Hype der Woche Leistungsschutzrecht als Happening

Nicht oft erhält die erste Lesung eines Gesetzes im Bundestag eine solche Netz-Aufmerksamkeit: Während die Reihen im Parlament Donnerstagnacht nur spärlich besetzt waren, schlug die Debatte in der Netzgemeinde hohe Wellen. Manche trafen sich sogar zum Public Viewing.
Live-Ticker bei der Rhein-Zeitung (Screenshot): Twitterer rufen nach Popcorn

Live-Ticker bei der Rhein-Zeitung (Screenshot): Twitterer rufen nach Popcorn

Hamburg - Das Leistungsschutzrecht ist außerordentlich beliebt. Zumindest wenn man nach den Twitter-Trends geht: Noch am Mittag liegt das entsprechende Hashtag #LSR auf Platz eins dieser Twitter-Charts; eine ganze Nacht lang schien das Thema im deutschsprachigen Netz zu dominieren - und wurde regelrecht zum Hype.

Denn im Bundestag fand am späten Donnerstagabend die erste Lesung zum umstrittenen Gesetz statt. Während allerdings die Reihen im Bundestag nur noch spärlich besetzt waren, wurde die Debatte im Netz begleitet wie ein Fußballspiel der WM. Von vielen Bürgern mag es kaum registriert worden sein, aber Blogger und Twitterer schenkten der Debatte eine riesige Aufmerksamkeit - wohl auch, um das Thema stetig im Gespräch zu halten, selbst wenn das Gesetz zu später Stunde auf den Weg gebracht wird.

Mathias Schindler, in seinem Beruf eigentlich Projektmanager beim Wikipedia-Verein Wikimedia Deutschland, opferte seine Feierabendstunden sogar für einen Live-Ticker zur Debatte , der auf der Website der Rhein-Zeitung zu lesen war. Erwartungsgemäß hielt sich die Spannung jedoch in Grenzen. Um 22.46 Uhr hieß es trocken: "Wir nähern uns dem Tagesordnungspunkt 19."

Public Viewing und Bullshit-Bingo

Aber die skurrile Live-Berichterstattung schien doch dem Geist der Nacht zu entsprechen: Hier wird etwas auf den Weg gebracht und besprochen, anhand dessen sich der digitale Graben in all seiner Tiefe zeigt. Es gibt zwei Lager, die jeweils die Argumente der Gegenseite so absurd finden, dass statt einer Einigung stets hitzige Debatten zu erwarten sind - und die könnten nicht nur wegweisend, sondern auch unterhaltsam sein.

Der Berliner Hackerspace C-Base hatte sogar zum Public Viewing geladen. Die Debatte aus dem Bundestag wurde im Livestream übertragen, netzaffine Menschen konnten sich dort zum gemeinsamen Gucken treffen. Und womöglich dabei spielen: Der Journalist Torsten Kleinz hatte für die Debatte schon vorab eine Bullshit-Bingo-Liste über Twitter publiziert .

Bei dem Spiel geht es darum, in Politikerreden, bei Vorträgen und Präsentationen die Phrasendrescherei zu entlarven: In einer Tabelle werden abgedroschene Worthülsen aufgeführt, die durchgestrichen werden, sobald sie fallen. Bei der Bingo-Liste zum Leistungsschutzrecht zählen zu den Reizwörtern laut Kleinz unter anderem "Kostenlosmentalität", "Zensur", "Diebstahl", "rechtsfreier Raum", "Milliardenkonzern" oder "innovationsfeindlich".

"Fail" und "Facepalm"

Stattdessen ruft mancher Twitterer nach Popcorn, als der CDU-Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling ans Rednerpult tritt. "Ausgerechnet der Ansgar Heveling...der Internetspezialist", bemerkt der Twitter-Nutzer Kaiser von Darmstadt  ironisch, hat sich doch Heveling schon durch einen Gastbeitrag im Handelsblatt viele Feinde in der Netzgemeinde gemacht - die jetzt seinen Redebeitrag schon fast hämisch erwarten und sofort zerreißen.

Nutzer Bob Grillen  spricht von "rhetorischem Blödsinn" und fragt anschließend "Wo kann man den denn wegbuzzern?"

Überhaupt scheinen sich die meisten der Live-Gucker und Kommentatoren im Netz in dieser Nacht einig: Das LSR ist Murks, eine Katastrophe, die es zu verhindern gilt. "Allein der Name Leistungsschutzrecht ist doch schon eine Neusprech-Leistung" lästert Userin Katta , und 00Sleepy stänkert : "Wenn das Leistungsschutzrecht durch den Bundestag kommt, macht sich die Regierungskoalition zum wiederholten Male völlig lächerlich."

Weniger Einigkeit als im Netz herrscht im Bundestag, wo zeitgleich gestritten wird. Schindler tickert um 23 Uhr in der Nacht: Martin Dörmann (SPD) und Thomas Jarzombek (CDU) "liefern sich ein kurzes Wortgefecht, das vom Präsidium unterbunden wird. Ich empfehle den beiden Abgeordneten Twitter, damit wir etwas von dem Dialog haben."

Die Grünen-Abgeordnete Tabea Rößner fand im Parlament jedenfalls schon Worte für das vorgeschlagene Gesetz, die in einer richtigen Twitter-Debatte nicht fehlen dürfen: "Fail" und "Facepalm".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren