Elektronische Wahlen Widerstand gegen E-Voting in der Schweiz

Die Schweiz will E-Voting flächendeckend etablieren. Doch IT-Experten warnen vor gravierenden Sicherheitslücken - und eine neue Bürgerinitiative fordert, das umstrittene Verfahren vorerst zu stoppen.
Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium "Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie"

Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium "Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie"

Foto: Anthony Anex/ dpa

Bei der Schweizer Volksabstimmung zur Siedlungspolitik am Sonntag  können im Ausland und teils auch im Land selbst lebende Schweizer in zehn Kantonen online wählen. Die Schweiz ist E-Voting-Pionier. Seit 2004 wird die elektronische Stimmabgabe bereits getestet, dem Schweizer Bundesrat zufolge in mehr als 300 Versuchen. Jetzt soll der Testbetrieb zum Alltag und die Abstimmung per E-Voting-Webseiten flächendeckend eingeführt werden. Dagegen formiert sich Widerstand.

Im Dezember hatte der Schweizer Bundesrat erneut bekräftigt, dass die "aktuelle Versuchsphase beendet und die elektronische Stimmabgabe als dritter Stimmkanal verankert werden"  sollen. Dafür ist eine Gesetzesänderung erforderlich, die in den kommenden Monaten durchgesetzt werden soll. Doch Hacker des Schweizer Chaos Computer Clubs (CCC) prangern Sicherheitslücken im elektronischen Wahlverfahren an.

"Es ist für Menschen ohne Fachkenntnisse unmöglich und für Experten nicht vollständig nachzuvollziehen, was beim elektronischen Wahlprozess vor sich geht", sagt Hernâni Marques, Sprecher und Vorstandsmitglied des Schweizer CCC. Abstimmungen und Wahlen mit privaten, potenziell unsicheren Geräten und beliebigen Browsern auf E-Voting-Webseiten zuzulassen, hält er für "Irrsinn".

Schon ein "Defacement", eine Verunstaltung der Webseite, reiche aus, um das Vertrauen in die Endergebnisse zu stürzen. "Wird ein lächelnder Putin oder Trump eingeblendet, wird die Schweizer Demokratie zur Farce," sagt Marques. Auch Geheimdienste könnten theoretisch die E-Voting-Infrastruktur verwanzen, womit Sicherheitsmechanismen von vornherein ausgehebelt werden würden. "Die Bundeskanzlei treibt E-Voting trotz des wachsenden Widerstandes wie wild voran, weil es ein Prestigeprojekt ist und niemand sein Gesicht verlieren will", glaubt der IT-Experte. "Dabei ist es unsicher und intransparent."

Politiker aller Parteien sowie IT-Experten haben im Januar die Volksinitiative "Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie"  vorgestellt, die ein mindestens fünfjähriges Verbot für E-Voting-Experimente fordert. Erlaubt werden solle die elektronische Abstimmung erst, wenn der Sicherheitsstandard dem von Papierwahlen entspricht und neue Systeme im Einsatz sind, "die sicher wie auch für den Stimmbürger einfach und ohne Fachkenntnisse überprüfbar sind". Der Initiativtext für die geplante Volksabstimmung wird derzeit von der Bundeskanzlei überprüft, danach hat die Initiative bis zu 18 Monate Zeit, um landesweit 100.000 gültige Unterschriften zu sammeln.

Software mit Sicherheitslücken

Volker Birk vom Schweizer CCC hatte im vergangenen Jahr gezeigt , wie leicht es beim E-Voting wäre, Wähler auf eine gefälschte Website umzuleiten. Laut Marques könnten unsichere Voting-Clients die Manipulation oder den Abfluss von Daten ermöglichen. Theoretisch könnten Hacker auch für die Wahl notwendige Authentifizierungs- und Verifizierungscodes stehlen, eine Abstimmung verhindern oder das Wahlgeheimnis lüften. Entsprechende Sicherheitslücken seien in beiden genutzten Systemen bis heute vorhanden.

