Überraschung in Straßburg EU-Parlament bremst Urheberrechtsreform aus

Die Debatte um ein neues Urheberrecht geht in die Verlängerung: Das Plenum des EU-Parlaments weigert sich, die Pläne in der bisherigen Form voranzutreiben. Netzaktivisten jubeln, Verlage und Künstler ärgern sich. Der Überblick.

Das Plenum des Europaparlaments in Straßburg hat die EU-Urheberrechtsreform wegen Bedenken etlicher Abgeordneter vorerst ausgebremst. Die Abstimmung, vor der sich Befürworter wie Gegner des jüngsten Reformvorschlags gegenseitig Täuschungsmanöver vorgeworfen hatten , endete am Donnerstagmittag mit 318 zu 278 Stimmen für die Gegner des Entwurfs. 31 Abgeordnete haben sich enthalten.

Was ist die EU-Urheberrechtsreform?

Das EU-Urheberrecht braucht seit Langem eine Überarbeitung: Die aktuell geltende EU-Urheberrechtsrichtlinie stammt aus dem Jahr 2001. Seitdem hat sich die Digitalwelt grundlegend verändert, beispielsweise sind Dienste wie YouTube und Facebook entstanden. Gestritten wird daher nicht um die Frage, ob eine Urheberrechtsreform überhaupt nötig ist, sondern wie sie gestaltet werden sollte.

Auf den Weg gebracht hat die Reform die EU-Kommission, als Günther Oettinger noch Digitalkommissar war. Mitte Juni sprach sich der Rechtsausschuss des EU-Parlaments für die Pläne aus, dabei kam der derzeit aktuellste Entwurf  zustande. Den Text, der zur Abstimmung stand, hatte der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss erarbeitet.

Worum ging es bei der heutigen Abstimmung?

Die Abgeordneten haben darüber abgestimmt, ob das EU-Parlament auf Grundlage dieses Entwurfs Verhandlungen mit dem Rat aufnehmen darf - also die Reform in ihrer jetzigen Form weiter vorantreiben soll.

Es wurde daher nicht oder nur indirekt über inhaltliche Details abgestimmt: Die Abgeordneten konnten sinngemäß entscheiden "Ja, passt so" oder "Nee, irgendwas daran stört mich". Bereits im Vorfeld der Abstimmung war ein knappes Ergebnis erwartet worden.

Warum ist die Reform so umstritten?

Im Kern sind es nur zwei Artikel des Entwurfs, die seit Monaten für Streit sorgen. Einmal Artikel 13, der die Debatte um sogenannte Upload-Filter ausgelöst hat. Damit gemeint ist Software, die vorab prüfen soll, ob von Nutzern in Netz hochgeladene Dateien wie Bilder, Videos oder Musik urheberrechtlich geschützt sind - das könnte beispielsweise eine Rolle spielen, wenn jemand eine Gif-Datei hochlädt, die auf einem Filmausschnitt basiert.

Obwohl der Begriff Upload-Filter in der Vorlage gar nicht fällt, könnte ihr Einsatz für viele Plattformen unausweichlich werden. Denn kämen die neuen EU-Regeln wie bislang geplant, wären bestimmte Dienste wie YouTube in der Pflicht, sich auch bei von Nutzern hochgeladenen Inhalten die Zustimmung eventueller Rechteinhaber einzuholen. Technisch liefe das auf Upload-Filter heraus. Bislang müssen Plattformen Inhalte erst im Nachhinein löschen, wenn eine Rechteverletzung festgestellt und ihnen gemeldet wird.

Ebenfalls umstritten ist Artikel 11. Darin geht es um ein Leistungsschutzrecht auf EU-Ebene, das darauf abzielt, dass Portale wie Google News künftig nicht mehr ohne Weiteres Überschriften oder kurze Ausschnitte von Pressetexten auf ihren Seiten anzeigen dürfen. Sie sollen vielmehr die Verlage um Erlaubnis bitten und gegebenenfalls dafür zahlen. Die Verlage erhoffen sich so trotz des Scheitern des deutschen Leistungsschutzrechts neue Einnahmen, neben Google beträfen die Regeln auch kleinere Blogs und Websites.

