
Elon Musk und Twitter Der Markt regelt das (hoffentlich)


Elon Musk (2021 in Grünheide)
Foto: MICHELE TANTUSSI / REUTERSBei politischen Diskussionen zwischen Digitalisierung, Globalisierung und Wirtschaft dauert es selten lange, bis zwei besondere Positionen aneinandergeraten. Die einen beschwören den freien Markt und sehen selbst hartnäckiges Marktversagen stets als Folge eines Marktes, der nicht frei genug ist. Sie begreifen selten, dass ein Markt nur von Gnaden einer wehrhaften, liberalen Demokratie auf sinnvolle Weise frei sein kann, und das auch nur in wertebestimmten Grenzen. Deshalb ist die gesellschaftlich eingehegte, soziale Marktwirtschaft für so viele Leute auf dem Planeten so attraktiv.
Für radikal Marktgläubige geistert seit Jahrzehnten der so abfällige wie diffuse Begriff »Neoliberale« herum, inzwischen manchmal ergänzt um die Bezeichnung »Libertäre« – so nennt man (Pseudo-)Liberale ohne Reflexionsvermögen oder Gewissen. Neoliberale sind oft geschmäht worden, weil sie häufig den Glanz einer stringenten Wirtschaftsphilosophie und schiere Herzenskälte miteinander verwechseln. Auf einer durchschnittlichen Cocktailparty politisch interessierter Menschen in einer beliebigen deutschen Großstadt empfiehlt es sich deshalb eher zu sagen, dass man gern lebendige Kätzchen grillt, als dass man neoliberal ist. Gerade auf Partys, wo das Jahreseinkommen der Anwesenden im Schnitt sechsstellig ist.
Auf der anderen Seite aber stehen Leute mit einer Position, die in ihrer Undurchdachtheit und gleißenden Übervereinfachung zu selten diskursiv gestellt wird, wenn man die Beschimpfungen durch Rechte und Libertäre nicht zur Diskussion zählt. Es geht um Menschen, die im Markt etwas grundsätzlich und strukturell Böses sehen. Sie nur »links« zu nennen, greift zu kurz, auch wenn sich die meisten unter ihnen so fühlen dürften. (Ehrliche, moderne Kommunisten sind hier ehrenhalber ausgenommen, aber die sind zu selten, um sie als relevante Debattengröße zu betrachten.) Vielleicht ist ein Problem, dass diese prinzipiell marktverachtenden Leute anders als ihre »neoliberalen« Gegner keine sinnvolle, wirtschaftspolitisch fokussierte Bezeichnung tragen. »Sozialisten« trifft es nämlich auch nicht, die merkwürdige Märkteverachtung ist viel weiter gefasst, bis tief in bürgerliche Sphären.
Für Twitter ist der Markt vielleicht die einzige Chance
Freie Märkte in toto für etwas Schlimmes zu halten, ist gerade aus linker (nichtkommunistischer) Sicht spektakulärer Unfug, schon weil sich im wirtschaftlichen Prinzip des Marktes ein Massenvotum abbilden kann. Das ist jetzt noch nicht von allein demokratisch. Aber die Stoßrichtung wird klar, wo eines der meistgefürchteten und in Europa meist linken Konzepte ist, Produkte von Unternehmen, die sich unethisch verhalten, zu boykottieren. Endkundenorientierte Märkte sind der Grund dafür, dass sehr viele, sehr große Unternehmen eine ganze Reihe von Positionen übernommen haben, die vor 20, 30 Jahren als sehr, sehr links gegolten hätten. Die Deutsche Bank – im 20. Jahrhundert das unternehmerische Superfeindbild vieler Linker – unternimmt seit Jahren umfangreiche Pride-Month-Aktivitäten und beendet, zugegeben nur punktuell, Geschäftsbeziehungen zu LGBTIQ-feindlichen Unternehmen. Auch wenn man über Ausmaß und Wahrhaftigkeit dieser Entwicklung streiten kann – hier wirkt der Markt in Form von Kundendruck gesellschaftlich positiv.
