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Datenerfassung: Dresden durchgerastert

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Handy-Verbindungsdaten Sachsens Polizei spähte mehrere Stadtteile aus

Eine Million Handy-Verbindungsdaten wurden ausgelesen: Zwei Tage lang hat die Polizei im Februar in Dresden Handy-Daten gesammelt. Ziel waren die Teilnehmer einer Anti-Nazi-Demonstration. Erfasst wurden die Daten auch in nicht betroffenen Stadtteilen - das gab die Landesregierung nun zu.

Dresden - Die Dresdner Polizei hat bei einer Demonstration im Februar weitaus mehr Verbindungsdaten von Mobiltelefonen aufgezeichnet als bislang bekannt. Insgesamt seien am 19. Februar mehr als eine Million Handy-Daten gesammelt worden, sagten Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Justizminister Jürgen Martens (FDP) am Freitag in Dresden. Bislang war nur von rund 138.000 Handy-Daten die Rede gewesen.

Am 19. Februar hatte es in Dresden Proteste gegen geplante Aufmärsche von Neonazis gegeben. 17.000 Menschen protestierten zumeist friedlich und verhinderten damit die Aufmärsche der Rechtsextremisten. Am Rande der Demonstrationen war es zu schweren Krawallen Links- und Rechtsextremer gekommen, bei denen mehr als hundert Polizisten verletzt wurden. Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs und der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Mit diesen Ermittlungen rechtfertigen Innen- und Justizminister die massenhafte Datenerhebung, die von der "taz" aufgedeckt wurde.

Eine Million Handy-Daten für 406 Verdächtige

Nachdem die Handy-Daten-Ausspähung bundesweit für Empörung gesorgt hatte, legten Ulbig und Martens nun dem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU) einen Bericht vor und präsentierten ihn danach der Öffentlichkeit. Demnach erfasste die Polizei am 19. und bereits auch am 18. Februar mit einer sogenannten Funkzellenauswertung weitere 896.000 Daten. Ulbig bestätigte, dass Handy-Daten nicht nur in dem Stadtteil gesammelt wurden, wo es zu Ausschreitungen kam, sondern auch in anderen Stadtbezirken.

Gesammelt wurden unter anderem Handy- und Gerätenummern. Ins Visier gerieten dabei auch Blockierer, friedliche Demonstranten, Anwohner, Politiker und Journalisten. Telefongespräche oder SMS-Nachrichten wurden nach Angaben der Minister von der Polizei nicht abgehört oder mitgelesen. Herausgefiltert worden seien schließlich 460 Handy-Nummern, die man an Orten schwerer Straftaten lokalisiert habe. 406 Anschlussinhaber seien festgestellt worden.

Datenschützer besorgt über massenhafte Erfassung

Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig überprüft seit Freitag die Rechtmäßigkeit der massenhaften Sammlung. Es bestehe durchaus die Möglichkeit der Zweckentfremdung der Datenerhebung, sagte Schurigs Sprecher Andreas Schneider. Außerdem werde geprüft, ob bei der Datenerhebung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten worden sei. "Diese beiden Problemkreise bilden sich heraus", sagte Schneider.

Die Zweckentfremdung komme in Betracht, weil nur im Zusammenhang mit einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wie beispielsweise bei schwerem Landfriedensbruch, Handy-Daten gesammelt werden dürften. Fraglich sei aber, ob diese Informationen auch in anderen Verfahren genutzt werden dürfen, die sich mit leichteren Vergehen wie dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz beschäftigen.

"Viele Betroffene waren unbescholtene Bürger", sagte Schneider. Daher stelle sich die Frage, ob die Aktion verhältnismäßig gewesen sei. Ausgewertet würden derzeit Stellungnahmen der Polizeidirektion Dresden und der Staatsanwaltschaft. Das Landeskriminalamt habe sich bislang nur mündlich zu den Vorfällen geäußert, auf eine Stellungnahme des Innenministerium werde gewartet.

Minister verteidigen Datenerhebung

Ulbig und Martens verteidigten die Aktion. Die Erhebung der Daten zur Aufklärung der schweren Straftaten sei notwendig und verhältnismäßig gewesen, sagte Ulbig. Martens sagte, es handele sich um eine erhebliche Anzahl gesammelter Daten. Der weitere Verfahrensablauf werde zeigen, ob die Erhebung verhältnismäßig war. Die Ermittler seien aber auf Grundlage richterliche Beschlüsse und auf rechtsstaatlicher Grundlage vorgegangen. Das Ausmaß der Datenerhebung sei nicht einschätzbar gewesen. Nicht benötigte Daten dürften nicht verwertet werden und würden gelöscht.

Tillich kritisierte, dass der Umgang mit den nicht benötigten Daten zu lange offen gelassen worden sei. Sachsen werde nun eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel starten, den unbestimmten Rechtsbegriff der "erheblichen Straftat" zu konkretisieren. Damit soll mehr Klarheit für die Befugnisse der Polizei geschaffen werden.

Die Opposition kritisierte die Aktion scharf. Die Grünen bezeichneten die massenhafte Datenerfassung als rechtswidrig und verlangten eine Entschuldigung der Minister bei den unschuldigen Betroffenen. SPD-Fraktionschef Martin Dulig sprach von einem Schreckensszenario. Linke-Chef André Hahn forderte eine rückhaltlose Aufklärung des Vorfalls.

ore/dapd
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