Wen freut das Ergebnis?

Netzaktivisten und Tech-Verbände hatten bis zuletzt mit Onlinekampagnen Abgeordnete dazu aufgerufen, gegen den bisherigen Reformentwurf zu stimmen - wegen des Leistungsschutzrechts und der Upload-Filter. Sie sehen dadurch das freie Internet und die Meinungsfreiheit bedroht: Upload-Filter können Fehler machen und beispielsweise verhindern, dass kreative Bildmontagen zu aktuellen Themen überhaupt erst im Netz auftauchen. Und theoretisch können sie auch zur Zensur eingesetzt werden.

Vor einer Verpflichtung für Plattformbetreiber, Upload-Filter einzusetzen, hatte zum Beispiel der Chaos Computer Club gewarnt. Auch Dorothee Bär, die Staatsministerin für Digitalisierung, bezog vor der Abstimmung Position gegen diesen Teil der Reform. Der Internet-Unternehmer Stephan Wolligandt hatte mit einer Onlinepetition namens "Stoppt die Zensurmaschine - Rettet das Internet!" mehr als 860.000 Stimmen gegen die Artikel 11 und 13 gesammelt.

Wen ärgert das Ergebnis?

Für die Reformpläne ausgesprochen haben sich zahlreiche Presseverlage wie Axel Springer, die das EU-Leistungsschutzrecht für sich als Weg sehen, an den Umsätzen von Firmen wie Google beteiligt zu werden.

Auch die meisten Vertreter der Musik- und die Filmbranche drängten auf ein Durchwinken der Reform, oft wurde die Abstimmung am Donnerstag zu einer Grundsatzentscheidung Pro oder Contra Urheberrecht hochstilisiert. Die Inhalteanbieter erhoffen sich durch die neuen Regeln eine stärkere Position, wenn es etwa darum geht, was Anbieter wie YouTube ihnen dafür bezahlen, dass etwa urheberrechtlich geschützte Musiktitel auf der Videoplattform abzurufen sind.

"Wir brauchen die Modernisierung des EU-Urheberrechts!", forderte im Vorfeld Iris Berben, die Präsidentin der Deutschen Filmakademie. "Sie wird die digitale Nutzung von Filmen, Musik und Bücher für unser Publikum vereinfachen. Im Gegenzug sollen nicht die Verbraucher, sondern die großen Plattformen uns etwas von ihren Milliardengewinnen abgeben."

Der Komponist Matthias Hornschuh ärgerte sich darüber, dass die Reform des Urheberrechts so lange dauert: "Wir drehen uns im Kreis", schrieb er am Mittwoch . "Und das seit geschlagenen zwei Dekaden."

Welche Haltung hat die Bundesregierung zum Thema?

Von Regierungssprecher Steffen Seibert hatte es Mittwoch geheißen, die Vorschläge seien "aus unserer Sicht in der vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig". Grundsätzlich unterstütze die Bundesregierung aber ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Dies könne helfen, ihre Angebote in der digitalen Welt zu refinanzieren.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Ausgang der Abstimmung hat zur Folge, dass sich das Plenum nach der Sommerpause im September erneut mit dem Thema beschäftigt: Die Reform wurde von den Abgeordneten zunächst ausgebremst, aber nicht gestoppt.

Mit Blick auf den Termin im September sind dann, anders als im Vorfeld der heutigen Abstimmung, auch neue Änderungsanträge möglich. Vorschlagen können diese Änderungen jetzt Fraktionen oder Gruppen von mindestens 38 Abgeordneten.

So besteht zumindest die Möglichkeit, dass Aspekte wie das Leistungsschutzrecht oder die Regelungen rund um Upload-Filter noch aus dem Entwurf verschwinden oder dass diese Punkte inhaltlich entschärft werden. Grundsätzlich sind aber genauso Anpassungen des Entwurfs in die gegenteilige Richtung denkbar.

Und theoretisch könnte im September der Vorschlag vom Plenum auch komplett abgelehnt werden - dann wäre die Reform vorerst gescheitert. Alternativ könnte das Plenum einen Entwurf ablehnen und an den Rechtsausschuss zurückverweisen.

mit Material von dpa und AFP
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