Es gibt das schwierige Zitat von Angela Merkel, einer ehemaligen Bundeskanzlerin (CDU), wo sie ankündigt, die »parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist «. Ihr ist deshalb oft vorgeworfen worden, eine »marktkonforme Demokratie« anzustreben, und in der Politik ihrer gefühlt 73 Jahre andauernden Kanzlerinnenschaft finden sich Anzeichen, dass sie tatsächlich ab und zu so denkt, wie man das Zitat zuallererst verstehen muss. Aber wir leben inzwischen in einer Welt, in der die liberale Demokratie von so vielen Seiten attackiert wird, dass sie jeden Verbündeten gebrauchen kann. Und hier kommt der Markt auf vielfältige Weise ins Spiel. Zum Beispiel, dass wirtschaftliche Sanktionen wie derzeit gegen Russland eines der wichtigsten Instrumente sind, um die Ukraine und überhaupt die Demokratie zu unterstützen.
Der derzeit vielleicht interessanteste Fall, wo der Markt vielleicht sogar die einzige Chance auf eine im demokratischen Sinn positive Wendung darstellt, ist Twitter.
Elon Musk hat Twitter gekauft, und das verheißt zunächst nicht unbedingt Gutes. Musk ist ein hervorragender Unternehmer, vielleicht eine der Personen auf dem Planeten, die die Digitalwirtschaft am besten begreifen. Das ist schön für ihn, aber leider bereits Teil des Problems. Musk gehört zu den gar nicht so wenigen Nerds, die digitale Systeme gut verstehen – aber deshalb fälschlicherweise glauben, auch die Welt zu verstehen, ein ideologisches Problem, das der Kulturwissenschaftler Michael Seemann schon vor Jahren skizziert hat .
Musk hat behauptet, wir würden »sehr wahrscheinlich in einer [digitalen] Simulation leben «. Aus dieser doch etwas merkwürdigen Position kann man viel über Musk schlussfolgern. Unter anderem, dass ihm diese Deutung der Welt so gut passt, weil er so sein großes digitales Verständnis einfach der Restwelt überstülpen kann. Elon Musk versteht die Welt aber gar nicht. Wie viele erfolgreiche Unternehmer sieht er die Welt als Ansammlung von Problemen an, die man unternehmerisch lösen könne. Darin spiegelt sich bereits eine gewisse Geringschätzung demokratischer Prinzipien und der dazugehörigen Politik. Elon Musk verhält sich dann in vielerlei Hinsicht auch wie ein Libertärer, also radikal staatminimierend. Ein bekanntes Bonmot umreißt die Position der Libertären so:
»Wie würdest du Libertäre beschreiben?«
»Libertäre sind wie Hauskatzen. Sie sind überzeugt von ihrer wilden Unabhängigkeit, aber komplett abhängig von einem System, das sie weder wertschätzen noch verstehen.«
Musks Schaffen und seiner unablässigen Kommunikation kann man entnehmen, dass seine beiden wichtigsten, öffentlich erkennbaren Eigenschaften unterschiedliche Formen von Mut sind: unternehmerischer Mut und Wankelmut. Erst unterstützt er die Ukraine mit kriegswichtiger Digitalinfrastruktur, dann flirtet er auf Twitter öffentlich mit dem Putinfreund und Ex-Präsidenten Medwedew und postet Vorschläge zur vermeintlichen Lösung des Konflikts, die direkt aus der Feder Putins stammen könnten .
Musk sympathisiert offen mit den Republikanern
Es ist extrem wahrscheinlich, dass Elon Musk Twitter als persönliches Instrument zur politischen Beeinflussung nach Gutdünken betrachtet, mithilfe einer vorgeblichen Selbstverpflichtung zu Neutralität, Objektivität oder Ausgewogenheit – Elon Musk als ein libertäres Ein-Mann-China, bloß mit starkem Loose-Cannon-Einschlag. Dazu kommt die so absurde wie gefährliche, in Deutschland praktisch unbekannte Philosophie des Longtermism (auf Deutsch würde ich dafür die Begriffe Langzeitismus oder Zukunftismus vorschlagen). Dieser Ideologie hängt Musk erklärtermaßen an .
Dabei ist man, etwas vereinfacht, so sehr auf den langfristigen Erfolg der Menschheit in einer Million Jahren erpicht, dass man schnell bereit ist, ein paar Millionen Leben in der Gegenwart zu opfern, um ein paar Billionen noch gar nicht geborenen Leben in der fernen Zukunft bessere Chancen zu verschaffen. Longtermism ist entgegen des ersten Anscheins eine quasireligiöse, oft menschenfeindlich gewendete Ideologie, die unter dem Deckmantel eines zukunftsorientierten Altruismus alle möglichen faschistoiden Haltungen von Euthanasie bis Sozialdarwinismus zumindest akzeptabel erscheinen lässt. Und Longtermism wird fast immer libertär vorangetrieben, weil die Verfechter nicht an eine demokratische, sondern an eine unternehmerische Umsetzung dieser Zukunft glauben.
In den USA ist die libertäre Position inzwischen oft sehr nah an der republikanischen System- und Staatsverachtung, und so sympathisiert Musk offen mit den Republikanern. Die wiederum an der Abschaffung der Demokratie arbeiten. Befeuert und angetrieben von Donald Trump, für den der famose Schmähschriftsteller Peter Rühmkorf 1953 in seiner Schrift »Der Literaturwilderer« einen perfekt passenden Begriff erfand: Gelegenheitsfaschist. Dass genau dieser Personenkreis von Musks Twitter-Herrschaft sehr angetan ist, konnte man daran erkennen, dass die Verwendung des N-Wortes auf Twitter nach dem Kauf um 500 Prozent gestiegen ist.
Die angekündigten Strategien sind teils widersprüchlich
Ohnehin hat Twitter ein massives Problem mit Hass und Hetze. Die bisherige Unternehmensführung hat es in mehr als einem Jahrzehnt nicht geschafft, dieses Problems Herr zu werden. Im Gegenteil haben viele eigentlich netzaffine und digitalöffentliche Menschen Twitter verlassen, weil sie es nicht mehr aushalten. Musk hat nun angekündigt, Twitter als Ort der radikalen Redefreiheit auszubauen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass er den Eindruck hat, die bisherigen Bemühungen gegen Hass und Hetze hätten zu stark in die Redefreiheit eingegriffen. Dafür gibt es tatsächlich valide Argumente – aber Musk vergisst nach Art der Libertären völlig, dass zur Rede- und Meinungsfreiheit gehört, dass man etwa auch als Teil einer Minderheit twittern können muss, ohne Angst vor einem Hassmob haben zu müssen. Übrigens hat Twitter schon einmal ins extreme »Free speech«-Horn geblasen. Der ehemalige Twitter-CEO Dick Costolo nannte Twitter 2012 den »Free-Speech-Flügel der Free-Speech-Partei« . Das hat zu einer völlig unzureichenden »Content Moderation« (etwa: Inhalte-Moderation) und damit zum heutigen Hassproblem von Twitter geführt.
Unternehmerisch übrigens hat Elon Musk eine Reihe von teilweise widersprüchlichen Strategien angekündigt. Er hat etwa gesagt, man könne Twitter zu einem WeChat des Westens machen . Das chinesische WeChat ist eine der mächtigsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Plattformen der Welt, eine Mischung aus WhatsApp, Telegram und Super-Appstore. Vielleicht nicht diese, aber irgendeine Evolution ist auch zwingend notwendig, Twitter sieht seit mehr als zehn Jahren praktisch gleich aus und hat einen langen Track-Record an komplett verbockten Ansätzen der Weiterentwicklung. Mehr noch, Twitter ist mit fast 70 gekauften und weitestgehend auswirkungslos gebliebenen Start-ups der legitime Nachfolger von Yahoo, das noch aus jedem aufgekauften Digitalunternehmen wertlosen Codeschrott herzustellen vermochte. Soziale Netzwerke aber müssen sich weiterentwickeln, um relevant zu bleiben.
Hier könnte Elon Musk tatsächlich Gutes für Twitter bewirken, denn die ersten angekündigten Funktionen erscheinen zunächst ziemlich sinnvoll, etwa die monatliche Gebühr für Leute mit »blauen Haken«, dem Verifikationsmerkmal der Plattform. Auf diese Weise sind sehr viele sehr wichtige und reichweitenstarke Twitternde plötzlich nicht nur Nutzende, sondern auch Kunden. Die man, dem Markt sei Dank, nicht massenhaft verprellen darf.
