Entscheidung zu Online-Archiven Bundesgerichtshof urteilt gegen Sedlmayr-Mörder

Mit einer Klage vor dem Bundesgerichtshof wollten die Mörder des Volksschauspielers Sedlmayr nach ihrer Haftentlassung erreichen, dass ihre Namen aus Internetarchiven gestrichen werden müssen. Der BGH lehnte das ab: Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit habe Vorrang.

Karlsruhe - Straftäter haben keinen generellen Anspruch darauf, dass ihre Namen später aus im Internet zugänglichen Online-Archiven gelöscht werden. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe in Zusammenhang mit dem Mord an Münchner Volksschauspieler Walter Sedlmayr. Die verurteilten Täter müssten einen gewissen Eingriff in ihr Recht auf Resozialisierung hinnehmen. (Az: VI ZR 227/08 und 228/08)

Die beiden Kläger waren 1993 wegen Mordes an Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilt und 2007 beziehungsweise 2008 entlassen worden. Mit ihrer Klage gegen das Deutschlandradio verlangten sie, der Sender müsse alte Beiträge aus seinem Online-Archiv herausnehmen oder überarbeiten, in denen ihr Name ganz genannt wird.

Im Gegensatz zum Oberlandesgericht Hamburg wies der BGH die Klagen nun ab. Es gehe um sachliche Beiträge ohne Prangerwirkung; die Verurteilten, die die Tat bis heute bestreiten, würden nicht neu stigmatisiert. Daher stehe das Interesse der Öffentlichkeit, auch zeitgeschichtliche Ereignisse recherchieren zu können, über den Belangen der Kläger.

Angesichts der Schwere des Verbrechens, der Bekanntheit des Opfers, des erheblichen Aufsehens, das die Tat in der Öffentlichkeit erregt hatte und des Umstands, dass sich die Verurteilten bis weit über das Jahr 2000 hinaus um die Aufhebung ihrer Verurteilung bemüht hatten, sei die Veröffentlichung unter Nennung der Namen zum Zeitpunkt ihrer Einstellung ins Internet zulässig.

Albtraum Archivkorrektur: Kosten, die das Aus bedeuten würden

"Hieran hat sich trotz der zwischenzeitlich erfolgten Entlassung der Kläger aus der Haft nichts geändert", teilte der BGH mit. Wenn Medien verpflichtet wären, von sich aus sämtliche archivierten Hörfunkbeiträge immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt, hieß es. Müsste das Deutschlandradio sein Archiv ständig kontrollieren und überarbeiten, habe dies so hohe Kosten zur Folge, dass entsprechende Beiträge möglicher Weise überhaupt nicht mehr in Internet-Archive eingestellt würden.

"Das ist kein Freibrief", betonte der Vorsitzende Richter Gregor Galke. Mit Blick auf die Resozialisierung von Straftätern sei im Einzelfall sorgfältig abzuwägen. Dem Beitrag des Deutschlandradios kam laut Urteil nur eine geringe Breitenwirkung zu, weil er auf der Internetseite gezielt gesucht werden musste.

Die Sedlmayr-Mörder wehren sich immer wieder gegen ihre Namensnennung in den Medien. So hat der BGH im November eine Klage der Brüder gegen einen österreichischen Internetanbieter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Die Richter sollen klären, wie es mit der Tilgung von persönlichen Daten bei ausländischen Anbietern aussieht.

In den USA wehren sie sich zudem gegen ihre Namensnennung auf den Seiten des Online-Lexikons Wikipedia der Wikimedia Foundation. Vor allem dies hat den Klagen der Täter internationale Aufmerksamkeit beschert und ihre Namen weltweit bekannt gemacht: Seit einer Abmahnung gegen die Wikimedia Foundation protestieren zehntausende von Web-Aktiven gegen deren vermeintliche Zensurwünsche mit demonstrativen Berichten unter Nennung der Namen.

Vor dem BGH geht es im April 2010 dann um eine weitere Klage der Mörder - diesmal gegen die Archivierung einer Zeitung. Auch gegen SPIEGEL ONLINE liegt eine entsprechende Klage vor.

Medienunternehmen hatten das Urteil des BGH mit Spannung erwartet. Eine Verpflichtung zur nachträglichen Veränderung von Archivinhalten hätte sie vor erhebliche Probleme gestellt. Da fast alle Onlinemedien und Onlineunternehmungen von Medienhäusern defizitär arbeiten, hätte dies in bestimmten Fällen das Aus für einen populären, gesellschaftlich sinnvollen und meist kostenlosen Service bedeuten können. Das juristische Risiko, im nachhinein für aktuell legitime Berichterstattungen verklagt werden zu können, wäre für kaum ein Medienunternehmen tragbar.

Im Archiv von SPIEGEL ONLINE lassen sich alle bisher erschienenen Meldungen und Artikel recherchieren, dazu alle SPIEGEL-Artikel bis zur Erstausgabe im Jahr 1947. Teil dieser Archivbestände sind auch Berichte über die Ermordung Sedlmayrs am 15. Juli 1990 sowie Artikel über die Ermittlungen und die Verhandlungen gegen die Täter.

pat/AFP/AP/dpa
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