Google-Statistik Wie die Deutschen Zensur-Vizeweltmeister wurden

Sperren, löschen, Personen identifizieren: Google macht jetzt erstmals öffentlich, welche Staaten solche Anfragen stellen. Bei der Entfernung von Videos, Blogeinträgen und Suchtreffern landet Deutschland auf Platz zwei hinter Brasilien - die Gründe sind überraschend banal.
Google-Statistik: Der Webkonzern zeigt, wo er sperren muss

Google-Statistik: Der Webkonzern zeigt, wo er sperren muss

"Google veröffentlicht Forderungen nach Zensur und Nutzerdaten" - so lautete die Schlagzeile der US-Nachrichtenagentur AP über ein ungewöhnliches Stückchen Transparenz im Web. Google zeigt jetzt öffentlich, welche Regierungen wie oft nach Nutzerdaten fragen oder fordern, Inhalte im Web unauffindbar zu machen . Und aus deutscher Perspektive ist das Ergebnis erschreckend.

In Bezug auf das, was AP hier "Zensur" nennt, liegt die Bundesrepublik weltweit auf Platz zwei. In Europa ist sie in der Statistik weitgehend isoliert: Allein Italien, Spanien und Großbritannien haben noch erwähnenswerte Begehrlichkeiten, ansonsten verlangt Deutschland mehr Eingriffe von Google als der gesamte Rest des Kontinents.

Doch was aus US-Perspektive Zensur heißt, muss dem europäischen Verständnis des Begriffes nicht unbedingt entsprechen. Zum einen sind Googles Zahlen unvollständig, wie das Unternehmen selbst sagt. Zum anderen fassen sie unter "Removal requests" (Entfernungsanfragen) eine Vielzahl von Dingen zusammen, die nicht zusammen gehören.

188 Mal wurden Google zufolge nicht näher benannte deutsche Behörden zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 2009 tätig, um von Google Löschungen oder Sperrungen zu verlangen. Mehr forderte nur Brasilien mit 291 Anfragen - zumindest suggeriert das die Google-Statistik.

Wieso aber fehlt China? Dazu könne man keine Informationen veröffentlichen, weil diese der chinesischen Geheimhaltung unterlägen, teilt Google mit.

Google selbst dokumentiert, dass es das Gros der deutschen Anfragen legitim findet. 94 Prozent aller Gesuche wurden ganz oder in Teilen umgesetzt. Das sei nicht überall so, sagt ein Unternehmenssprecher - interessanter seien Statistiken über Staaten, die viel verlangen, aber wenig erreichen. Insgesamt seien die Daten auch darum "schwer vergleichbar".

Worum sich die deutschen Anfragen drehten, verrät Google nur ansatzweise:

  • Sieben bezogen sich auf gerichtliche Anordnungen gegen Blogs wegen Rechtsverstößen,
  • drei weitere aus nicht spezifizierten Gründen auf nicht benannte Blogger,
  • vier auf Google-Vorschläge, wie sie bei der Web-Recherche eingeblendet werden ("Google Suggest"),
  • in zwei Anfragen wurde die Sperrung von Google-Videos gefordert,
  • in einer gerichtlichen Anfrage die Verhinderung einer Bildsuche,
  • in 94 gerichtlichen Forderungen ging es um Ergebnislisten von Web-Suchanfragen,
  • vier weitere Anfragen zu Web-Suchanfragen kamen von nicht gerichtlicher Stelle,
  • drei waren gerichtliche Verfügungen gegen YouTube,
  • 70 weitere bezogen sich ebenfalls auf YouTube.

Relativ wenig Neugier entwickeln Deutschlands Behörden, wenn es um bei Google gespeicherte Nutzerdaten geht. Wenn, dann werden sie dem Unternehmenssprecher zufolge bei strafrechtlichen Themen angefragt, bei Fahndungen und Ähnlichem.

Wieso wird in Deutschland so häufig gefordert, Fundstellen aus Googles Suche herauszunehmen? Dem Sprecher zufolge geht es oft um Verleumdungen, aber auch um illegale Seiten wie verfassungsfeindliche Neonazi-Angebote oder Sites von Holocaust-Leugnern. Deutschland hat hier schärfere Verbote als andere europäische Länder. Nicht nur Google, sondern alle Anbieter von Internetservices hielten sich daran, sagt der Konzernsprecher.

Auch Jugendschutz und Streichung verfassungsfeindlicher Inhalte fließen ein

Das gilt auch für die Listen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), deren Anfragen mitunter ebenfalls in die Statistik einfließen. Generell aber werden die Internetunternehmen in Deutschland von selbst tätig. Auch Google hat die Listen der BPjM über jugendgefährdende Inhalte implementiert.

Die gegen Videoinhalte gerichteten Anfragen bezögen sich nicht auf Copyright-Verstöße, wie man vermuten könnte, sagt der Konzernsprecher - sondern auf Probleme wie Verleumdungen, illegale Inhalte, Verstöße gegen Geschäftsbedingungen, auf die Google einfach aufmerksam gemacht werde. Copyright-Fragen würden in der Regel direkt mit den Rechteinhabern geklärt. Ihnen stehe mit Content ID außerdem ein System zur Verfügung, direkt über YouTube ihre Rechte geltend zu machen.

Nach dem Verständnis vieler in den USA ist Deutschland trotzdem ein Land, in dem das Internet zensiert wird - sie verstehen jede Form des Eingriffes in Inhalte als Zensur. Radikale Puristen verteidigen selbst Terroraufrufe oder Kinderpornografie als freie Meinungsäußerungen.

Google dagegen ist bewusst, dass künftig stärker unterschieden werden muss. Ab sofort ist die Veröffentlichung der Government-Request-Liste alle sechs Monate geplant - sie soll aber dem Konzernsprecher zufolge detaillierter, transparenter, trennschärfer werden. Daran werde gearbeitet. Man hoffe, mit dem Angebot ein Beispiel zu geben. Daten der OpenNet Initiative belegten, dass die Zahl der Regierungen, die Zensur im Internet fordern, von vier im Jahr 2002 auf mittlerweile 40 gestiegen sei. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, sei ein Wert an sich. Google hoffe, dass andere Unternehmen dem Beispiel folgen und ihre Daten offenlegen.

pat
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