Christoph Meinel

Grüne IT Nur nachhaltige Digitalisierung kann das Klima retten

Christoph Meinel
Ein Gastbeitrag von Christoph Meinel
Es kann auch technologische Antworten auf die Klimakrise geben - sofern nicht die IT mit ihrem enormen Energieverbrauch alles noch schlimmer macht. Das gilt vor allem für künstliche Intelligenz.
Forscher im Wald - mit solarbetriebenen Geräten

Forscher im Wald - mit solarbetriebenen Geräten

Foto: tdub_video/ Getty Images

Die Klimafrage beherrscht heute zu Recht die öffentliche Debatte, auch das Weltwirtschaftsforum in Davos hat die Brisanz des Umweltschutzes verstanden. Die Bewegung Fridays for Future hat den durch die viel zu hohen CO2-Emissionen verursachten Klimawandel endlich zum weltweiten Gesprächsthema gemacht: Große Konferenzen, PR-Abteilungen und internationale Unternehmen überschlagen sich mit Vorschlägen und Maßnahmenideen, wie der dramatische Trend der Erderwärmung zu stoppen sei.

Als Hauptursache für die steigenden CO2-Emissionen gelten der weltweit steigende Energiehunger in Wirtschaft und Gesellschaft und seine Sättigung mit fossiler Energieerzeugung. Dagegen steht die virtuelle Welt der Digitalisierung. Sie verspricht, mit Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI) Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu liefern - und eine der größten Fragen unserer Zeit ist das Klimaproblem. Die Digitalisierung kann einen erheblichen Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten, indem Prozesse digital gestützt und vor allem optimiert werden.

Weil die digitale Welt immateriell ist, kursierte lange die Annahme, dass digitale Technologien selbst klimaneutral sind. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Die digitale Welt erweitert und nutzt Ressourcen der analogen Welt. Die IT-Technologie hat für ihre zahllosen Rechner und Geräte, ihre ungeheuren Datenmengen und weltumspannenden Netze einen immensen Energiebedarf, für dessen Bereitstellung heute mehr CO2 freigesetzt wird als beim gesamten Flugverkehr weltweit.

Der Energieverbrauch digitaler Technologien steigt kontinuierlich

Jeder noch so geringe Datentransfer verbraucht Energie. Jedes neue Datenzentrum mit seinen Hochleistungsrechnern muss mit Unmengen an Strom versorgt und großem Energieaufwand gekühlt werden. Das Statistische Bundesamt hat errechnet, wie rasant der Internet-Traffic in den letzten fünf Jahren gewachsen ist: Während 2014 weltweit noch monatlich 40 Exabyte (das entspricht 40 Millionen Terabyte) an Daten über das Internet geflossen sind, waren es 2019 bereits knapp 140 Exabyte. Bis 2022 rechnet die Statistikbehörde mit einem Anstieg auf über 270 Exabyte .

Diese Entwicklung wird vor allem von Cloud- und Streamingdiensten sowie Online-Gaming und neuesten KI-Anwendungen getrieben. Einer aktuelle Studie zufolge, von der im Magazin "MIT Technology Review" berichtet wird, beträgt der CO2-Fußabdruck für das Training eines einzigen modernen neuronalen Netzes dem fünffachen CO2-Fußabdruck des Lebenszyklus eines Kraftfahrzeugs inklusive seines Verbrauchs entspricht. Eine andere Vergleichsrechnung: Anstelle eines bestimmten KI-Trainings kann man über 300 Mal von San Francisco nach New York und zurück fliegen .

Während bei Verbrennungsmotoren, Kraftwerksturbinen und elektrischen Haushaltsgeräten in den letzten Jahrzehnten schon viele Maßnahmen ergriffen wurden, um sie effizienter und umweltfreundlicher zu machen, steigt der Energieverbrauch digitaler Technologien kontinuierlich weiter an, einfach durch die rasante Verbreitung des Einsatzes digitaler Lösungen überall auf der Welt.

Doch die Lösung der Frage des Energieverbrauchs wird nicht durch Verzicht gelöst werden können. Nicht der Verzicht hat Menschen in der Vergangenheit Wohlstand und Frieden gebracht, sondern die Vermehrung von Wissen und dessen Anwendung.

Wir kühlen heute auch nicht weniger Lebensmittel

Digitale Technologien vermehren den Wohlstand der Menschen weltweit, vor allem in den sogenannten Entwicklungsländern, und sorgen mit neuen Verfahren auch dafür, in allen möglichen Branchen Energie einzusparen. Wir werden auf sie also weder verzichten wollen noch können.

Gleichzeitig müssen aber die Anstrengungen in der Forschung drastisch verstärkt werden, um auch digitale Technologien energieeffizienter und klimafreundlicher zu machen - so wie es in der Vergangenheit auch mit anderer Technik geschah. So kühlen wir heute nicht weniger Lebensmittel im Kühlschrank, sondern wir haben den Energiebedarf der Kühlschränke durch technischen Fortschritt auf einen Bruchteil des Energiebedarfs von vor 50 Jahren reduziert.

Der Weg führt also über weniger energiehungrige Hard- und Software. Ein Beispiel sind etwa binäre neuronale Netze und ihr Training. Das sind typische KI-Anwendungen, die sehr gute Ergebnisse bei Bilderkennung, Suchmaschinenanfragen, Übersetzungen und Onlinehandel liefern. Ihr Training, das sogenannte Deep Learning, ist allerdings sehr energiehungrig: mithilfe von Hunderttausenden Trainingsdaten werden die Systeme befähigt, später selbstständig neu einlaufende Daten zu analysieren, zu bewerten und entsprechend zu reagieren.

Nicht Verzicht hat zu Wohlstand und Frieden geführt

Am Hasso-Plattner-Institut beispielsweise erforschen derzeit Wissenschaftler, wie die dabei eingesetzten KI-Algorithmen energieeffizienter gestaltet werden können, damit diese Verfahren auch tatsächlich in Wirtschaft und Gesellschaft breit eingesetzt werden können. Etwa geht es darum, den Aufwand in den einzelnen Rechenschritten drastisch zu senken. Der Einsatz von "Clean IT" könnte zu Energieeinsparungen um den Faktor 20 führen. 

Binäre neuronale Netze sind aber nur ein kleiner von vielen Bereichen, in denen digitale Technologien sparsamer und energieeffizienter gemacht werden können. Viele weitere Fortschritte in der "Clean IT"-Forschung werden nötig sein, um den globalen Stromverbrauch bei der IT-Technologie und Internetanwendungen im Griff zu behalten. Dafür braucht es größere Anstrengungen in der Forschung, die von Wirtschaft und Politik unterstützt werden.

Die Digitaltechnologien bieten einen großen Hebel, damit diese Wohlstandsmehrung auch in Zukunft gelingen kann. Sie müssen sich dazu aber rüsten und ihren Beitrag zur Schonung der natürlichen Ressourcen und zur Vermeidung von CO2 leisten. Sonst schafft die Technik eines Tages mehr Probleme, als sie lösen kann.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war vor einer "aktuellen Studie des MIT" die Rede. Die war aber nur Teil der Berichterstattung der Zeitschrift "MIT Technology Review". Wir haben die Passage entsprechend korrigiert. Außerdem heißt es jetzt "Anstelle eines bestimmten KI-Trainings kann man über 300 Mal von San Francisco nach New York und zurück fliegen", um klarzustellen, dass die Größenordnung nicht für jedes beliebige neuronale Netz gilt.

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