Globale Internetnutzung Die halbe Welt ist noch offline

Arbeiten, Freunde treffen, einkaufen: Das Internet ersetzt in der Pandemie viele reale Kontakte. Aber 3,5 Milliarden Menschen weltweit könnten es nicht nutzen - dabei ist der Netzausbau nicht das einzige Problem.
Zoom-Meeting (Archivbild)

Zoom-Meeting (Archivbild)

Foto: Loren Elliott / REUTERS
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Global gesehen ist es eine privilegierte Frage: Hält die Internetverbindung dem Datenverkehr stand? Das könnte der einen Hälfte der Weltbevölkerung durch den Kopf gegangen sein, als die Menschen wegen des Coronavirus möglichst zu Hause bleiben sollten. Schließlich ließen Homeoffice, Homeschooling, Onlineshopping, Streaming und der Videoaustausch mit Freunden das Datenvolumen in Ländern wie Deutschland, Spanien, Japan oder Brasilien rasant anwachsen.

Die andere Hälfte der Weltbevölkerung aber bleibt von diesen Möglichkeiten während der Pandemie ausgeschlossen. Nach Schätzungen der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) nutzten 2019 immer noch mehr als 3,5 Milliarden der Menschen weltweit kein Internet, etwa weil die technischen Voraussetzungen fehlen oder Geräte zu teuer sind.

Das heißt: Nur rund 54 Prozent der Weltbevölkerung sind online.

Aber es werden immer mehr: Die Zahl der Internetnutzer stieg innerhalb der vergangenen zehn Jahre von rund 1,8 Milliarden auf etwa 4,1 Milliarden im Jahr 2019, auch Smartphones verbreiten sich. Diese Zunahme ist in der Corona-Pandemie nützlich, da Informationen beispielsweise zum Gesundheitsschutz schneller verbreitet werden können.

Europa ist, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl, die Region mit den meisten Internetnutzern. 2019 sollen laut ITU geschätzt 82,5 Prozent der Europäer online gewesen sein. Ähnliche Werte präsentiert auch das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat). Die Isländer, Schweizer und die skandinavischen Staaten liegen ihren Zahlen nach auf den vorderen Plätzen, mit Nutzerzahlen von jeweils mehr als 95 Prozent. Bulgarien hingegen hat größere Lücken. 32 Prozent der Bulgaren nutzen kein Internet, das sind rund 2,2 Millionen Menschen. In Italien ist diese absolute Zahl mit rund 14,5 Millionen Nichtnutzern in Europa am höchsten.

Hinter Europa folgt laut ITU der Kontinent Amerika. Dort sind geschätzt 77,2 Prozent der Einwohner im Netz unterwegs. Für die USA zeigen Zahlen des Nationalen Zentrums für Bildungsstatistiken , dass 2018 immer noch sechs Prozent der Kinder zwischen drei und achtzehn Jahren zu Hause ohne Internetzugang aufwachsen. Defizite gibt es demnach auch noch in gut entwickelten Ländern.

Doch vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern, viele davon befinden sich in Afrika südlich der Sahara, mangelt es an digitalen Möglichkeiten. Die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie treffen die Bewohner besonders stark, im Schnitt hat aber nur jeder Fünfte von ihnen einen Internetzugang. Sicherheitsmaßnahmen wie Corona-Warn-Apps sind dann kein wirksames Mittel. Teilweise fehlt es an Informationen über Verbreitung und Schutzmöglichkeiten vor dem Virus.

Mobiles Internet ist in diesen Ländern größtenteils der einzig mögliche Zugang in die digitale Welt. Doch der Vergleich von Ländern mit niedrigem und mittlerem Durchschnittseinkommen gegenüber denen mit hohem Einkommen zeigt: Während nur 40 Prozent der ersten Gruppe mit mobilem Internet ausgestattet sind, nutzen 75 Prozent der Bevölkerung der reichen Länder diese Zugangsform, wie ein Bericht von GSMA Intelligence  darlegte.

Interessant dabei ist: Viele Menschen sind zwar mit mobilem Breitband versorgt, nutzen es aber nicht. Vorrangig stammen sie aus Staaten mit geringen und mittleren Einkommen. Ein deutlich kleinerer Teil ist noch gar nicht abgedeckt - während dies vor sechs Jahren noch 24 Prozent der Weltbevölkerung waren, sind es 2018 nur noch ein Zehntel.

Aber warum nutzen viele trotz vorhandenem Anschluss kein Internet? Natürlich sind es einerseits die laut GSMA Intelligence immer noch hohen Kosten. In zahlreichen armen Ländern koste ein internetfähiges Einstiegsgerät teils mehr als 20 Prozent des durchschnittlichen Monatseinkommens. Sich dieses zuzulegen, ist damit für viele kaum möglich. Hinzu kommen die Ausgaben für das Datenvolumen.

Außerdem können einige Menschen nicht lesen und schreiben, und nur wenige in den betroffenen Regionen kennen sich gut mit Handys aus. Frauen nutzen das Internet immer noch seltener als Männer, die ländliche Bevölkerung weniger als Stadtbewohner.

Globale Kampagne für weltweiten Internetzugang

Doch gerade während der Pandemie scheint die Relevanz des Internets deutlich zu wachsen. Zahlreiche Organisationen, die sich mit dem weltweiten Internetzugang befassen, setzen sich daher nun für weitere Maßnahmen ein, um das Netz für mehr Menschen zu öffnen. Darunter der Begründer des World Wide Web, Tim Berners-Lee, der im britischen "Guardian " Regierungen dazu aufrief, mehr in ländliche Regionen zu investieren und Bildungsmaßnahmen voranzutreiben. So wie es Kampagnen für Bildung und sauberes Wasser gibt, brauche es auch eine globale Kampagne für weltweiten Internetzugang.

Und ein bisschen was hat sich während der Coronakrise auch schon getan. Die ITU startete im März die Plattform REG4COVID , auf der politische Akteure und Mobilfunkanbieter Initiativen ihrer Länder im Kontext der Virusbekämpfung vorstellen. Dort ist zum Beispiel zu lesen, dass das Gesundheitsministerium in Somalia einen kostenlosen Corona-Informations-Service auf WhatsApp startet, in Brasilien Telemedizin im Notfall erlaubt werden soll und ein Mobilfunkanbieter in Mali die Preise für mobile Daten senken will.

In Südafrika und anderen Ländern gibt es demnach nun vermehrt freien Zugang zu Bildungswebseiten und mancherorts stellen Anbieter auch zusätzliche Datenmengen zur Verfügung.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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