"Empire State Rebellion" Anonymous erklärt Regierungen den Krieg

Anonymous-Video auf YouTube: Propaganda der Namenlosen
Foto: YouTubeHamburg - Anonymous, das führerlose Netzwerk von Internetaktivisten, hat sich einen neuen Feind ausgesucht: Die Web-Guerilla fordert den Rücktritt von Ben Bernanke, seit 2006 Notenbankchef der USA. Am Dienstag startete nach wochenlangen Vorbereitungen die "Operation Empire State Rebellion", ein Manifest und diverse YouTube-Videos erklären die neueste Mission der von sich selbst überzeugten Kämpfer gegen jedwede Unterdrückung.
Damit eröffnet Anonymous die nächste Front. Das Netzwerk hat sich bereits mit zahlreichen Regierungen angelegt, mit Unternehmen und der Church of Scientology. Immer neue Ziele gibt es, ob nun die türkische Regierung, die ein Internetfiltersystem einführen will, oder die Herrscher in Ägypten, Libyen oder Iran, die den Bürgern den freien Zugang zu Informationen versperren wollen.
Mit martialischen Werbespots und glühenden Manifesten werden die Anhänger von Anonymous aufgerufen, bei DDoS-Attacke mitzumachen, bei massenhaften Zugriffen auf Webserver, die das Angriffsziel blockieren und lahmlegen. Mit Hacken, dem Eindringen in Computersysteme, hat das nicht besonders viel zu tun, weiß die Anthropologin Gabriella Coleman, die Anonymous beobachtet. "Echte Hacker verachten Anonymous", sagte sie dem "Tagesspiegel" . Die Blockade von Websites ist allerdings ein gutes Mittel, um schnell große Aufmerksamkeit zu erlangen.
Operationen mit wechselhaftem Erfolg
Weil sich praktisch jeder zu Anonymous zählen kann, gibt es mittlerweile eine Vielzahl von sogenannten Operationen, die spontan in Chat-Räumen und Foren verabredet werden - mit wechselndem Erfolg und Zuspruch. Den Anfang nahm die Bewegung in dem anarchischen Webforum 4chan. Zunächst gab es zwei Stränge von Anonymous: Eine Gruppe verschrieb sich dem Protest gegen die Church of Scientology, die 2008 ein internes Video aus dem Netz zensieren wollte. Dieser Arm der Bewegung protestiert unter anderem regelmäßig in vielen Ländern vor Scientology-Filialen.
Eine andere Gruppe unterstützt die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Zunächst wurden Webserver von Finanzunternehmen angegriffen, die Spenden an WikiLeaks nicht weiterleiten wollten. Dann entschlossen sich Anonymous-Anhänger, bei der Auswertung der von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente zu helfen - auch um zu zeigen, dass die Bewegung nicht nur destruktiv sein kann. Anonymous wurde bekannt und erhielt weiter Zulauf.
Seitdem vergeht kein Monat, oft nicht einmal eine Woche, ohne neue "Operation" gegen jedwede Form von Internet-Unterdrückung. Auch bei der (kleinen) Demonstration nach der Abschaltung des Raubkopie-Verzeichnisses kino.to waren die typischen Masken der Gruppe zu sehen. Die zahlreichen DDoS-Attacken rufen allerdings die Strafverfolger auf den Plan. Gerade erst hat das Landgericht Düsseldorf - allerdings in einem anders gelagerten Fall - eine derartige Blockade von Webservern als Computersabotage eingestuft, zu ahnden nach Paragraf 303b Strafgesetzbuch. Darauf stehen, in besonders schweren Fällen, bis zu zehn Jahre Gefängnis. Schon der Versuch ist strafbar.
Digitaler Sitzstreik oder Internetangriff?
Das kümmert die selbsternannte Freiheitsbewegung Anonymous im Zweifel wenig. Die Anhänger fühlen sich im Internet zu Hause, die Regierungen dieser Welt sollen gefälligst ihre Finger davon lassen. Wer versucht, regulierend einzugreifen, bekommt es mit dem Cyber-Mob zu tun. Und überhaupt: Wenn das Leben von immer mehr Menschen sich zu großen Teilen im Internet abspielt, muss es dann nicht auch dort öffentliche Räume und die Möglichkeit zum Protest geben?
Ist eine DDoS-Attacke nichts weiter als ein Sitzstreik, der ein paar Stunden andauert, womögliche kurzzeitig Geschäfte vermiest, letztlich aber keine katastrophalen Folgen hat? Die Justiz hat in vielen Ländern darauf eine Antwort gefunden: Die Angreifer werden verfolgt, wer zu DDoS-Attacken aufruft, diese organisiert und Anleitungen dazu bereitstellt, wird verfolgt. So wie im Fall der Anonymous-Angriffs auf einen französischen Energiekonzern.
Weil eine Anleitung und womöglich auch die Organisation für die DDoS-Attacke über eine offene Plattform auf einem Server der Piratenpartei Deutschland zu finden war, bat die französische Justiz um Amtshilfe. Ein Gericht in Deutschland gab sein Okay, woraufhin das Bundeskriminalamt ausrückte und der Partei mitten im Wahlkampf den Server abstellte - offenbar, weil eine Website ein paar Stunden nicht richtig erreichbar war.
Kriegsrhetorik auf beiden Seiten
Auch in Großbritannien wurden bereits Aktivisten verhaftet, Durchsuchungen fanden ebenso in den USA statt. Zuletzt bekamen die zum Teil noch minderjährigen Anonymous-Anhänger in Spanien (drei Festnahmen) und in der Türkei (32 Festnahmen) Besuch von Ermittlern. Dass die Aktivisten, nur ein kleiner Teil von ihnen kann wohl überhaupt als Hacker bezeichnet werden, von der Polizei und der Politik ernst genommen werden, befeuert die Bewegung noch zusätzlich.
Selbst das Militärbündnis Nato hat Anonymous auf dem Schirm. In einem Bericht zur Cyber-Sicherheit, den ein Mitglied der parlamentarischen Versammlung verfasst hat, wird die Gruppe ausdrücklich als Bedrohung bezeichnet. Unlängst erklärten die USA das Internet zum potentiellen Schlachtfeld, Hacker-Angriffe können im Extremfall mit konventionellen militärischen Mitteln vergolten werden. DDoS-Attacken sind damit wohl nicht gemeint, solange keine Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Stromnetze lahmgelegt wird und Menschenleben gefährdet sind.
An der Kriegsrhetorik, die sich vor allem gegen staatliche Hacker richtet, berauscht sich Anonymous trotzdem. Mit der "Operation Empire State Rebellion" wird nun die nächste Regierung herausgefordert. Ob der zivile Ungehorsam gegen die US-Regierung ein Erfolg wird, steht noch nicht fest. Gut möglich, dass der "Hive", der Bienenstock, viel zu beschäftigt ist und die Aktivisten ihre Zeit lieber in eine der zahlreichen anderen Operationen stecken.
Anonymous surrt und brummt, und manchmal wird jemand gestochen.