BKA untersucht Hacktivismus Cyberangriff statt Sitzstreik

Anonymous-Aktivist: Polizei sucht Unterschied zwischen Hacktivisten und Hackern
Foto: SUSANA VERA/ REUTERSDer Online-Protest gegen die Gema hatte Erfolg: Vor drei Jahren bombardierten Anhänger aus dem Anonymous-Umfeld die Webseite der Musikrechte-Organisation. Wer die Gema-Seite besuchen wollten, bekam nur noch eine Fehlermeldung. Ein paar Medienberichte später war die Webseite dann wieder erreichbar.
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch ein halbes Jahr später rückte die Polizei aus, mit Durchsuchungsbeschlüssen. Gegen 106 Verdächtige hatte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt. Der Vorwurf: Computersabotage. Schon der Versuch ist strafbar, im Extremfall droht eine jahrelange Haftstrafe.
Bei den frühmorgendlichen Hausdurchsuchungen trafen die Beamten zum Teil auf Jugendliche und junge Erwachsene, die den Anschluss ihrer Eltern genutzt hatten. Statt kriminellen Hackern handelte es sich um Aktivisten oder bloße Mitläufer. Bei anderen Verdächtigen war wohl eher der Computer mit einem Trojaner infiziert und ferngesteuert worden.
BKA will Trends erkennen und Täter-Typologien erstellen
Die Polizei vollstreckte trotzdem, kassierte Computer, Telefone und externe Festplatten. So als würde es sich beim zeitweisen Blockieren einer Website um den ganz großen Cyberangriff handeln. Künftig könnten Behörden maßvoller vorgehen: Das Bundeskriminalamt forscht zumindest seit Anfang des vergangenen Jahres zum "Hacktivismus".
Die Polizisten wollen den Unterschied zwischen Cyberkriminellen und politischen Aktivisten erkunden. "Hacktivistische Taten zielen nicht darauf ab, illegal materielle und finanzielle Gewinne zu erzielen", so die Bundesregierung in einer offiziellen Antwort (PDF-Datei) . Der Linken-Abgeordnete Hubertus Zdebel hatte sich nach dem Forschungsprojekt erkundigt.
Das Bundeskriminalamt will wissen, wie Hacktivisten vorgehen. Dazu gehören die Zeitplanung, Verschleierungstechniken sowie Kommunikations- und Logistikinfrastruktur. Außerdem sollen Szenetrends erkannt und Täter-Typologien erstellt werden. Noch bis Mitte 2015 soll das Projekt laufen.
Die erste Phase, eine Bestandsaufnahme zum Phänomen Hacktivismus, ist bereits abgeschlossen. Geholfen hat dabei auch das nationale Cyber-Abwehrzentrum NCAZ. Als nächstes befassen sich die Ermittler mit dem Dunkelfeld, also den Fällen von Hacktivismus, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Dazu sollen unter anderem Unternehmen befragt werden. Dann soll es auch Handlungsempfehlungen geben.
Sitzstreik vor der Webseite
Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin und Verfassungsrechtler, begrüßt eine Unterscheidung zwischen kriminellen Hackern und Hacktivisten. "Ich finde es gut, wenn Behörden jetzt lernen, dass nicht jede Meinungsäußerung gleich Cyberkriminalität ist." Bisher fehle es in der Praxis oft am Fingerspitzengefühl, so der Richter.
Buermeyer vergleicht das zeitweise Lahmlegen einer Website mit einem Sitzstreik im öffentlichen Raum. "Was wir heute noch für einen Cyberangriff halten, könnte morgen schon freie Meinungsäußerung sein." Natürlich könne das nicht gelten, wenn zwei Personen mit genügend Geld eine Armee von ferngesteuerten Rechnern bezahlten. "Aber was ist, wenn tausend Leute eine Website aufrufen, um sie zu blockieren?"
Der Linken-Politiker Andrej Hunko glaubt jedoch nicht, dass das "Projekt Hacktivismus" für mehr Milde sorgt. Gegen politische Formen des Hacktivismus sind in der Vergangenheit bereits Interpol und Europol vorgegangen. Ziel der Ermittlungen waren Anonymous-Anhänger. "Deutsche Kriminalämter haben bei ähnlichen Razzien sogar Minderjährige wie Schwerverbrecher behandelt", so Hunko.

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