Umstrittene Richtlinie EU-Gutachter hält Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig

Es ist ein wichtiger Etappensieg für den Datenschutz: In einem Gutachten erteilt EU-Generalanwalt Cruz Villalón der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eine klare Absage. Die Chancen steigen, dass der Europäische Gerichtshof die Regelung kippt.
Rechenzentrum: Zugriff auf sensible Daten nicht ausreichend geregelt

Rechenzentrum: Zugriff auf sensible Daten nicht ausreichend geregelt

Foto: JONATHAN NACKSTRAND/ AFP

Luxemburg - Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung verstößt nach Ansicht eines Gutachters am Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Grundrechtecharta der EU. Das geht aus einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Rechtsgutachten  von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón hervor. Ein Urteil könnte Anfang kommenden Jahres fallen - häufig folgen die Richter am EuGH den Gutachten der Generalanwälte.

Nach der Richtlinie 2006/24/EG müssen die Mitgliedstaaten ein Gesetz verabschieden, nach dem Provider mindestens sechs Monate lang speichern müssen, wer mit wem wann telefoniert hat, wer das Internet wann genutzt hat und wer wem eine E-Mail geschrieben hat - alles ohne konkreten Verdacht.

Grundsätzlich aber sei das Ziel der Vorratsdatenspeicherung völlig legitim, nur eben die aktuelle Umsetzung nicht: Cruz Villalón kritisiert, dass der Zugriff auf die sensiblen Daten in der Richtlinie nicht ausreichend geregelt ist. Ebenso müsse die Verwendung der Daten an klare Regeln geknüpft sein. Es gebe auch keinen Anlass, die Speicherung nicht auf maximal ein Jahr zu beschränken. In der Richtlinie sind bis zu zwei Jahre vorgesehen.

Sollten die Richter dem Gutachten folgen, könne die Richtlinie bis zu einer Neuregelung in Kraft bleiben, schreibt Cruz Villalón. Der High Court of Ireland und der österreichische Verfassungsgerichtshof hatten den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet, um die Rechtmäßigkeit der Richtlinie feststellen zu lassen.

In Deutschland war ein erstes Gesetz zur Speicherung von Vorratsdaten 2010 vom Bundesverfassungsgericht aus ganz ähnlichen Gründen gekippt worden, die nun der EU-Generalanwalt anführt. Kläger waren damals unter anderem auch die FDP-Politikerin Sabine Leutheusseer-Schnarrenberger, die ab 2009 Bundesjustizministerin wurde. Union und SPD haben in den Koalitionsverhandlungen aber abgemacht, die umstrittene Speicherung wieder einzuführen.

In einer ersten Reaktion zeigte sich der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) im Bundeskriminalamt, Andy Neumann, entsetzt: "Europa macht sich aus lauter Angst vor staatlichen Institutionen zum Schlaraffenland für Kriminelle." Es stehe zu befürchten, dass sich die Richter der Auffassung des Generalanwalts anschließen könnten.

Der europäische Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht begrüßte das Gutachten hingegen als "Befreiungsschlag für die Bürgerrechte in Europa." Die Vorratsdatenspeicherung müsse nun umgehend in der ganzen EU abgeschafft werden, sagte Albrecht.

Der neue FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der am Wochenende in seiner Grundsatzrede auf dem FDP-Bundesparteitag die geplante Vorratsdatenspeicherung scharf kritisiert hatte, sagte am Donnerstag: "Hinter einer EU-Richtlinie kann sich nun niemand mehr lange und guten Gewissens verstecken. Union und SPD müssen endgültig politisch Farbe bekennen. Wer nach den Enthüllungen zur Tätigkeit der NSA eine anlasslose Speicherung aller Kommunikationsdaten einführt, verfehlt den Regierungsauftrag zum Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte." Für dieses Misstrauensvotum gegen alle Bürgerinnen und Bürger verliere die Große Koalition hoffentlich bald die vorgeschobene Entschuldigung einer EU-Richtlinie, so Lindner weiter.

ore/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten