Geplante Wall-Street-Blockade Anonymous sucht nach Anerkennung

"Adbusters"-Bericht über Anonymous-Unterstützung: Selbstgerechte Rächer
Sie wollen campen, vor der Wall Street in New York, um gegen die Börsenhändler zu protestieren, gegen die Spekulanten, die für die Wirtschaftskrise verantwortlich sind und jetzt wieder gut verdienen. Am 17. September sollen Zehntausende Demonstranten, ausgestattet mit Zelten, in Manhattan aufschlagen, Barrikaden errichten und wochenlang dort bleiben. Es soll an die Belagerung des Tahrir-Platzes in Ägypten erinnern. Soweit jedenfalls der Plan.
Sie, das sind vor allem linke Aktivisten, Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker. Aufgerufen zur symbolischen Wall-Street-Besetzung hatte das konsumkritische Magazin "Adbusters" aus Kanada bereits Mitte Juli.
Mehr als fünf Wochen nach dem Aufruf haben Anhänger der Web-Guerilla Anonymous beschlossen, die friedvolle Besetzung zu unterstützen - wie üblich mit einem martialischen YouTube-Video, in dem eine Computerstimme Teile des "Adbuster"-Textes vorliest, außerdem über den Twitter-Account und das Blog AnonOps. Offizieller geht es bei der vielköpfigen Hydra Anonymous kaum.
Der Schulterschluss mit den Globalisierungskritikern kommt nicht von ungefähr: Die selbsternannten Freiheitskämpfer der Anonymous-Bewegung brauchen eine Aktion, um neue Anhänger zu finden und die verspielten Sympathien der öffentlichen Meinung zurückzugewinnen. In den vergangenen Monaten wirkte die Bewegung ziellos, immer neue Aktionen wurden ausgerufen, gleichzeitig gerieten technisch weniger versierte Anhänger, die an massenhaften Zugriffen auf Webserver (DDoS) teilgenommen hatten, ins Visier des FBI. Sie hatten Unternehmen bestrafen wollen, die WikiLeaks offenbar auf Druck der US-Regierung ihre Dienste aufgekündigt hatten.
Digitaler Mob ohne Rücksicht auf Verluste
Die Zahl der Anonymous-Anhänger lässt sich nur schwer abschätzen. Die Namenlosen sammeln sich um bestimmte Themen, sind ein paar Tage oder Wochen aktiv - und verschwinden dann wieder, manchmal für immer. Einstige Unterstützer haben aber auch offene Briefe geschrieben, in denen sie ihre Enttäuschung kundtun. Der Kampf für Internet-Freiheit ist vielen zu radikal geworden, seit im Zuge der "Operation AntiSec" scheinbar wahllos Informationen erbeutet und im Internet veröffentlicht werden. Oftmals handelt es sich dabei um persönliche Daten von Behördenmitarbeitern.
So auch beim Protest gegen den öffentlichen Nahverkehr im kalifornischen San Francisco, den Bay Area Rapid Transit (Bart). Nachdem das Unternehmen eine Protestaktion wegen eines von der Bahnpolizei erschossenen Mannes unterbinden wollte und dazu das Handynetz in einigen Bahnstationen abschaltete, rief Anonymous zum Angriff auf. Zu Demonstration kamen dann allerdings mehr Pressevertreter als Web-Guerrilleros.
Dafür wurde eine Bart-Website gehackt und persönliche Daten ins Netz gestellt. Auch der Bart-Pressesprecher soll mit wenig vorteilhaften Fotos öffentlich bloßgestellt worden sein. In diesen Momenten wirkt Anonymous nicht wie eine freiheitsliebende Bewegung, die für Offenheit und Menschenrechte eintritt, die sich mit Ministerien und Behörden in autoritären Ländern wie Ägypten oder Iran anlegt. Anonymous wirkt dann wie ein digitaler Mob, der ohne Rücksicht auf Verluste wütet. Das kritisieren auch einige Alt-Hacker vom Chaos Computer Club.
Ebenso sorgte die Hacker-Gruppe LulzSec, die aus dem Anonymous-Umfeld erwuchs, bei einigen Anhängern für Bauchschmerzen. Offenbar unter der Führung von "Sabu", allem Anschein nach ein 30-jähriger New Yorker, sollen die weniger als ein Dutzend Hacker losgezogen sein, um zu cracken, was eben möglich ist - darunter Sony, Nintendo, PBS, Sicherheitsfirmen und Behörden. Immer wieder wurden dabei private Daten veröffentlicht. In Großbritannien wurden drei deutliche jüngere Männer in diesem Zusammenhang festgenommen, zweien werden LulzSec-Hacks angelastet.
Sympathie und gute Bilder
Auch kommt es immer häufiger zum öffentlich ausgetragenen Streit unter den selbsternannten Rächern: Weil praktisch jeder mitmachen kann, hat Anonymous viele Ziele und viele Interessen. Erst sollte Facebook angegriffen werden, dann lieber nicht, schließlich wird die von einigen Anonymous-Anhängern ausgerufene "Operation" nun doch unterstützt. Ebenso distanzierten sich Aktivisten der Web-Guerilla von der zuvor ausgerufenen "Operation RTL". Der deutsche Privatsender sollte attackiert werden, weil in einem Bericht über Besucher der Gamescom hergezogen wurde. Dabei ist der Angriff von Medien eigentlich tabu.
Denn trotz aller großen Gesten: Anonymous ist darauf angewiesen, dass die Botschaften oder zumindest die Auswirkungen ihrer Aktionen Widerhall in der Berichterstattung finden - und dass es für junge Menschen attraktiv erscheint, sich für Anonymous-Ziele einzusetzen. Nur so konnte aus einer Protestaktion gegen Scientology binnen weniger Jahre eine Bewegung werden. Ansonsten würde sich eine immer kleiner werdende Schar von Anhängern nur selbst bespaßen - ihr Protest würde weitgehend ungehört im digitalen Nirwana verhallen.
Der Protest vor der Wall Street könnte der Bewegung das liefern, was sie dringend benötigt: Sympathie, weil sie gegen ein allgemein akzeptiertes Feindbild antreten, und gute Bilder. Denn inmitten von Globalisierungsgegnern erregen die für Anonymous typischen Guy-Fawkes-Masken garantiert so viel Aufmerksamkeit, dass es kaum auffällt, wenn viele der Online-Unterstützer wieder einmal zu Hause geblieben sind.