Digitale Selbsthilfe Programmiere dich zur Freiheit

Wir klicken Links, posten Texte, wir lassen die Maschinen für uns arbeiten - und merken nicht, wie abhängig wir von der Software sind. Drei Berliner wagen den Befreiungsschlag. Sie lernen Programmieren auf die harte Tour, um der digitalen Bevormundung zu entkommen.
Programmier-Lernbande: Erlehmann, Fiona Krakenbürger und Christian Heller

Programmier-Lernbande: Erlehmann, Fiona Krakenbürger und Christian Heller

Foto: Ole Reißmann

Wo man auch hinschaut: Algorithmen. Die durchschnittliche Waschmaschine hat heute schon mehr Rechenpower als ein alter Computer, an den Börsen handelt Software längst ohne menschliches Zutun, Facebook und Google bestimmen, was wir lesen und wissen. Wir sind in der Hand von Programmen, oder genauer gesagt: in der Hand von Programmierern.

In den siebziger Jahren konnten die meisten Computernutzer die Maschinen noch selbst steuern. Ein blinkender Balken auf einem leeren Bildschirm, mehr war da nicht. Mittlerweile klicken oder drücken wir auf bunte Icons, und auf magische Weise tut die Technik Dinge, die sich jemand anderes vorher ausgedacht hat. Dieser jemand arbeitet im Zweifelsfall für Google, Microsoft oder einen anderen Konzern.

Gegen diese Abhängigkeit regt sich Widerstand: Entweder wir lernen programmieren oder wir werden selbst programmiert, sagt der New Yorker Medienforscher Douglas Rushkoff . "Wir erstellen Websites und richten uns Profile bei Facebook ein und merken dabei nicht, dass wir uns dabei an die Programme anpassen. Nicht nur das: Wir werden abhängig", schreibt Rushkoff in seiner Digitalagenda.

Politik der kryptischen Eingaben

Seine Warnung findet Gehör. Die Berliner Studentin Fiona Krakenbürger hat die harte Tour gewählt und zwei computeraffine Freunde dazu gebracht, sich mit ihr die Maschinensprache Assembler vorzunehmen. Erste Lektion: Weg mit Windows, Linux auf den Laptop installieren. "Ich kann meinen Computer mit einem Terminal bedienen, ohne grafische Benutzeroberfläche. Das ist ein starkes Gefühl. Damit kann ich Produktvorgaben unterwandern oder sogar verändern", sagt Krakenbürger.

Dann nahm sich die Clique - keiner von ihnen beherrschte die Programmiersprache - erste Befehle vor. Dichter dran am Prozessor geht es kaum. Mit zunächst kryptisch anmutenden Eingaben muss dem Computer wirklich alles befohlen werden. In stundenlangen, oft nächtlichen Sessions programmierten sie Beispiele aus Büchern nach, veränderten Funktionen, lernten dazu.

Heute, ein halbes Jahr später würde Krakenbürger zwar nicht behaupten, Assembler zu beherrschen. Kleine Programme kann sie aber schreiben. "Und ich kann mir schon Codezeilen ansehen und verstehe grundsätzlich, was da passiert." Die teilweise frustrierende Arbeit zahlt sich aus. "Programmieren ist nicht nur extrem praktisch, das hat mit politischer Emanzipation zu tun. Code ist erst mal ein Werkzeug, aber wenn Leute das benutzen, erhält es seine Bedeutung", sagt Krakenbürger.

Tatsächliche Magie

Als nächstes ist die Programmiersprache C dran. Lästige Aufgaben werden den Entwicklern abgenommen, trotzdem ist die Sprache noch dicht am System dran und wird etwa für Betriebssysteme eingesetzt. Ein sogenannter Compiler übersetzt den C-Code dann wieder in Maschinencode. "In unserer ersten C-Lernstunde haben wir uns gleich wieder Assembler angeguckt", sagt Krakenbürger.

Es geht auch einfacher. Moderne Programmiersprachen lesen sich wie eine Reihe von verständlichen Ansagen in einfachem Englisch. "Man schreibt 'alert' und bekommt eine glitzernde Warnmeldung", sagt Krakenbürger. Dem Techniktrio war das zu wenig. Einer von Krakenbürgers beiden Nerd-Freunden, Spitzname Erlehmann, sagt: "Ich war erst für Python, das ist eine einfache Sprache, die man auch gut lesen kann. Aber die Abstraktion verbirgt die tatsächliche Magie darunter." Also Assembler und C, als Schutzmaßnahme vor digitaler Bevormundung.

Douglas Rushkoff warnt davor, dass wir die Welt zunehmend über Technologie wahrnehmen, die wir nicht mehr verstehen. Wir treffen neue Freunde über Netzwerke, bei denen die Werbeeinnahmen im Vordergrund stehen, nutzen Smartphones von Firmen, bei denen wir nur hoffen können, dass sie unsere Rechte ebenso schätzen wie ihren Umsatz.

Hauptsache anfangen

Müssen wir also alle Programmierer werden? Rushkoff vergleicht das digitale Zeitalter mit der Zeit der Renaissance, als die Druckerpressen in der Gewalt der Herrschenden waren, und kommt zu dem Schluss: Während die Untertanen damals unterjocht wurden, ist unsere Unmündigkeit selbstverschuldet. Die heutige Digitalelite, Konzerne und Hacker, ist nur so lange mächtig, wie sich die Mehrheit nicht fürs Programmieren interessiert.

"Fesseln sprengen, coden lernen", sagt Krakenbürger. Ob nun von Grund auf mit Assembler und C oder mit einer leichter verständlichen Sprache wie Python. Mit etwas Glück finden sich im Freundeskreis Nerds, wenn nicht, hilft das Internet. Krakenbürger berichtet in einem Blog von ihrem Codetrip, "Fiona lernt programmieren ". Dort schreibt sie vom Programmieren, von Fortschritten, Erkenntnissen - und Rückschlägen.

Klingt alles kompliziert? Wirklich einfach sind die Lektionen der Codeacademy . Die einfachen Beispiele lassen sich direkt im Browser ausprobieren, ohne dass etwas installiert oder konfiguriert werden müsste. Die kurzen Kurse vermitteln erste Kenntnisse in JavaScript, einer Sprache, mit der sich interaktive Websites und sogar Spiele programmieren lassen. Es ist ein Anfang.

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