EU-weite Löschungen Umstrittene neue Regeln zu Terrorinhalten im Internet beschlossen

Es ging um Löschfristen und das Vertrauensverhältnis der Mitgliedstaaten: Seit 2018 wird um eine EU-Verordnung zu Terrorinhalten im Netz gerungen. Jetzt kommen Regeln, die EU-weite Sperren vorsehen – binnen einer Stunde.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson: Sie zählt zu den Befürworterinnen der neuen Regeln

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson: Sie zählt zu den Befürworterinnen der neuen Regeln

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STEPHANIE LECOCQ / AFP

Internetplattformen müssen Terrorpropaganda, die in der EU veröffentlicht und ihnen gemeldet wurde, künftig binnen einer Stunde löschen. Das Europaparlament billigte eine entsprechende Regelung  formal. Sie kann damit nun in Kraft treten, die neuen Regeln sollen aber erst mit einer Verzögerung von einem Jahr gelten.

Der Berichterstatter im Parlament, Patryk Jaki, sprach im Plenum von einem mächtigen Instrument. Das Internet sei heute das wichtigste Werkzeug und der wichtigste Rückzugsort für Terroristen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sagte, die Vorschrift sei ein heftiger Schlag gegen Terroristen.

Bereits Mitte Dezember hatten sich Unterhändler aus dem Parlament und den EU-Staaten vorläufig darauf geeinigt, dass Dienste wie Facebook und YouTube Terrorpropaganda binnen einer Stunde, nachdem sie von einer zuständigen Stelle dazu aufgefordert worden sind, entfernen oder sperren müssen. Kommen sie den Regeln dauerhaft nicht nach, drohen Geldstrafen. Für kleinere und nicht kommerzielle Anbieter sind Ausnahmen von der Ein-Stunden-Regel vorgesehen.

Es kommt auf den Kontext an

Plattformbetreiber sollen mit der Regelung nicht verpflichtet werden, hochgeladene Inhalte zu überwachen. Auch muss es keine automatischen Filter geben. Weiter erlaubt ist es auch, Bilder, Videos oder Texte, die ohne Kontext in die Kategorie Terrorinhalte fallen würden, beispielsweise für Bildungs- und Forschungszwecke oder in künstlerischen Zusammenhängen zu verbreiten. Journalistische Berichterstattung bleibt ebenfalls möglich.

Nutzerinnen und Nutzer, deren Inhalte im Zuge der neuen Regeln gesperrt werden, müssen vom Plattformbetreiber darüber informiert werden und können Beschwerde einlegen, wenn sie die Sperrung für ungerechtfertigt halten. Auch die Plattformen selbst können Überprüfungen von Löschanordnungen veranlassen.

Die jetzt auf den Weg gebrachte Regelung beruht auf einem Vorschlag der EU-Kommission von 2018. Eine Stunde sei »das entscheidende Zeitfenster«, in dem größter Schaden angerichtet werden könne, sagte der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker damals.

Firmen wie Facebook und Googles Videoplattform YouTube betonen häufig, dass sie Terrorinhalte inzwischen in vielen Fällen binnen wenigen Minuten löschen, noch bevor irgendjemand sie sieht.

Länderübergreifende Anordnungen sind möglich

Bürgerrechtler äußerten im Vorfeld der Entscheidung die Befürchtung, die jetzt beschlossene Regelung könne zu einer Beschneidung der Meinungsfreiheit missbraucht werden. Auch das mitunter angespannte Vertrauensverhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten war eine Frage, die die Ausarbeitung der Regeln belastete: Dass etwa eine Firma mit Sitz in Deutschland Inhalte auf Weisung einer rumänischen oder ungarischen Behörde löschen soll, sorgte für Bedenken.

Die Einigung sieht solche Löschanordnungen nun vor. Die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten sind demnach befugt, Anordnungen an Dienstanbieter zu erlassen, um Inhalte zu entfernen oder den Zugang in allen Mitgliedstaaten zu sperren. Welche Behörden im eigenen Land für die Anordnungen zuständig sind, können die Mitgliedstaaten selbst festlegen.

Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piraten, sagte, »trotz wichtiger Teilerfolge« wie dem Verhindern einer Pflicht zum Einsatz von Uploadfiltern und einem Schutz für Journalismus, Kunst und Wissenschaft, bedrohten »die ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt« die Meinungs- und Pressefreiheit im Netz. Antiterrorgesetze würden immer wieder »für ganz andere Zwecke missbraucht«, so Breyer, »etwa um gegen spanische Separatisten und Künstler, französische Demonstranten oder Flüchtlinge in Ungarn vorzugehen«.

mbö/dpa/AFP
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