FDP-Sieg bei Bürgerrechten Stoppschild für Zensursula

Es war ihr großes Projekt. Jetzt hat Ursula von der Leyen die erste große Niederlage kassiert: Dass die FDP die umstrittenen Internetsperren der CDU-Ministerin gestoppt hat, ist auch ein Sieg für Piratenpartei und Netz-Aktivisten - und in Wahrheit kann sich sogar die Union damit arrangieren.
Ministerin von der Leyen (April 2009): Nun soll gelöscht werden, was sie sperren wollte

Ministerin von der Leyen (April 2009): Nun soll gelöscht werden, was sie sperren wollte

Foto: A3116 Tim Brakemeier/ dpa

Hamburg - Löschen statt sperren: Die FDP hat in den Koalitionsverhandlungen mal eben das Anti-Kinderporno-Gesetz von Ursula von der Leyen umgekehrt - und damit eine Forderung von Internet-Aktivisten umgesetzt.

Bisher sah das umstrittene Gesetz die Einrichtung einer Zensur-Infrastruktur vor - deshalb brachte es der CDU-Ministerin den Spitznamen "Zensursula" ein. "Den finde ich patent", sagte sie dazu: "Viel Feind, viel Ehr."

Von der Leyens Idee: Das Bundeskriminalamt (BKA) sollte den Internetprovidern geheime Listen mit verbotenen Internetadressen geben. Internetnutzer sollten nicht mehr auf die gesperrten Seiten gelangen, sondern auf ein Stoppschild. Diese Regelung ist noch von der Großen Koalition beschlossen worden und wird von Bundespräsident Horst Köhler demnächst wohl unterzeichnet. Aber die künftige schwarz-gelbe Bundesregierung hat in den Koalitionsverhandlungen beschlossen, ihre neuen Machtbefugnisse im Netz zunächst ein Jahr lang nicht anzuwenden. Sprich, die Sperrlisten sind gestoppt - auf Betreiben der FDP.

Noch vor wenigen Tagen schien es für die Union und von der Leyen im Internet kein drängenderes Thema als das Sperrgesetz zu geben. Jetzt spricht die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von einem "echten Durchbruch": Statt der Sperren sollen Strafverfolger gegen Seiten mit Kinderpornografie vorgehen. Deren Löschung verspreche schließlich mehr Erfolg als die Sperrung, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

Genau das hatten auch die Kritiker des Sperrgesetzes stets gefordert: Handeln statt Wegschauen - denn für eine geheime Zensurliste müsse das BKA schließlich ohnehin die Adressen der schändlichen Seiten kennen. Nun soll das BKA nach dem Fund einer Kinderporno-Seite sofort aktiv werden und bei Providern in Deutschland und aller Welt deren Löschung verlangen.

Schrille Töne gegen vorsichtige Kritik

Alvar Freude von der Initiative für ein freies Internet (Odem) hat Details zur Regelung veröffentlicht - diese wurden SPIEGEL ONLINE aus der FDP grundsätzlich bestätigt. Nach einem Jahr soll überprüft werden, wie erfolgreich die Lösch-Strategie ist. Dass das Gesetz nicht gleich gekippt wird, kann wohl als Zugeständnis an Ursula von der Leyen gewertet werden. Die Ministerin wird in der neuen Koalition schließlich noch gebraucht und soll mit der Übergangslösung offenbar ihr Gesicht wahren können - zumindest in der Union.

Die CDU-Politikerin hatte sich im Wahlkampf dermaßen in ihr Thema hineingesteigert, dass selbst vorsichtige Kritiker schrill zurechtgewiesen wurden. Je deutlicher der Protest wurde, je mehr die vermeintlichen rechtlichen und technischen Unzulänglichkeiten des Gesetzes in der Öffentlichkeit thematisiert wurden, desto verbissener verteidigten Unionspolitiker das Sperrgesetz. Innenminister Wolfgang Schäuble allerdings gestand schon in der vergangenen Woche ein, dass das eilig im Wahlkampf verabschiedete Gesetz handwerkliche Fehler enthält. Die CDU habe es gebraucht, um sich von anderen Parteien abzusetzen.

In Wahrheit können mit der nun gefundenen Lösung beide Koalitionspartner gut leben. Die CDU will im Kern genauso wenig eine Zensurbehörde, wie die Liberalen Kinderpornografie gutheißen.

Das Umdenken der Union hat offenbar auch mit dem Erfolg der Piratenpartei zu tun. Kanzlerin Angela Merkel soll intern selbst auf das Phänomen hingewiesen haben, dass die selbst ernannten Anwälte des Internets bei der Bundestagswahl aus dem Stand zwei Prozent der Stimmen erreicht haben - gerade weil sich das Wahlprogramm auf Netzfreiheit und Bürgerrechte beschränkte.

"Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse"

Mehr als 134.000 Menschen hatten eine Petition gegen das Gesetz unterschrieben; die Piraten wurden zur siebtgrößten Partei in Deutschland, mit 10.000 Mitgliedern und enormer Medienpräsenz. Gegner des Sperrgesetzes trafen sich Mitte September zu einer Loveparade der Bürgerrechte in Berlin. Unter den 20.000 Demonstranten waren Bürgerrechtsaktivisten, Gewerkschaftsmitglieder, Datenschützer. Ein Bündnis aus 160 Organisationen hatte zum Protest gerufen, unter ihnen auch die FDP.

Noch am Donnerstag hatten die Netz- und Bürgerrechtsaktivisten von FoeBuD und Campact der FDP-Unterhändlerin Leutheusser-Schnarrenberger eine Liste mit 20.000 Unterschriften in die Verhandlungen gereicht, um sie an die Wahlversprechen der Liberalen zu erinnern. "Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse", lautete ihr Appell. Eine Haltung, die die FDP in den Gesprächen vertrat. Sie reklamiert auch bei anderen Streitthemen der Inneren Sicherheit Verhandlungserfolge:

  • Der Einsatz der Bundeswehr im Inland wurde von der Union gar nicht erst groß thematisiert und ist vom Tisch.
  • Für die Online-Durchsuchung ist künftig ein Antrag der Bundesanwaltschaft nötig. Die digitale Hausdurchsuchung darf nur das BKA vornehmen und keine andere Behörde.
  • Bei der Vorratsdatenspeicherung wird der Zugriff auf Kommunikationsdaten vorerst beschränkt auf Fälle, in denen es um unmittelbare Gefahr für Leib und Leben geht. Ausgesetzt wird die Überwachung aber nicht - es ist ein europäisches Gesetz.

Leutheusser-Schnarrenberger hat als bayerische FDP-Vorsitzende in einer Koalition mit der CSU Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung mitgetragen. Die nun verabredeten Pläne setzen nicht zufällig auf die bayerischen Konsensregelungen - die Union kann sich mit diesen Lösungen prima arrangieren. Außerdem: Wie es bei den beiden Themen insgesamt weitergeht, entscheidet ohnehin voraussichtlich 2010 das Bundesverfassungsgericht.

Die Richter könnten die Vorratsdatenspeicherung sogar ganz kippen. Das wäre dann ein voller Erfolg für Leutheusser-Schnarrenberger. Sie gehört zu jenen liberalen Politikern, die Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung eingelegt haben.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten