Kritik an Facebook-Chef Mark Zuckerberg "Das ist feige"

Facebook-CEO Mark Zuckerberg im Interview mit Fox News
Foto: Brian Cahn/ imago images/ZUMA WireHat US-Präsident Donald Trump versucht, Wählerinnen zu täuschen und Demonstranten unrechtmäßig mit dem Einsatz von Schusswaffen einzuschüchtern? Twitter sagt Ja, Facebook sagt Nein. In beiden Fällen war die Entscheidung letztlich Chefsache. Twitter-Chef Jack Dorsey und Facebook-Chef Mark Zuckerberg scheinen erkannt zu haben, wie wichtig der Umgang mit Trumps Posts für die Zukunft ihrer Unternehmen ist.
Twitter versah einen Tweet von Trump zur Briefwahl mit einem Faktencheck und einen zweiten - über die Ausschreitungen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd - mit dem Hinweis, er verstoße "gegen die Twitter-Regeln zur Gewaltverherrlichung". Facebook ließ die beiden identischen Beiträge auf seiner Plattform unkommentiert stehen. Twitter markierte außerdem einen Tweet vom Account des Weißen Hauses und den eines republikanischen Kongressabgeordneten aus Florida mit einem Warnhinweis. Facebook-CEO Mark Zuckerberg hingegen gab Trumps Lieblingssender Fox News ein Interview und behauptete darin, Facebook habe stärkere Regeln zur Meinungsfreiheit "als viele andere" Plattformen.
Die interne und externe Kritik an Zuckerberg und der Führungsetage von Facebook für diese Entscheidungen fällt deutlich und grundsätzlich aus: "Warum konzentrieren sich die klügsten Köpfe der Welt so darauf, unsere Richtlinien zu verdrehen, um Donald Trump nicht zu verärgern, anstatt die Lösung gesellschaftlicher Probleme voranzutreiben?", fragte ihn ein Angestellter ganz direkt beim Videomeeting am Dienstag.
"Das Unternehmen, bei dem wir einst gearbeitet haben, hat die Machtlosen geschützt, nicht die Mächtigen. Jetzt stellt Facebook dieses Ziel auf den Kopf. … Das ist feige. Facebook sollte an Politiker höhere Maßstäbe anlegen als an deren Wählerschaft", schrieben 34 frühere Facebook-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in einem offenen Brief an Zuckerberg .
"Regierende sollten keine widerwärtigeren Dinge posten dürfen als reguläre Nutzer sozialer Netzwerke. Aber so wie Mark Zuckerberg in den vergangenen Tagen über Trumps Posts gesprochen hat, scheint es so, als hätte Donald Trump mehr Rechte als andere", sagte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsfreiheit, David Kaye, dem SPIEGEL.
Zuckerberg setzt auf Offenheit gegenüber beiden politischen Lagern
Zuckerberg weicht den kritischen Fragen und Vorwürfen bisher aus. Im Team-Meeting erklärte er zwar detailliert, wie und warum er Trumps Postings letztlich als richtlinienkonform interpretiert hat. Aber dadurch machte er auch klar, dass er nur die Einzelfälle klären und daraus - anders als zum Beispiel Snapchat - keine grundsätzliche Änderung seiner Haltung zu Trump ableiten wollte.
Seine Versprechen, wie solche Vorfälle künftig besser behandelt werden könnten, bleiben auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern denkbar vage:
Er wolle Vorschläge hören, welche "nicht binären" Optionen Facebook einführen könnte. Bisher werden Inhalte entweder gelöscht oder eben nicht.
Die Diskussion auf Facebook über das Thema staatliche Gewalt solle ausgeglichen sein, und die Richtlinien zum Umgang mit Wählertäuschung sollten an die Corona-Umstände angepasst werden.
Intern soll es mehr Transparenz über den Prozess der Entscheidungsfindung geben.
Auf organisatorischer Ebene sollen mehr diverse Stimmen in diesem Prozess eingebunden werden.
Die Kritiker wird Zuckerberg damit nicht zufriedenstellen, ihnen geht es nicht um Prozessoptimierung, sondern um Haltung, ums Prinzipielle: Darf es Social-Media-Nutzer erster und zweiter Klasse geben, wie sie Facebook mit seinen Ausnahmeregeln für Politiker geschaffen hat? Wo verlaufen die Grenzen der gesellschaftlichen Verantwortung der Plattformen? Läuft Facebook Gefahr, wie es ein Mitarbeiter ausdrückte, "auf der falschen Seite der Geschichte" zu enden?
Zuckerberg jedoch will wahrscheinlich auf gar keiner Seite enden. Es würde ihm und Facebook politisch, und damit in letzter Konsequenz wirtschaftlich, immer schaden, wenn Facebook als parteiisch wahrgenommen würde, erst recht in einem Wahljahr, in dem die Plattform und ihr Einfluss scharf beobachtet werden.
Facebook steht im Jahr der US-Wahl unter besonderer Beobachtung
Facebook sieht sich seit Beginn seiner Faktenchecks kurz nach der US-Wahl 2016 dem Vorwurf ausgesetzt, einseitig zulasten Konservativer zu arbeiten, sagt Renée DiResta vom Stanford Internet Observatory im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Denn leider richteten sich viele der Clickfarmen mit ihren frei erfundenen Storys, die sie auf Facebook verbreiteten und die Faktenchecks unterzogen wurden, an Konservative. Es ging dann weiter mit gewissen Trump-Unterstützern, die einfach Trolle waren, zum Beispiel Milo Yiannopoulos." Dessen Account und Seite löschte Facebook 2019 , nachdem er gegen die Hate-Speech-Richtlinien verstoßen hatte. "Auch so etwas wurde als antikonservative Zensur dargestellt", sagt DiResta. "Mittlerweile leben wir in einem bizarren Universum, in dem Faktenchecks als Voreingenommenheit angesehen werden."
Doch auch von der anderen Seite wird Zuckerberg als einseitig angesehen, er bekommt sozusagen Gegenwind auch von links: Facebooks Toplobbyisten in Washington, D.C., seien Konservative, lautet einer der Vorwürfe . Der Trump-Freund Peter Thiel habe als langjähriges Verwaltungsratsmitglied großen Einfluss auf Facebook, lautet ein anderer. Angekreidet wird Zuckerberg auch die Einbindung der rechten und unsauber arbeitenden Website "The Daily Caller" als externer Faktencheckorganisation.
Die Folge: Mal drohen Demokraten mit der Zerschlagung von Facebook, mal drohen die Republikaner damit, Plattformen wie Facebook haftbar für die Inhalte ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu machen - so wie zuletzt Donald Trump selbst mit seiner Exekutivanordnung. Die wird sich voraussichtlich zwar als zahnlos erweisen und wird auch schon juristisch bekämpft . Aber sie sei in erster Linie als Einschüchterungsversuch von Trump zu verstehen, sagt David Kaye.
Es geht um die Fundamente der US-Demokratie
Auch im Kongress gibt es immer wieder solche Ansätze wie zuletzt die Gesetzentwürfe "EARN IT Act" oder "Ending Support for Internet Censorship Act" . Zwar bräuchte es für neue Gesetze eine Kongressmehrheit, die derzeit nicht erkennbar ist, weil Demokraten und Republikaner verschiedene Ziele bei der Regulierung der Plattformen verfolgen. Aber Stanford-Forscherin Renée DiResta sagt: "Die Regierung hat noch andere Möglichkeiten, den Techunternehmen das Leben schwerer zu machen". Untersuchungen durch die Aufsichtsbehörden etwa oder den Einsatz von Kommissionen und Untersuchungen durch das Justizministerium.
Es drohen Strafzahlungen, Prozesse, schlechte Presse und allerhand weitere Effekte, die sich früher oder später negativ auf das Anzeigengeschäft und die wirtschaftliche Bilanz von Facebook auswirken könnten. Es ist Zuckerbergs Job, das zu verhindern. Das war es schon immer. Nur geht es auf den Straßen der USA derzeit um etwas Größeres, um die Fundamente der US-Demokratie. Wer dabei auf keiner Seite stehen will, das wollen Zuckerbergs Kritiker sagen, steht auf der falschen.