Illegale Videoplattform Wie das System kino.to funktionierte

Wie sie sehen, sehen sie nichts: kino.to wurde von der Polizei abgeschaltet
Hamburg - Sie zeigen Solidarität mit den Film-Piraten: Für Donnerstag kündigten Fans des abgeschalteten Raubkopie-Verzeichnisses kino.to in Dresden eine Demonstration an, immerhin 170 Facebook-Nutzer haben sich zum Protest verabredet. "Ich hoffe ihr versteht, wie wichtig diese Aktion ist", heißt es in dem Aufruf. Und: "Die Deutsche Justiz ist ab heute offiziell von der Content-Mafia unterwandert."
Aktuelle Kinofilme, neue Serien aus den USA, alles umsonst: Über die Website kino.to gelangten Tag für Tag Hunderttausende Nutzer an illegal angefertigte Filmkopien. Die Betreiber des Verzeichnisses motivierte offenbar nicht nur die Liebe zum Film - sondern auch Geld, wie die Staatsanwaltschaft Dresden mitteilte. Gewinne in siebenstelliger Höhe sollen die insgesamt 21 Beschuldigten gemacht haben. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen. Die Folge: 14 Haftbefehle und 42 Razzien allein in Deutschland. Einen Verdächtigen schnappte die Polizei auf Mallorca am Flughafen.
Die Nachricht von den Verhaftungen ging am Mittwoch wie ein Lauffeuer durchs Netz. Viele Nutzer verloren ihre Anlaufstelle für kostenlose Unterhaltung. Fans der Seite schlugen umgehend zurück und blockierten am Mittwochabend die Website der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), die selbst gegen die kino.to-Betreiber ermittelt und schließlich Strafantrag gestellt hatte.
Nachfolger bringen sich in Stellung
Schon jetzt haben zudem andere deutschsprachige Portale die Nachfolge von kino.to angetreten. Auf Twitter, in sozialen Netzwerken und Foren kursieren längst aktuelle Tipps für alternative Anlaufstellen. Die Ermittler mögen eine wichtige Seite geschlossen haben - die Erben werden womöglich aus den Fehlern der nun festgesetzten mutmaßlichen Täter lernen. Kino.to soll mindestens vier Millionen Nutzer gehabt haben.
Offensichtlich erfüllen solche Plattformen ein Bedürfnis vieler Internetnutzer - und zwar wohl nicht nur das nach kostenloser Unterhaltung. Illegale Dienste dieser Art haben gegenüber den offiziellen Kanälen der Film- und TV-Branche einen entscheidenden Vorteil: Sie scheren sich nicht um internationale Verwertungsrechte und Verträge. So können Fans von "Dr. House", "Desperate Housewives" oder "Monk" die neuen Folgen ihrer Lieblingsserie am Tag nach der US-Ausstrahlung sehen - auf Englisch, aber sofort, und nicht erst Monate oder gar Jahre später. In den USA gibt es solche Dienste längst in legaler Form (Hulu, Netflix), international aber steht sich die Branche mit ihren komplexen Rechte-Geflechten selbst im Weg.
Das Internet bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, diese Hürde auf illegalem Wege zu umgehen. Die Betreiber von riesigen Linkverzeichnissen, die auf illegal kopierte Werke hinweisen, mögen in einer rechtlichen Grauzone operieren und sich auf das Suchmaschinen-Privileg berufen. Zum Verhängnis wurde den kino.to-Betreibern jedoch die persönliche Verquickung mit Filehostern: Internet-Diensten, auf denen die illegal kopierten Werke gespeichert waren, und bei denen die Nutzer Premium-Zugänge für höhere Verbindungsgeschwindigkeiten zahlen konnten. Zusammen mit der dort geschalteten Werbung (Glücksspiel, Porno) kamen mit mehreren Verzeichnissen und Filehostern offenbar hübsche Summen zusammen - ganz offensichtlich wurde hier mit den widerrechtlichen Kopien Geld verdient.
Die nun verhafteten verdächtigen Betreiber konnten für die Versorgung mit neuem Stoff offenbar auf ein großes Netzwerk von Helfern zurückgreifen - die sogenannten Uploader. Die schaufeln die Raubkopien in Accounts bei den Filehostern und reichen die Links an Verzeichnisse wie kino.to weiter. Die Gruppe um kino.to soll extra Online-Dateispeicher zu diesem Zweck gegründet haben. Die Uploader wurden angeblich für ihre Dienste bezahlt.
