Informant Snowden "Er ist ein Glücksfall für die Gesellschaft"

Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling: "Auch für Geheimdienste gibt es Grenzen"
Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERSSPIEGEL ONLINE: Herr Heckmann, müssen wir uns damit abfinden, dass große Teile unseres Verhaltens im Internet von ausländischen Geheimdiensten aufgezeichnet und überwacht werden?
Heckmann: Wir sollten es zumindest nicht. Wir müssen uns klar machen, dass da offenbar Dinge passieren, die nach unserem Verfassungsrecht nie passieren dürften.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Heckmann: Dass Geheimdienste für unsere Sicherheit sorgen wollen, ist an sich legitim. Der Zweck heiligt aber nicht die Mittel. Man stelle sich vor, jeder Vermieter würde heimlich einen Wohnungsschlüssel an den Geheimdienst liefern und dazu Informationen zu Grundriss, Mobiliar, und wann seine Mieter nicht zu Hause sind. Und das wäre noch harmlos im Vergleich zu dem Ausmaß, in dem das NSA-Programm Prism in die Privatsphäre eingreift.
SPIEGEL ONLINE: Aber war das aus Sicht der USA denn nicht rechtlich zulässig?
Heckmann: Ich habe Zweifel, ob die vagen Rechtsgrundlagen, auf die sich etwa die NSA im amerikanischen Recht stützt, das wirklich abdecken. Die pauschale Ermächtigung, dass die NSA tätig werden darf, "sobald und soweit" sie das "für erforderlich hält", ist ja im Grunde völlig schrankenlos. Auf Deutschland übertragen wäre das definitiv verfassungswidrig. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht etwa die Online-Durchsuchung und die Vorratsdatenspeicherung an strengste Voraussetzungen gebunden. Im Vergleich dazu kann man das, was derzeit zu Prism bekannt und bestätigt ist, nur als Totalüberwachung bezeichnen. Das vom Bundesverfassungsgericht unlängst entwickelte IT-Grundrecht, das ja auch die Vertraulichkeit und Integrität sozialer Netzwerke im Internet umfasst, wird hier völlig konterkariert.
SPIEGEL ONLINE: Staatliche Organe der USA oder Großbritanniens sind aber an deutsches Verfassungsrecht nicht gebunden.
Heckmann: Das ist richtig. Aber unsere Geheimdienste sind es. Und wenn der BND Datenaustausch mit der NSA betreibt, müssen wir uns fragen, ob er das darf, und ob er die so gewonnenen Daten hierzulande nutzen darf.
SPIEGEL ONLINE: Und, darf er?
Heckmann: Ich habe große Zweifel. Es ist doch kurios, die US-Auslandsgeheimdienste dürfen keine US-Bürger überwachen, die deutschen Geheimdienste keine deutschen - aber die Informationen gegenseitig austauschen, das soll man dürfen? Für Rechtsklarheit wird am Ende wohl das Bundesverfassungsgericht sorgen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Kann ein deutscher Bürger dort wegen Prism klagen?
Heckmann: Falls zwischen BND und NSA hier gegenseitig Informationen ausgetauscht werden, der BND also Teil eines Systems ist, das uns deutsche Grundrechtsträger mitbetrifft, kann eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. Spätestens dann, wenn der Rechtsweg zu den Straf- oder Verwaltungsgerichten ausgeschöpft ist.
SPIEGEL ONLINE: Und was, wenn sich das nicht belegen lässt?
Heckmann: Dann bliebe zumindest eine Klage in den USA oder Großbritannien.
SPIEGEL ONLINE: Auch von deutschen Bürgern?
Heckmann: Warum nicht? Eine Klage zumindest in Großbritannien wegen des britischen Überwachungsprogramms Tempora wäre schon deshalb interessant, weil dort die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gilt - und darin werden, was den Schutz privater Daten anbelangt, auch strenge Voraussetzungen aufgestellt.
SPIEGEL ONLINE: Geheimdienste dürfen doch aber mehr überwachen als etwa die Polizei?
Heckmann: Ja, weil sie ja nicht operativ tätig werden. Auch für Geheimdienste gibt es aber Grenzen. Natürlich ist es deren Aufgabe, Risiken zu minimieren, und es liegt in der Natur der technischen Möglichkeiten, diese auch zu nutzen. Doch Risiken ohne rechtliche oder moralische Grenzen minimieren zu wollen, hieße unsere Freiheit aufzugeben. Was wir jetzt brauchen, ist eine gesellschaftliche Debatte, ob wir das so hinnehmen wollen. Dabei sollte auch die Rolle des BND auf den Tisch kommen.
SPIEGEL ONLINE: Scheitert das aber nicht schon daran, dass Geheimdienste nun mal geheim arbeiten? Der Fall Snowden war aus deren Sicht ja kein Glücks-, sondern ein Unglücksfall.
Heckmann: Für die Gesellschaft ist es ein Glücksfall. Natürlich würde absolute Transparenz die Tätigkeit der Geheimdienste in Frage stellen. Auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags kann ja nicht in die Tiefe gehen, sondern muss sich mit rudimentären Äußerungen zufriedengeben. Das macht die Sache schwierig. Dennoch unterliegt die Tätigkeit von Geheimdiensten rechtsstaatlichen Grenzen.
SPIEGEL ONLINE: Erwarten Sie wirklich, dass der BND offenlegt, was er tut?
Heckmann: Nein. In der konkreten Arbeit muss er das auch nicht offenlegen. Hier geht es aber um Systemfragen. Zwar kann Offenheit bedeuten, dass bestimmte Mechanismen dann nicht mehr so nutzbar sind. Das muss man aber in Kauf nehmen. Natürlich ist es aus Sicht der Dienste am Besten, wenn es keine Diskussion und keine Forderung nach Rechtsgrundlagen gibt. Das führt letztlich zu der Frage: Wie regulierungsfähig sind Geheimdienste?
SPIEGEL ONLINE: Welche konkreten Maßnahmen wären denn denkbar?
Heckmann: Es kann nur über verfahrensmäßige Sicherungen gehen. Solche Dinge wie Prism muss man unterbinden. Das Vertrauen, dass sich staatliche Stellen an bestimmte Grenzen halten, auch ohne Kontrolle, ist tief erschüttert. Großbritannien ist immerhin ein EU-Mitglied! Es gibt Dinge, die lassen sich auch mit entsprechenden Gesetzen nicht legalisieren, die sind einfach nicht legitim. Es geht hier nicht nur um Sicherheitsfragen des Internets, es geht hier um eine, vielleicht die grundlegende gesellschaftspolitische Frage des 21. Jahrhunderts: Wie frei und selbstbestimmt ist die Gesellschaft im digitalen Zeitalter?
SPIEGEL ONLINE: Was folgt für Sie daraus?
Heckmann: Wir brauchen ein politisches Konzept dafür, welche Gesellschaftsform unter diesen technischen Bedingungen möglich ist. Wir haben jetzt einen ersten Einblick bekommen, was passieren kann, wenn alle Bürger über das Netz miteinander kommunizieren, wenn sie gewissermaßen ihre Identität, ihr Ich, ins Netz auslagern. Wir müssen Parameter entwickeln für eine Internetnutzung in Freiheit und Fairness, um das immense Missbrauchspotential, das darin schlummert, einzuhegen. Bislang agiert die Politik da viel zu kurzsichtig.
SPIEGEL ONLINE: Ist es so, dass wir zwar noch nicht in einer totalitären Gesellschaft leben, aber die technischen Möglichkeiten dafür haben?
Heckmann: Dem muss ich - leider - zustimmen.
SPIEGEL ONLINE: Hat es der Bürger aber nicht auch selbst in der Hand? Müsste er nicht vorsichtiger sein, mit dem, was er preisgibt gegenüber Google, Facebook und Yahoo?
Heckmann: Natürlich. Man sollte sich klarmachen, dass diese Unternehmen nicht nur Interessen der Nutzer verfolgen, auch wenn ihre Angebote sehr nützlich und komfortabel sind. Nach meinem Verständnis haben diese Firmen aber auch gewisse Treuepflichten. Zwar stimmen die Nutzer meist einer Datenauswertung zu. Bei Apple, Google oder Facebook beinhaltet das ausdrücklich sogar die Weitergabe von Informationen an die Geheimdienste. Aber ich habe große Zweifel, ob das wirksam ist. Nach den gängigen Maßstäben ist eine solche Datenweitergabe jedenfalls nicht Vertragsgrundlage. Noch weniger kann Microsoft die nun enthüllte Praxis, wonach sogar verschlüsselte Informationen zu Geheimdienstzwecken entschlüsselt werden, auf eine vertragliche "Vereinbarung" stützen. Hier besteht großer Aufklärungs- und Rechtsschutzbedarf. Nach den gängigen Maßstäben ist eine solche Datenweitergabe jedenfalls nicht Vertragsgrundlage. Und notfalls könnte man auch das vor den zuständigen Gerichten klären lassen.
