Internetpolitik Minister rangeln um Datenschutzregeln

Aigner, De Maizière, Brüderle und Leutheusser-Schnarrenberger: Gleich vier Bundesminister bemühen sich um Profil in Sachen Internetpolitik. Dabei geht einiges durcheinander - was nicht zuletzt daran liegt, dass entscheidende Grundsatzfragen ungeklärt sind.
Leutheusser-Schnarrenberger, de Maiziere: Koalitionäre digital überkreuz

Leutheusser-Schnarrenberger, de Maiziere: Koalitionäre digital überkreuz

Foto: dapd

Berlin - Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Schon an diesem Mittwoch, eine Woche früher als verabredet, übergab die IT-Branche Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ihren "Datenschutz-Kodex für Geodatendienste". Die Regelung des Internets ist auch deshalb eine so schwierige Angelegenheit, weil so viele in der Bundesregierung dabei mitzureden haben. Da kann es schon mal hektisch werden.

Es gibt in mehreren Ministerien die Tendenz, sich in Sachen Internet selbst zum Wortführer zu ernennen - mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner habe die "Debatten um Google Streetview und um den Datenschutz in Sozialen Netzwerken" persönlich "angestoßen" teilte ihr Sprecher am Mittwochmorgen beispielsweise mit.

Dass die Selbstverpflichtung mit so heißer Nadel gestrickt wurde, ist dagegen offenbar Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zu verdanken: Der FDP-Politiker wollte sich seinen IT-Gipfel am kommenden Mittwoch nicht von so lästigen Dingen wie einem Datenschutz-Kodex vermiesen lassen, ist zu hören.

Gesetz, Selbstverpflichtung, Koalitionsstreit?

Für Innenminister de Maizière ist der Kodex dagegen von zentraler Bedeutung. "Ein positives Signal" nennt er ihn am Mittwochmorgen. Im Sommer hatte es großen Wirbel um Googles Straßenpanorama-Dienst Street View gegeben - und die Koalition schien überrumpelt: Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) mahnte mehr Schutz der Betroffenen an, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP äußerte datenschutzrechtliche Bedenken. Die Kompromisslinie des federführenden Innenministers, auch um die Unternehmens-Interessen zu schützen: Ein Branchen-Kodex. Gleichzeitig kündigte de Maizière eine umfassende gesetzliche Neuregelung des Online-Datenschutzes an.

Die nun vorgelegte Selbstverpflichtung nimmt viele Sorgen der Street-View-Kritiker auf, wie August Scheer, Chef des Branchenverbandes Bitkom, bei der Präsentation mit de Maizière versprach: Er sieht unter anderem eine zentrale Plattform für Informationen und Widersprüche vor, zudem werden die Anbieter im voraus auf geplante Aufnahme-Fahrten aufmerksam machen. Kontrollen und Sanktionen sollen verbindlich sein, Strafen bis zu 20.000 Euro sind geplant.

Ein bisschen wie eine Drohung

Doch erstmal muss die Selbstverpflichtung von de Maizières Kollegen abgesegnet werden - und die geben sich bisher zurückhaltend. Zwar begrüßte ein Aigner-Sprecher am Mittwoch den Kodex, kündigte aber an: "Eine endgültige Bewertung werden wir erst vornehmen, wenn die Selbstverpflichtung in allen Details geprüft ist." Dass diese am Ende ausreicht, davon scheint man im Verbraucherschutzministerium noch nicht überzeugt. Je mehr der Kodex kläre, heißt es, "desto weniger muss am Ende der Staat gesetzlich regeln". Das klingt ein bisschen wie eine Warnung.

Der Innenminister will eine ganze Menge gesetzlich regeln, de Maiziere plant eine breite Regelung zur "Stärkung der Selbstbestimmung" im Internet, wie er am Mitttwoch ankündigte. Die "rote Linie" sieht der Minister bei besonders schweren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht - ansonsten betont er den Charakter des Internets als "öffentlicher Raum".

Was de Maizière deshalb nicht will, sind beispielsweise gesetzliche Widerspruchsrechte gegen Google Street View & Co. Da wiederum droht ein Konflikt mit der Justizministerin. Auch ein "gesetzlich geregeltes Widerspruchsrecht der Betroffenen gegen die Veröffentlichung ihrer Daten" müsse man noch prüfen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger am Mittwoch. Unterstützt wird sie in dieser Position beispielsweise von den Grünen.

Verwirrende, verwirrte Positionen in allen Parteien

Was all das Hin und Her, was all die unterschiedlichen und zum Teil konkurrierenden Positionsbestimmungen der Koalitionsparteien, aber auch die zuweilen überraschenden Übereinstimmungen zwischen Regierungsmitgliedern und Opposition deutlich machen, ist vor allem eins: In Wahrheit herrscht nach wie vor eine ausgeprägte Verwirrung hinsichtlich grundsätzlicher Fragen, was die Themen Internet, digitale Welt und Datenschutz angeht.

Was die vielen Datenskandale der vergangenen Jahre und aktuell die Veröffentlichung von Hunderttausenden US-Diplomatendepeschen durch WikiLeaks zeigen ist: Es gibt hinsichtlich digital vorliegender Datensammlung keinen hunderprozentigen Schutz vor Missbrauch, Diebstahl, Kopieren, Weitergaben.

Unheimlich flexible Haltung der Regierenden

Die Regierung befleißigt sich in dieser Frage einer, vorsichtig formuliert, sehr flexiblen Haltung: Auch gewaltige Datensammlungen sind den Regierenden durchaus nicht per se unangnehm: Innenminister De Maizère etwa fordert, im Konzert mit seinen Kollegen aus den Bundesländern, derzeit lautstark die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die aber darf getrost als eine der größten automatischen Datensammel-Aktionen in der Geschichte der Bundesrepublik betrachtet werden. Wenn es der eigenen Sache dient, dürfen sogar geklaute, kopierte, illegal weitergegebene digitale Daten durchaus mal genutzt werden - Stichwort Steuersünder-CDs aus Liechtenstein oder der Schweiz.

Besorgt werden deutsche Politiker dagegen immer dann, wenn es um Daten geht, die ihren Zwecken nicht nutzen. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger - die allerdings auch eine Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung ist - warnte gerade im Zusammenhang mit den WikiLeaks-Depeschen, Behörden und Unternehmen sollten darauf verzichten, Datenberge über Bürger, Mitarbeiter oder Kunden anzulegen. WikiLeaks sei auch eine "Warnung zur Datensparsamkeit".

In diesem Punkt scheint sie mit Innenminister De Maizière durchaus einig, der in seinem eben vorgelegten Gesetzentwurf auch den Umgang mit Daten stärker regulieren will, die "geschäftsmäßig gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuspeicherung weiterer Daten ausgewertet" werden. Auch Verbraucherschutzministerin Aigner warnt immer wieder vor den Datenbergen, die Google, Facebook und Co. anhäufen.

Dieser Zwiespalt - Datensammlungen sind gut, wenn sie dem Staat nützen, und schlecht, wenn sie Unternehmen dienen - wird sich auf Dauer nicht aufrechterhalten lassen. Denn der Schutz sensibler Daten ist auch für Regierungsbehörden nicht immer einfach, wie das Beispiel WikiLeaks zeigt. Nicht ohne Grund ist Datenschutz auch ein Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.

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