Umstrittener Entwurf Was Sie über das Gesetz gegen Hasskriminalität wissen müssen

Einschüchterungsversuche, Diffamierungen, Morddrohungen: Wir nennen es Debattenkultur
Foto: stnazkul/ Getty ImagesDie Einleitung des 56 Seiten langen Gesetzentwurfs "zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" zeichnet ein düsteres Bild von der Debattenkultur im Internet. Von Einschüchterungsversuchen, Diffamierungen und Morddrohungen, vor allem gegen "gesellschaftlich und politisch engagierte Personen", ist darin die Rede. Ebenso von Angriffen auf den politischen "Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung". Und letztlich von einer Gefahr für die Meinungsfreiheit, weil die Opfer sich angeblich zurückziehen.
Das Gesetz soll dafür sorgen, dass die Täter strafrechtlich verfolgt und belangt werden. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums nennt das Paket "eine Reaktion auf die schweren rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Taten des vergangenen Jahres und den Nährboden, den diese Taten durch Hass und Hetze im Netz haben". Im Kern ist es eine Erweiterung des seit 2017 geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Doch geändert werden sollen und müssen dazu noch mehrere andere Gesetze.
Am heutigen Mittwoch soll das Paket vom Bundeskabinett beschlossen werden - heftiger Kritik von Unternehmen, Zivilgesellschaft und auch politischen Akteuren zum Trotz. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Vorhaben:
Was will das Kabinett beschließen und was noch nicht?
Im Einzelnen besteht das Paket aus Änderungen am NetzDG, am Telemediengesetz (TMG), am Strafgesetzbuch (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) sowie am BKA-Gesetz und am Bundesmeldegesetz.
Die Kernpunkte:
Facebook, Twitter und andere Anbieter sozialer Netzwerke müssen strafbare Gewaltdrohungen, Neonazi-Propaganda, Volksverhetzung und einige weitere Inhalte künftig ans Bundeskriminalamt (BKA) melden, wenn Nutzer sie auf solche Inhalte aufmerksam gemacht haben. Führen sie kein entsprechendes Meldesystem ein, drohen ihnen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Derzeit müssen sie solche Inhalte nur für Nutzer in Deutschland sperren.
Zusammen mit den Inhalten sollen die Unternehmen auch die IP-Adressen sowie die Port-Nummern der Verfasser ans BKA übermitteln.
Nicht meldepflichtig sind Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung - hier sollen Betroffene weiterhin selbst entscheiden können, ob sie dagegen vorgehen wollen.
Auch Passwörter müssen die Plattformanbieter unter Umständen an Strafverfolger oder Nachrichtendienste herausgeben. Allerdings fällt die Regelung im finalen Entwurf wesentlich restriktiver aus als in der vorangegangenen Version. Das dürfte nicht zuletzt den Protesten aus Zivilgesellschaft, Opposition und Wirtschaft zu verdanken sein. Die nun vorgesehene Regelung gilt nur bei besonders schweren Straftaten oder "zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes" und nur nach einem Richterbeschluss. Geht ein Anbieter datenschutzkonform mit Nutzerpasswörtern um, liegen sie ihm ohnehin nur verschlüsselt und gehasht vor. Dann kann und muss er sie auch nicht im Klartext übermitteln.
Verwirrend am Plan der Bundesregierung ist die Tatsache, dass es noch einen zweiten Entwurf zur Änderung des NetzDG gibt. Der aber soll erst im Frühjahr auf der Tagesordnung des Kabinetts landen. In diesem zweiten Entwurf geht es vor allem um das Beschwerdemanagement der Plattformbetreiber: Das Melden möglicherweise rechtswidriger Inhalte soll leichter werden, ebenso die Einspruchsverfahren, wenn Inhalte trotzdem nicht oder aber nach Ansicht der Verfasser zu Unrecht gesperrt oder entfernt wurden.
Warum sollen dafür so viele Gesetze geändert werden?
Die neue Meldepflicht für Plattformanbieter wird im NetzDG geregelt. Doch für deren Umsetzung brauchen die Beteiligten separate rechtliche Grundlagen: Die StPO muss angepasst werden, damit die Plattformbetreiber als sogenannte Telemediendienstanbieter ebenso zur Erhebung und Speicherung von Nutzerdaten verpflichtet werden können wie die Telekommunikationsanbieter, also Telefon- und Internetprovider.
Weil das Bundesverfassungsgericht aber verfügt hat, dass auch die Empfängerseite - in diesem Fall das BKA - eine Rechtsgrundlage braucht, müssen zudem das Telemediengesetz und das BKA-Gesetz geändert werden. Doppeltürprinzip heißt das.
Die geplanten Änderungen im StGB erweitern darüber hinaus den Straftatenkatalog, um besser abzubilden, was im Internet verbreitet wird, um andere Menschen einzuschüchtern und zu bedrohen. So soll künftig unter anderem auch die Androhung einer gefährlichen Körperverletzung strafbar sein.
