Kirchen-WLAN "Godspot" Gehet hin und öffnet alle Router

"Godspots" für alle: Die Landeskirche in Berlin und Brandenburg rüstet ihre Gotteshäuser mit offenem freiem WLAN aus. Darf nun während der Predigt gesurft werden? Ein Anruf beim Initiator.
Kirche St. Nikolai in Cottbus

Kirche St. Nikolai in Cottbus

Foto: Imago

Es liegt wohl auch am Namen, "Godspot". Und daran, dass eine traditionelle Einrichtung sich so ultramodern gibt.

Jedenfalls sorgt die Nachricht, dass die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz alle ihre Gotteshäuser mit offenen WLAN-Hotspots  ausstatten will, für allerlei Schlagzeilen. 100.000 Euro fließen, bis Ende Juni sollen mehr als 220 Kirchen jedermann ins Netz bringen, ob Tourist, Anwohner oder Gottesdienstbesucher - ohne Anmeldung, ohne Filter.

Das Projekt ist besonders, weil es sehr schwer ist, in Deutschland offene Hotspots zu betreiben. Und es wirft Fragen auf - wozu braucht es WLAN im Gottesdienst? Dürfen auch sündige Seiten angesteuert werden? Ein Anruf beim Initiator Fabian Kraetschmann, IT-Beauftragter der Landeskirche, der sich, wie sich herausstellt, viele Gedanken gemacht hat, auch zu den Themen Netzneutralität und Pornokonsum.

SPIEGEL ONLINE: Herr Kraetschmer, wer kam denn auf den Namen "Godspot" für Ihre WLAN-Hotspots?

Fabian Kraetschmer: Der Name ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Das geschah in Zusammenarbeit von Kirche und einer Werbeagentur.

SPIEGEL ONLINE: Und der Bischof konnte darüber lachen?

Kraetschmer: In der Landeskirche wurde der Name auch kontrovers diskutiert. Zunächst stand ein Blasphemievorwurf im Raum. Aber der wurde dann vom Propst, unserem geistlichen Leiter, schnell aus dem Weg geräumt. Er formulierte es so: Wenn wir unsere Kirchen Gotteshäuser nennen, können wir die digitale Kirche problemlos "Godspot" nennen.

SPIEGEL ONLINE: So einfach?

Kraetschmer: Natürlich hatten wir die Sorge, dass da Gegenwind kommt. Es ist bekannt, dass die Kirche nicht unbedingt zu den innovativsten Organisationen gehört und dass unsere Entscheidungsträger aus Jahrgängen stammen, die man nicht zu den digital natives zählen würde. Aber: Bis auf berechtigte Nachfragen, die wir beantworten konnten, gab es keine Hemmnisse.

SPIEGEL ONLINE: Wozu braucht man überhaupt WLAN in der Kirche?

Kraetschmer: Das ist nur ein gewünschter Nebeneffekt. Die meisten unserer Gebäude sind kleinere Kirchen, die auch als Gemeinderäume genutzt werden und dann wünschen sich unsere Mitglieder, dass es dort auch WLAN gibt.

Zur Person
Foto: EKBO

Fabian Kraetschmer, 36, ist Leiter des IT-Referats in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er ist kein Theologe, sondern hat als IT-Sicherheitsberater gearbeitet, bevor er 2014 zur Kirche wechselte.

SPIEGEL ONLINE: Nur während des Gottesdienstes wird dann der Stecker gezogen?

Kraetschmer: Manche Pfarrer befürchten in der Tat, dass die Menschen abgelenkt werden und nicht mehr dem Gottesdienst folgen. Das sehe ich aber anders: Wenn sich ein Besucher eines Gottesdienstes ablenken lässt, egal wovon, dann haben wir ein Predigtproblem und kein "Godspot"-Problem.

SPIEGEL ONLINE: Also darf ich auch während des Gottesdienstes surfen?

Kraetschmer: Viele Gemeinden wünschen sich eine Abschaltvorrichtung. Die wollen wir in einer Folgeversion auch durchaus einbauen, sodass ein Pfarrer das WLAN entweder manuell abschalten oder eine Sperrzeit einstellen kann. Sonntags von 10 bis 12 Uhr gibts dann eben kein Internet. Das Rausziehen eines Steckers empfinden wir als zu robust, also wird es diese technische Möglichkeit geben.

SPIEGEL ONLINE: Sind sündige Seiten in Gotteshäusern gesperrt?

Kraetschmer: Wir schicken uns an, der größte Anbieter von offenem WLAN in Deutschland zu werden. Da müssen wir uns grundsätzlich fragen: Wollen wir überhaupt filtern? Wir wollen mit "Godspot" unseren Beitrag zur Netzpolitik, zur Netzneutralität und zur Steigerung der Medienkompetenz leisten. Da wäre meiner persönlichen Auffassung zufolge unklug zu filtern. Das ist die eine Seite der Medaille.

SPIEGEL ONLINE: Und die andere?

Kraetschmer: Wir haben in der Kirche oft mit Minderjährigen zu tun. Wir können uns vorstellen, in begründeten Fällen und an bestimmten Standorten einen Jugendfilter einzusetzen, etwa in unseren Schulen und in Jugendbildungsstätten. Aber in Kirchen kann ich mir das nicht vorstellen. Dann gibt es natürlich die Frage: Oh mein Gott, was machen wir denn, wenn die Leute in der Kirche sitzen und sich Pornos angucken?

SPIEGEL ONLINE: Und?

Kraetschmer: Das konnten sie vor hundert Jahren auch schon. Wer wollte, hat sich da Schmuddelheftchen nur eben in Papierform zugeschoben.

SPIEGEL ONLINE: Ihr WLAN ist komplett frei - aber wer sich einwählt, bekommt erst einmal einen Bibelspruch auf den Bildschirm?

Kraetschmer: Wir schalten tatsächlich eine landing page vorab. Wir wollen aber nicht missionieren, da finden Sie nur sehr zurückhaltende Inhalte, etwa Veranstaltungshinweise der Kirche. Und bei den großen Kirchen wie dem Berliner Dom Informationen zum Bau. Damit die, die davor stehen, auch wissen, was sie sich gerade anschauen.

SPIEGEL ONLINE: Für Touristen ist das schön. Aber macht freies WLAN die Kirche wirklich wieder attraktiver?

Kraetschmer: Ich bin überzeugt, dass es der Kirche gut zu Gesicht steht, sich mit den Themen Netzpolitik, Netzneutralität und freie Kommunikationsinfrastruktur auseinanderzusetzen. Kirchen waren früher auch Orte der Kommunikation, des vertraulichen Austausches, des Handeltreibens auf dem Kirchplatz. Diese Bedeutung hat zuletzt abgenommen - mit der Einführung von "Godspot" in und um Kirchen können wir unseren Häusern wieder mehr von dieser Bedeutung verleihen.

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