Enthüllungsplattform US-Firma entfernt auch Schweizer WikiLeaks-Adresse

Die Schweizer Piratenpartei hatte die Adresse angemeldet - doch nun ist auch wikileaks.ch nicht mehr zu erreichen. Eine US-Firma machte den Zugang unmöglich. Die Enthüllungsplattform zog umgehend auf andere Adressen um.
WikiLeaks-Twitter-Eintrag: Adressen der Enthüllungsplattform gelöscht

WikiLeaks-Twitter-Eintrag: Adressen der Enthüllungsplattform gelöscht

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Bern - Die erste Ausweichlösung funktionierte nur kurz: Eine amerikanische Internet-Firma hat am Freitag auch die Schweizer Website mit den WikiLeaks-Dokumenten aus ihrer Datenbank gelöscht und damit den Zugang unmöglich gemacht. Zuvor hatte der Domain-Name-Provider EveryDNS auch schon wikileaks.org, die Hauptadresse der Enthüllungsplattform, entfernt.

Nach dem ersten Kennungsentzug war WikiLeaks auf die Schweizer Adresse umgezogen - doch wikileaks.ch war am Abend nicht mehr erreichbar. Eine Online-Recherche (Nameserver-Lookup) ergab, dass der Nameserver diese Adresse nicht mehr kennt.

Wenig später verkündete WikiLeaks auf Twitter , nun unter drei weiteren Kennungen erreichbar zu sein: http://wikileaks.de/, http://wikileaks.fi/ und http://wikileaks.nl/.

Die Schweizer Piratenpartei hatte wikileaks.ch bereits vor mehreren Monaten bei EveryDNS angemeldet. Das Unternehmen verwaltete auch die zentrale Website von WikiLeaks. Via Twitter hatte das Enthüllungsportal am frühen Freitagmorgen gemeldet: "Die Domain wikileaks.org ist nach angeblichen Massenattacken vom US-Provider everydns.net gekillt worden". 

EveryDNS teilte auf seiner Internetseite mit, man habe wikileaks.org bis zum Donnerstag 22 Uhr Ortszeit an der US-Ostküste kostenlos unterhalten. Dann habe man die Dienste eingestellt, "in Einklang mit den Geschäftsbedingungen". Via Twitter ergänzte das Unternehmen, man habe "im besten Sinne unserer Nutzer und Kunden gehandelt" . Begründung für die Aktion: Es habe mehrere Distributed-Denial-of-Service-Angriffe (DDoS) auf die Seite gegeben, also Cyberattacken, um wikileaks.org lahmzulegen. Angesichts der Gefahr weiterer Attacken hätte dies Folgen für die DNS-Dienste der übrigen rund 500.000 Adressen haben können, die EveryDNS verwaltet.

Die WikiLeaks-Internetseite ist grundsätzlich und weiterhin unter der Adresse http://213.251.145.96/ erreichbar. Alle Internetseiten haben einen solchen Zahlencode - die sogenannte IP-Adresse - als Basisadresse. Damit niemand den Code eintippen muss, gibt es sogenannte DNS-Provider wie EveryDNS. Sie fungieren als Telefonbücher des Internet: In ihren Datenbanken steht, welche IP-Adresse zu welchem Seitennamen gehört. Wer wikileaks.org eintippte, wurde über EveryDNS zu 213.251.145.96 verbunden.

Nun brachte auch die Piratenpartei Deutschlands Wikileaks auf ihren Servern unter. "Im Moment findet ein Cyberkrieg statt", erklärte Wolfgang Dudda vom Vorstand der Partei. "Es werden alle technischen Register gezogen, um Wikileaks mundtot zu machen." Als Partei der Bürgerrechte könne die Piratenpartei da nicht einfach zusehen.

Großer politischer Druck in den USA

WikiLeaks war in den vergangenen Tagen offensichtlich wegen Cyberangriffen oft schwer zu erreichen. Bei den DDoS-Attacken werden Server durch eine Vielzahl automatisch gesteuerter, gleichzeitiger Anfragen aus dem Netz ausgebremst, im schlimmsten Fall komplett lahmgelegt. Üblicherweise werden solche Angriffe von sogenannten Botnets ausgeführt - großen Netzwerken, die aus Rechnern zusammengestellt werden, die zum Beispiel von einer Trojaner-Schädlingssoftware befallen sind. Die Besitzer dieser Rechner merken oft nicht mal, dass ihre Computer Teil eines Großangriffs sind.

EveryDNS hat nach eigenen Angaben WikiLeaks per E-Mail, Twitter und über die Chat-Funktion der WikiLeaks-Web-Seite auf den drohenden Adressentzug wegen der Attacken hingewiesen. Die Organisation habe 24 Stunden vorher Kenntnis bekommen, teilte das Unternehmen mit. Die Aktion von EveryDNS macht klar, wie schwierig es für WikiLeaks inzwischen geworden ist, mit Internetanbietern in den USA zusammenzuarbeiten. Der politische Druck, der Plattform keine Basis zu geben, ist groß.

Sperraktionen auch bei anderen US-Anbietern

Etwa zeitgleich mit der Abschaltung der DNS-Dienste hat auch der Datenvisualisierungsdienst Tableau Software  alle von WikiLeaks hochgeladenen Daten aus seinem kostenlosen Angebot Tableau Public entfernt. Begründung: WikiLeaks habe gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen, weil es für die Veröffentlichung der Daten keine Rechte besitze. Es habe eine Beschwerde wegen eines bestimmten Datensatzes gegeben. Man behalte sich immer die Löschung vor.

Mit einer ähnlichen Begründung hatte schon vor anderthalb Tagen der Online-Händler Amazon mitgeteilt, WikiLeaks von seinen Servern auszusperren. Der Internet-Handelskonzern bietet auch Web-Dienstleistungen an, von denen WikiLeaks Gebrauch machte - dabei aber gegen Nutzungsbedingungen verstieß, argumentiert Amazon. So sähen die Geschäftsbedingungen vor, dass ein Kunde Rechte an Inhalten halten müsse, die er veröffentliche. Außerdem dürfe die Veröffentlichung niemandem schaden. Amazons Argumentation: "Es ist klar, dass WikiLeaks nicht über die Rechte an den vertraulichen Dokumenten verfügt." Und angesichts von mehr als 250.000 US-Diplomatendepeschen sei nicht gesichert, dass Unschuldige, wie etwa Menschenrechtler, geschützt seien.

US-Senator Joe Lieberman hatte zuvor offenbar bei Amazon interveniert. Der parteilose, den Demokraten nahestehende Vorsitzende des Senatsausschusses für Heimatschutz habe dem Konzern mit einem Boykott gedroht, berichtete der britische "Guardian".

hut/mak/dpa
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