

Fünfjähriges Jubiläum Gäbe es keine DSGVO, müsste man sie jetzt erfinden

Es gibt keine Geburtstagstorte, dafür ein Hammer-Bußgeld: 1,2 Milliarden Euro soll Meta zahlen, weil der Facebook-Konzern die Daten europäischer Nutzerinnen und Nutzer ohne hinreichende Informationen und Vorkehrungen in die USA transferiert hatte – und damit in die Griffweite der dortigen Geheimdienste. Fünf Jahre nach dem faktischen Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat jenes System damit seine Handlungsfähigkeit gezeigt. Zumindest scheint es so.
Doch wie immer, wenn es um das europäische Datenschutzrecht geht, ist die Sache viel, viel komplizierter. Das Bußgeld kam etwa erst zustande, nachdem die örtlich zuständige Aufsichtsbehörde von Kollegen aus anderen EU-Staaten überstimmt wurde. Irland, das sich als präferierter Standort für die Europazentralen des Silicon Valley etabliert hat, würde offenbar gern auf die 1,2 Milliarden Euro für den eigenen Staatshaushalt verzichten, wenn das im Gegenzug seine lukrative Zukunft als IT-Standort sichert. Deshalb macht die irische Datenschutzbehörde auch klar, dass sie absolut nicht hinter der Entscheidung steht, die sie nun treffen musste.
Gleichzeitig wettern Datenschutzaktivisten wie Max Schrems und seine Organisation noyb über Ämterverstrickungen und Untätigkeiten. Auch Deutschland sei entgegen seiner Eigenwahrnehmung kein Datenschutz-Musterland, heißt es: Obwohl die 17 verschiedenen zuständigen Aufsichtsbehörden im Jahr 2020 über 1150 Mitarbeitende beschäftigten, zögen sich die Prüfungen in die Länge. Außerdem stellten die Aufseher Ermittlungen auch gern »informell« ein. Kritisiert werden außerdem intransparente Entscheidungen, die man allenfalls über die Presse verfolgen könne.
Das größte Kompliment, das der DSGVO in diesen Tagen gemacht wird, kommt wohl aus Brüssel. Obwohl gerade zum dritten Mal ein Datentransfer-Abkommen mit den USA verhandelt werden muss und ein Scheitern eine milliardenteure Schlappe für die amerikanische und europäische Wirtschaft bedeuten könnte, möchte praktisch niemand die DSGVO abschaffen oder gar wesentlich reformieren. Lediglich bei den bürokratischen Prozessen soll nachgebessert werden.
Bremsklötze sind nötig
Denn die Wahrheit ist: So gern Datenschutz als Bremsklotz, als teure und bürokratische Einrichtung wahrgenommen wird, so notwendig war und ist die DSGVO. Dies illustriert etwa das absurd anmutende TikTok-Verbot in Montana: Ein Bundesstaat, der nur wenige Einwohner mehr hat als das Saarland, führt die eigene »nationale Sicherheit« an, um die chinesische App zu verbieten und verschließt die Augen vor dem Datenverkehr Millionen anderer Apps. Vorher hat schon Utah kurzerhand die Nutzung sozialer Medien für alle Minderjährigen an die Erlaubnis ihrer Eltern gekoppelt. Wie solche Regeln konsequent durchgesetzt werden sollen, wissen nicht einmal die Politiker, die sie beschließen.
Dass Gerichte diese Vorstöße stoppen werden, ist wahrscheinlich, aber keinesfalls sicher. Unterdessen scheitert Washington an einer landesweiten Regelung, weil der politische Prozess durch Kulturkämpfe verstopft ist. Das ist nicht zuletzt wegen der sozialen Medien so, deren Betreiberfirmen wie kaum eine andere Branche vom weitgehend ungezügelten Datenverkehr profitieren.
Die DSGVO ist nicht perfekt, ihre Umsetzung ebenso wenig. Das Jubiläum heißt zum Beispiel, dass die ePrivacy-Verordnung, die eigentlich die ungeliebten Cookie-Banner regulieren sollte, ebenso fünf Jahre überfällig ist. Doch die DSGVO hat zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen gestellt, die nun nach und nach auch von den obersten Gerichten beantwortet werden. Gerade rechtzeitig – denn mit künstlicher Intelligenz (KI) steht schon das nächste Großthema vor der Tür.
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Ich wünsche Ihnen eine gute restliche Woche mit frühsommerlichem Wetter,