man jungen Menschen ein gut bezahltes Orientierungsjahr anböte, in welchem beruflichen, gesellschaftlichen, sozialen oder meinetwegen militärischen Bereich sie auch immer das für sinnvoll halten. Aber eben: anbieten. Freiwillig. So, dass die Anbietenden sich Mühe geben müssen, junge Menschen von ihrem Sinn zu überzeugen. Was so schwer nicht sein kann, denn die jüngeren Generationen engagieren sich so umfassend und offensiv und bewundernswert wie kaum eine zuvor. Nur zum Glück eben zu eigenen Bedingungen, weil sie so ungleich viel besser als Generationen-Günter wissen, worauf es für die Zukunft ankommt.

Soeben hat der Jugendrat der OECD die Basis für ein »Jugendmanifest« vorgestellt , erarbeitet einerseits von jungen Menschen selbst und andererseits von Fachleuten. Darin fordern die Jungen mehr Mitsprache, mehr (Alters-)Diversität in Regierungen und Institutionen, besseren Zugang zu den für sie entscheidenden Informationen samt Nutzung der entsprechenden Plattformen sowie das Neudenken der Arbeitswelt, indem, Zitat: »… man jungen Menschen erlaubt Jobs zu schaffen, die unsere Werte widerspiegeln und in denen wir uns darin bestärkt fühlen, den Wandel zu gestalten.« Das ist – Überraschung! – ziemlich genau das exakte Gegenteil eines Pflichtdienstes.

Diskutiert ruhig weiter über die jungen Köpfe hinweg. Aber beschwert euch nicht, wenn in ein paar Jahren die Enkel halt nicht mehr selbst vorbeikommen, sondern den Pflegeroboter freundliche Grüße ausrichten lassen.

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