1000 Dollar im Monat will einer dieser Uploader verdient haben, wie er dem "Netzfeuilleton" sagte. Das System funktionierte demnach so: Die Uploader bekommen für jeden Nutzer, den sie zu einem der Filehoster weiterleiten, einen kleinen Betrag. Reichen sie ihre Links zeitnah bei einem Verzeichnis wie kino.to ein, klicken Tausende - und es gibt Geld. Alles ganz anonym, zum Teil automatisiert, ohne direkten Kontakt zu den Hintermännern.
Angeblich Hunderte Akteure sollen so das Verzeichnis gefüttert haben. Diese heimlichen Helfer müssen nun bangen. "Internetnutzer, die widerrechtlich Raubkopien von Filmwerken hergestellt oder vertrieben haben, müssen mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen", mahnten die Fahnder nach der Schließung von kino.to unter der beschlagnahmten URL.
"Dann macht sich der Nutzer strafbar"
Ob jetzt auch die ganz normalen Nutzer von kino.to und den angeschlossenen Filehostern zur Verantwortung gezogen werden, ist bisher unklar. Präzedenzfälle gibt es noch nicht. "Wenn man Streaming rechtlich bewertet wie Fernsehen, ist der Nutzer straffrei", sagte der Rechtsanwalt Arnd Böken aus Berlin der Nachrichtenagentur dpa. "Wenn man aber auf die Technik des Zwischenspeicherns abstellt und mit dem Download von Dateien vergleicht, dann macht sich der Nutzer strafbar." So würden auch beim Puffern der Streaming-Inhalte Daten zumindest für kurze Zeit gespeichert, was als Vervielfältigung betrachtet werden könne.
Christian Solmecke von der Kölner Medienrechtskanzlei vertritt die Auffassung, dass "der reine Konsum von Streaming-Diensten nicht rechtswidrig" sei. Dies gelte zumindest, solange Nutzer den Stream nicht aufzeichnen und keine Kopie der Daten auf dem eigenen Rechner erstellen. Im Gegensatz zu Peer-to-Peer-Netzwerken wie BitTorrent, in denen die Teilnehmer Dateien noch während des Downloads an weitere Netzwerk-Teilnehmer verteilen, stellen Streaming-Nutzer die Inhalte nicht anderen Internetnutzern zur Verfügung.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat die Frage, ob sich möglicherweise auch Nutzer von kino.to strafbar gemacht haben könnten, nach Angaben eines Sprechers zurückgestellt - womöglich monatelange Ermittlungen gegen die Inhaftierten stehen an, statt mit Ordnungswidrigkeiten beschäftigen sich die Sonderermittler nach eigenen Angaben lieber mit organisiertem Verbrechen.
Filmindustrie fürchtet Imageschaden
Der Ausgang eines möglichen Gerichtsverfahrens gegen die Nutzer von kino.to wäre offen. Bevor ein Rechteinhaber einen der Streaming-Nutzer überhaupt juristisch angehen kann, muss dieser identifiziert werden. Aus zwei Gründen ist dies schwierig: Zum einen haben die Betreiber des kino.to-Netzwerks auf einer FAQ-Seite des eigenen Angebots behauptet, sie würden überhaupt keine Zugriffsdaten speichern. Sollte dies dennoch erfolgt sein, müssten die Ermittler mit den so gewonnen IP-Adressen zu den Providern gehen, um den Nutzer hinter jeder Adresse ausfindig zu machen.
Seit dem Ende der Vorratsdatenspeicherung werden diese Verbindungsdaten meist nur noch Tage, nicht Monate gespeichert. Außerdem hat es die Filmlobby in Deutschland bisher nicht auf die Verfolgung von Nutzern abgesehen - sie möchte nicht denselben Imageschaden erleiden, den die Musikindustrie davongetragen hat. Die verfolgte noch arbeitslose Hausfrauen, weil der Nachwuchs ein paar Lieder über ein Filesharing-Netzwerk heruntergeladen und damit gleichzeitig zur Verfügung gestellt hatte.
Wer hingegen als bezahlter Uploader in den Dateien auftauchen sollte, die nach den Razzien von den Ermittlern durchsucht werden, könnte ein Problem bekommen - mehr noch als die zahlenden Premiumkunden der Filehoster, so sie denn über IP-Adressen oder Geldflüsse identifizierbar sind.