Das Bundesmeldegesetz schließlich soll angepasst werden, um es Opfern von Hass im Netz leichter zu machen, eine Auskunftssperre zu erwirken. Sprich: Tätern soll damit erschwert werden, an die Anschrift der Opfer zu gelangen.
Wie lautet die Kritik an den Plänen?
Die betroffenen Unternehmen fürchten, jedes Jahr Zigtausende Verdachtsfälle oder mehr ans BKA melden zu müssen - und dabei auch mal falschzuliegen. Dann würden sie Nutzerdaten ans BKA schicken, auch wenn sich herausstellt, dass diese Nutzer nichts Illegales getan haben. Das Justizministerium findet nichts Schlimmes daran. Ein Sprecher teilt mit: "Das BKA prüft, welche Staatsanwaltschaft zuständig ist, und leitet die Postings an diese weiter. Wenn die Staatsanwaltschaft die Strafbarkeit geprüft und bestätigt hat, können die Ermittlungen sofort beginnen. Wenn kein Verdacht einer Straftat besteht, müssen die gespeicherten Postings und IP-Adressen gelöscht werden".
Strafverfolger wie etwa die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) in Nordrhein-Westfalen und auch der Deutsche Richterbund (DRB) befürchten, dass Staatsanwaltschaften, Polizeidienststellen und Gerichte der zu erwartenden Flut von Meldungen personell nicht gewachsen sein werden. Der DRB rechnet mit bis zu 150.000 neuen Verfahren pro Jahr, wofür es bundesweit rund 400 zusätzliche Staatsanwälte und Strafrichter bräuchte.
Gar einen "Dammbruch in bisher nicht gekanntem Ausmaß", der geeignet sei, "die Grundsätze unseres Rechtsstaats und unserer liberalen Demokratie zu erodieren", befürchten die Unterzeichner eines Offenen Briefs an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Unter ihnen sind der Deutsche Journalisten-Verband, der Eco - Verband der Internetwirtschaft, die Digitale Gesellschaft sowie die drei parteinahen netzpolitischen Vereine Cnetz, D64 und Load. Sie alle betrachten die geplanten Pflichten für die Plattformbetreiber als weitere Privatisierung der strafrechtlichen Verfolgung, die "in einer für viele Menschen kaum noch vorhersehbaren Weise die Gefahr polizeilicher Ermittlungen und strafrechtlicher Verfolgung nach sich ziehen kann". So würde eine "Verdachtsdatenbank" entstehen, weil "die persönlichen Daten von Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern oftmals zu Unrecht bei Strafverfolgungsbehörden gespeichert werden".
Was würde das Gesetzespaket bringen?
Eine strukturelle Schwäche des NetzDG in seiner bisherigen Form ist, dass es die Taten - also rechtswidrige Inhalte - allenfalls ausblendet, die Täter aber unangetastet lässt. Die Meldepflichten würden es zumindest wahrscheinlicher machen, dass Täter auch strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden. Im Optimalfall würde das einen Abschreckungseffekt erzeugen und dadurch zu etwas weniger Hass und Hetze im Internet führen.
Wahrscheinlicher aber ist, dass die neuen Regeln zunächst den tatsächlichen Personalbedarf bei den Behörden und in der Justiz sichtbarer machen würden. Solange es an Staatsanwälten, Polizisten und Richtern fehlt, um die vielen Meldungen zu bearbeiten und letztlich Täter zu verurteilen, werden sich die Opfer alleingelassen fühlen.
Möglich ist zudem, dass die Gefahr, zumindest vorübergehend zu Unrecht in einer BKA-Datenbank zu landen, einen "chilling effect" hat. Dann würde das Gesetz die Meinungsfreiheit nicht stärken, sondern schwächen.
Eine Wunderwaffe wird die Meldepflicht sowieso nicht. IP-Adressen lassen sich recht einfach verschleiern, das allein lässt Ermittlungen meist schon ins Leere laufen. Identifiziert und letztlich verurteilt werden nur Täter, die unvorsichtig sind.
Wie sehen die weiteren Schritte aus?
Im parlamentarischen Verfahren dürfte der Entwurf noch verändert werden, bevor der Bundestag ihn beschließt. Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben derweil im Bundesrat eine zusätzliche Erweiterung des NetzDG angeregt: Sie wollen soziale Netzwerke, aber auch Gaming-Plattformen verpflichten, bei der Registrierung die Namen, die Anschrift und die Geburtsdaten ihrer Nutzer zu erheben und per Ausweisabgleich zu verifizieren. Die Daten sollen von Behörden zur Verfolgung von Straftaten oder deren Vereitelung abgefragt werden dürfen.
Das Bundesinnenministerium (BMI) hätte zudem gern eine zusätzliche Regelung für Plattformen, die nicht unter das NetzDG fallen, weil sie weniger als zwei Millionen Nutzer in Deutschland haben. Konkret möchte das BMI dem BKA die Möglichkeit geben, die IP-Adressen von Nutzern dieser kleineren Plattformen auch ohne Richterbeschluss abzufragen. Einen Entwurf dazu gebe es aber noch nicht, sagte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage.