Bundesregierung vs. Facebook Wer stoppt den Hass?

Der Justizminister droht Facebook. Aber es ist fraglich, ob die Politik die großen Tech-Konzerne wirklich zum Kampf gegen Hassbotschaften bewegen kann. Druck bauen jetzt Justiz und Ermittler auf.
Heiko Maas

Heiko Maas

Foto: CLEMENS BILAN/ AFP

Entschlossen klingen sie ja, die Minister. Nach den Razzien gegen ein Clique von Facebook-Hetzern stellte sich Thomas de Maizière (CDU) vor die Kameras und sagte: "Hier wird ein Tabu gebrochen, und das wollen wir wieder aufrichten."

Kurz darauf legte der Justizminister nach. Heiko Maas (SPD) hat Facebook vorgeworfen, Versprechen zu brechen und deshalb mit neuer Regulierung in Europa gedroht - indirekt, aber doch unverhohlen, steht diese Warnung nachzulesenin einem Brief an Manager des Konzerns, der SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Starke Worte also, doch sind sie realistisch?

Das Sparring zwischen der deutschen Politik und Facebook beim Thema Hasskommentare geht schon ein gutes Jahr. Maas nahm sich der Sache im vergangenen August öffentlichkeitswirksam an. Der Druck, den er, andere Politiker, sowie Medien auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise aufbauten, erwischte Facebooks Vertreter kalt.

"Der Hass im Netz hat weiter zugenommen"

Maas verpflichte das Netzwerk zusammen mit Twitter, Google und einer Handvoll Nichtregierungsorganisationen zu einer Taskforce. Doch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Hetze im Netz sind äußerst mager.

Drei Mal tagte die Task Force binnen drei Monaten im Herbst 2015. Maas zog im Dezember ein positives "Zwischenfazit", weil die Tech-Konzerne gelobten, gemeldete Beiträge binnen 24 Stunden zu prüfen. Danach kam man nur ein weiteres Mal zusammen, im April 2016. Ein nächstes Treffen? Bislang nicht geplant.

Für Maas leitete sein Staatssekretär Gerd Billen die Runde. Dieser muss jetzt eingestehen, dass sich die Lage nicht gebessert hat: "Der Hass im Netz hat weiter zugenommen. Täglich erreichen mich Hinweise von Nutzern, und diese Meldungen nehmen nicht ab."

Während sich sein Minister für seine Kampfansage an Facebook feiern ließ - beziehungsweise zur Zielscheibe für jene wurde, die Zensur wittern -, spürt Billen die Mühen der Ebene.

Letztlich entscheiden die Chefs im Silicon Valley

Er saß zusammen mit den Vertretern, die Facebook, Google und Twitter aus ihren Europazentralen in Irland einfliegen ließen, und fragte immer wieder nach Zahlen und Details: Wie viele Hasskommentare werden gemeldet, wie viele gelöscht? Wer genau kümmert sich um die Meldungen? Bislang fehlen die Antworten.

Die Unternehmen verweigern die von Maas geforderte Transparenz - sie sind nicht dazu verpflichtet. Am Ende entscheiden nicht die Abgesandten der Konzerne in Berlin, Hamburg oder Dublin, sondern die Chefetage im Silicon Valley. Und dort macht eine Arbeitsgruppe mit Staatssekretär aus Berlin nur begrenzt Eindruck.

Facebook hat zwar angekündigt, dass Flüchtlinge in den Rang einer gegen Hassrede geschützten Gruppen gehoben werden, genau wie Homosexuelle, Muslime und Juden. Und aus einer groß angekündigten "Initiative für Zivilcourage online" entsprangen bislang drei Workshops und eine Handvoll Konzerte.

Nur die EU könnte ernsthaft Druck machen

Verbesserungen im Beschwerdeprozess sind aber nicht spürbar. Das muss auch Billen einräumen: "Mein Eindruck ist, dass der Verpflichtung, den Beschwerden von Nutzern ernsthaft nachzugehen, bislang nicht ausreichend nachgegangen wird."

Der Konzern beauftragte einen Dienstleiter in Berlin damit, Nutzermeldungen zu bearbeiten. Auch hier ist unklar, wie viele der nach letztem bekannten Stand 200 Mitarbeiter sich um Hasskommentare kümmern. Billen will sich das Team in Berlin anschauen - Facebook lässt den Staatssekretär aber nicht ins Gebäude.

Richtigen Druck auf Facebook kann nur die EU ausüben. Dort könnten den Netzwerken im Rahmen der Plattformregulierung Vorgaben gemacht werden. Doch schon im Nachbarland Polen sieht man die Problematik ganz anders als in Deutschland. Ein erster Verhaltenskodex zwischen Brüssel und Tech-Konzernen klingt zurückhaltender als die Taskforce-Bekenntnisse.

Hetzer selbst geraten verstärkt ins Visier

Justiz und Ermittler waren lange zögerlich bei der Verfolgung von Hasspostings. Jetzt verstärken sie ihr Vorgehen - deutlich öfter als vor einem Jahr werden Hausdurchsuchungen bei Online-Hetzern gebilligt, die Staatsanwaltschaften haben Sonderdezernate eingerichtet. Die Großrazzia vergangene Woche richtete sich gegen ein geschlossene Gruppe namens "Groß Deutschland". Aber auch wer öffentlich hetzt, wird öfter belangt.

  • Beispiel Sachsen: Hier gibt es deutlich mehr Ermittlungen wegen Volksverhetzung und Gewaltdarstellung im Internet: Im ersten Halbjahr 2015 waren es 39 Verfahren, im zweiten Halbjahr schon 145. In der ersten Hälfte 2016 wurden 215 Verfahren eingeleitet.
  • Beispiel Nordrhein-Westfalen: Eine im April eingesetzte Sondereinheit für Cyberkriminalität verfolgt ausgesuchte Fälle von Hassrede. Sie soll ein best-practice-Verfahren etablieren, das "sobald wie möglich flächendeckend als Handlungsanweisungen an alle Staatsanwaltschaften" gehen soll.

  • Beispiel Hamburg: Als kürzlich eine grüne Bürgerschaftsabgeordnete in eine konzertierte Hasskampagne geriet, zog die Staatsanwaltschaft den gesamten Fall an sich - und verfolgt auch jene Hassbotschaften von Nutzern aus anderen Bundesländern weiter, deren Fälle man sonst an die dortigen Behörden abgegeben hätte.

Diese Beispiele legen nahe: Die Ermittler haben mittlerweile erkannt, dass Verrohung in den sozialen Netzwerken auch reale Gewalttaten nach sich ziehen kann.


Zusammengefasst: Justizminister Heiko Maas versucht, Facebook und andere Tech-Konzerne über eine Taskforce zur Bekämpfung von Hetze im Netz in die Pflicht zu nehmen. Die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe sind dürftig. Aktuell sind es vielmehr die deutschen Ermittler, die Druck aufbauen, indem sie offensiver als bisher gegen die Hetzer selbst vorgehen.

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