Twitter ist das wichtigste öffentliche Nachrichtennetzwerk der Welt, das besonders bei Krisen, politischen Verwerfungen und Katastrophen für die Wahrnehmung und Erstdeutung essenziell ist. Zugleich sind viele moderne, politische Bewegungen ohne Twitter kaum vorstellbar oder wären viel weniger wirkmächtig. #Blacklivesmatter etwa, das oft als Hashtag daherkommt (das Prinzip Hashtag wurde im August 2007 von Chris Messina auf Twitter für Twitter erfunden). Deshalb ist Twitter so attraktiv für Manipulationen aller Art, von Propaganda über ideologische Umdeutungen bis zum Betrug. Und deshalb hat Musk Twitter mutmaßlich gekauft, um eine möglichst ungetrübte Hoheit über dieses extrem machtvolle Instrument der weltweiten, öffentlichen Beeinflussung zu bekommen.
Es gibt eine Chance, dass Musk Twitter verbessert
Faktisch ist Twitter nicht eines von vielen sozialen Medien, sondern eine eigene mediale Kategorie. Daher kann man die vollständige Kontrolle eines Mannes über Twitter grob damit vergleichen, als würde eine Person etwa sämtliche öffentlichen Screens der Welt kontrollieren. Das ist naheliegenderweise problematisch. Bisher hatte Twitter zwei Korrektive eingebaut. Zum einen die früher vergleichsweise diverse Eigentümerstruktur von Twitter, wodurch die jeweilige Geschäftsführung durch den Verwaltungsrat kontrolliert wurde. Da Elon Musk Twitter komplett dirigieren möchte, hat er diesen Verwaltungsrat bereits abgeschafft und wird selbst CEO. Damit fällt ein früheres Korrektiv der Informationsweltmacht Twitter weg.
Es gibt, das sollte man berücksichtigen, durchaus auch eine gewisse Chance, dass Musk Twitter verbessert. Aber die größten Hoffnungen, dass Twitter nicht zur muskschen Manipulationsmaschine verkommt, ruhen auf dem zweiten Korrektiv. Das – hier schließt sich der Kreis – ist der Markt. Genauer gesagt: der Werbemarkt. Twitter verdient sein Geld weitgehend mit Werbung. Aber niemand möchte die eigene Werbung neben Hass- und Hitler-Tweets sehen. Mit dem Netz ist der Begriff »Brand Safety« groß geworden, die Gewissheit, die eigene Marke nicht neben monströsen Inhalten wiederzufinden. Deshalb hat Elon Musk schon kurz nach dem Kauf einen offenen Brief an die Werbetreibenden geschrieben : »Twitter darf natürlich kein Alles-ist-möglich-Höllenloch werden, wo alles gesagt werden kann, ohne Konsequenzen!« Das hört sich zwar ganz anders an als radikale Redefreiheit, aber schon durch Musks Wankelmut ist damit überhaupt nicht klar, was am Ende dabei herauskommt.
Musk ist zwar nicht unbedingt gezwungen, mit Twitter Geld zu verdienen. Aber bei 44 Milliarden größtenteils fremdfinanzierten Dollar Kaufpreis wäre das doch mittelfristig schon ganz gut. Selbst für den reichsten Mann der Welt. Schon um seinen Co-Investor nicht zu verprellen, den saudi-arabischen Prinzen Al-Walid , der sich sicherlich nach Art des saudischen Königshauses kaum in die Twitter-Politik einmischen wird. Die Abhängigkeit von möglichen Werbekunden und damit dem Markt ist daher im Moment mit dem angekündigten Massenmarkt der Blauhaken der wichtigste Strohhalm, an den man sich klammern kann, wenn man darauf hofft, dass Elon Musk Twitter nicht zu einer antidemokratischen, digitalen Hass- und Manipulationsmaschine verkommen lässt. Natürlich dürfen alle weiter auf den bösen Markt schimpfen, wie sie lustig sind. Aber klüger wäre es, gerade in digital vernetzten, globalisierten Zeiten in Märkten auch ein Modell, ein Instrument zu sehen, das sich zur Stärkung der liberalen Demokratie verwenden lässt.