Genf will seine Abstimmungssoftware CHVote, die derzeit von mehreren Kantonen genutzt wird, allerdings im Februar 2020 einstellen, angeblich aus Kostengründen. Übrig bleibt nur das E-Voting-System der spanischen IT-Firma Scytl, die eine Partnerschaft mit der Schweizer Post unterhält. "Bei einem privaten, gewinnorientierten Unternehmen wie Scytl gibt es natürlich Geschäftsgeheimnisse - zu viel Knowhow wollen sie nicht preisgeben", sagt die "Republik"-Journalistin Adrienne Fichter dem SPIEGEL. Diese Intransparenz sei in Wahltechnologie ein Problem.

Ihre Recherche zu dem IT-Unternehmen  offenbart Probleme bei Wahlen in aller Welt. "In Ecuador war etwa Scytl-Software bei den Wahlmaschinen im Einsatz, hier wurden die Resultate nicht korrekt gelesen und die Server waren down", so Fichter. In Norwegen und Florida habe die Dokumentation gefehlt, um das System aufzusetzen - dennoch hätten Sicherheitsforscher mit einfachen Code-Analysetools ein paar Fehler aufgespürt.

Unklar ist auch, inwieweit das Wahlumfeld in der Schweiz gegen Manipulationen abgesichert ist. Die elektronisch erfassten Wahlergebnisse werden per Speicherkarte auf einen Laptop übertragen, der nicht mit dem Internet verbunden ist. Wie dieser Prozess aber genau abläuft, wollte Hernâni Marques gemeinsam mit weiteren Hackern am Sonntag im Kanton Thurgau vor Ort beobachten . Doch der Kanton lehnte ab.

"Sie zeigen sich verschlossen", kritisiert Marques. "Und es sind sehr wenige Leute, die die Macht haben. Wenn etwa ein einziger Systemadministrator für sechs Kantone zuständig ist - wer weiß, was er macht, wenn jemand ihm fünf Millionen Franken gibt." Nie zuvor seien in der Schweiz kantonsübergreifend Endergebnisse von einzelnen Personen abhängig gewesen. Doch auch externe Angreifer könnten Schaden anrichten - ohne Schweizer Boden zu betreten.

Prämien für erfolgreiche Hacks

Um Bedenken auszuräumen und Schwachstellen aufzudecken, soll ab dem 25. Februar ein vierwöchiger, öffentlicher Sicherheitstest für das E-Voting-System von Scytl und Schweizer Post stattfinden. "Interessierte Personen aus aller Welt können das System angreifen", kündigt die Regierung den Test an . Die Hacker-Community solle versuchen, "Stimmen zu manipulieren, abgegebene Stimmen zu lesen sowie Sicherheitsvorkehrungen außer Kraft zu setzen oder zu umgehen, die die Stimmen und sicherheitsrelevante Daten schützen."

IT-Experte Hernâni Marques hält den Test vor allem für "eine Marketing-Aktion. Wenn dabei Lücken auffallen und sie geschlossen werden, dann wird das System als sicher verkauft." Doch der Test beweise nicht, dass der Quellcode in realen Abstimmungen unverändert läuft - und eine einzige Zeile schadhafter Code könne das ganze Sicherheitssystem aushebeln. "Es ist nicht schlecht, um die größten Schnitzer zu finden, aber das beweist noch keine Sicherheit", sagt Marques. Der Schweizer CCC boykottiert den Test, um ihm nicht indirekt eine Art "TÜV-Siegel" zu verleihen.

Die Post belohnt erfolgreiche Attacken mit Prämien von 100 bis zu 50.000 Franken, umgerechnet etwa 90 bis zu 44.000 Euro  - deutlich weniger als etwa beim Tesla für das Melden von Schwachstellen zahlt. Manipulationen einzelner Stimmen, die weder vom Wähler, noch von den Kontrolleuren des Systems entdeckt werden können, sind dabei die höchste Kategorie. Die Höhe der Prämien hält Marques für "einen Witz": "Da bietet jeder Schwarzmarkt mehr." Und Geheimdienste seien ohnehin nicht finanziell motiviert.

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