Internetpolitik Schwarz-Gelb verheddert sich im Netz

Wirrwarr ums World Wide Web: In der Merkel-Regierung reden auf einmal alle über das Internet, doch die Linie fehlt. Ministerin Aigner prangert Facebook und Google an, die Kanzlerin sieht die Nutzer beim Datenschutz selbst in der Pflicht - und der Innenminister entdeckt Verbindungen zum Chaos Computer Club.
Bundeskanzlerin Merkel: Gelassener als die eigenen Minister

Bundeskanzlerin Merkel: Gelassener als die eigenen Minister

Foto: TOBIAS SCHWARZ/ REUTERS

Aufgeregt wirkt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ja ohnehin eher selten. Ihr Video-Podcast  vom Wochenende aber markiert einen Höhepunkt ihrer nahezu meditativ wirkenden Gelassenheit - und bildet damit einen umso augenfälligeren Kontrast zu den jüngsten Auftritten von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). Dabei sprach auch Merkel über Aigners neues Lieblingsthema: das Internet. Während die Ministerin in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erneut alarmistisch vor den Gefahren des Netzes warnte, klangen Merkels obligatorische Warnungen eher nach Pflichtübung. Die Kanzlerin interessiert sich vor Beginn der IT-Messe Cebit augenscheinlich eher für die wirtschaftlichen Chancen der Kommunikationstechnologie. Ihre Verbraucherministerin dagegen ist derzeit fürs Angstmachen zuständig.

Am gleichen Wochenende schrieb Innenminister Thomas De Maizière einen Gastbeitrag für den "Tagesspiegel"  - auch zum Thema Internet. Und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) spricht zurzeit auch unheimlich gern über das Netz, vor allem über Google. Überall wird das Thema derzeit herumgereicht. So richtig koordiniert aber wirken die Bemühungen der Koalition noch nicht.

So viel Interesse für das World Wide Web gab es in Berlin noch nie. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Expertengremium tagt, das die Parteien in die Lage versetzen soll, Blamagen wie das Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie künftig zu vermeiden. In wenigen Wochen wird auch die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zusammentreten: Die Kommission aus 17 Abgeordneten und 17 Sachverständigen soll gewissermaßen im Namen des Parlaments über das Netz nachdenken und bis zur Sommerpause 2012 "Handlungsempfehlungen vorlegen".

Wo ist im Netz eigentlich links und rechts?

De Maizière aber will so lange nicht warten. Er geht derzeit mit geradezu verblüffendem Pragmatismus zu Werke: Nun macht der Innenminister sich sogar einen alten Vorschlag des Chaos Computer Clubs (CCC) zu eigen - bei einer dieser Expertenrunden, im Januar, wurde ihm der zum ersten Mal vorgetragen. Unternehmen, die persönliche Daten über ihre Kunden sammeln, sollten ihre Bestände den Betroffenen künftig in regelmäßigen Abständen offenlegen. Man werde, "Vertreter der Netz-Community, des Datenschutzes und der Wirtschaft einladen, gemeinsam ein Konzept für einen solchen Datenbrief zu entwickeln", so De Maizière im "Tagesspiegel". Aus der FDP kam prompt Widerstand: Das werde für die Unternehmen zu teuer, zudem "bürokratisch" und wenig effektiv.

Nochmal langsam und zum Mitdenken: Der CDU-Innenminister will einen Vorschlag streitbarer Netz-Bürgerrechtler umsetzen, der eigene Koalitionspartner, die einstige Bürgerrechtspartei FDP, widerspricht. Den Grünen dagegen gefällt die Idee mit dem Datenbrief. Malte Spitz, dort für Netzpolitik zuständig, fände es allerdings noch wichtiger, wenn Unternehmen zunächst mal zügig verpflichtet würden, auf Anfrage ihre Datenbestände über den Anfragenden offenzulegen, und zwar vollständig.

Eine andere kuriose Situation: Wenn Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Dienstag die Watschen entgegennimmt, die das Verfassungsgericht der Bundesregierung aller Wahrscheinlichkeit nach für das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erteilen wird, dann wird sie das mit einem Lächeln tun. Als das Gesetz in Kraft trat, war sie noch in der Opposition, legte sogar selbst Verfassungsbeschwerde dagegen ein. Inzwischen aber will es eigentlich keiner mehr so richtig gewesen sein - der scheidende Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier war bei der Verhandlung im Dezember erstaunt darüber, dass man für "das angegriffene Gesetz heute keinen politisch Verantwortlichen hat finden können, der es verteidigt."

Datenschutz vs. Law and Order, Verbraucherschutz vs. Wirtschaft

Das Internet, das wird in diesen Tagen deutlich, stellt ein völlig neues politisches Feld dar, und die Parteien sind noch nicht ganz sicher, wo auf diesem Feld eigentlich rechts und links ist. Weil hier Wirtschaftsförderung und Verbraucherschutz, Datenschutz und Law-and-Order-Begehrlichkeiten auf neue Weise miteinander kollidieren, droht nicht nur neuer Streit innerhalb der Koalition - auch innerhalb der Unionsparteien scheint man noch keine klare Linie gefunden zu haben.

Vielleicht wirkt deshalb manches von dem, was derzeit öffentlich gesagt wird, so unfertig. Verbraucherministerin Aigner etwa schimpft derzeit mit Vorliebe auf Google, inzwischen auch auf Facebook, Microsoft und Apple. Die könnten heute mit ihren Daten "ganze Persönlichkeitsprofile erstellen". Und die könnten dann womöglich benutzt werden, um Verbraucher "auf schwarze Listen" zu setzen oder ihnen "Schwierigkeiten bei der Jobsuche" zu bereiten. Oder Google Streetview: "Banken könnten die Bilder nutzen, um die Kreditwürdigkeit eines Kunden einzuschätzen", so Aigner zur "Süddeutschen Zeitung". 

Nun haben Banken ganz andere Methoden, die Kreditwürdigkeit von Kunden einzuschätzen. Zum Beispiel Gehaltsnachweise zu verlangen. Und Belege für die Existenz "schwarzer Listen" auf der Basis von Facebook, Google und Co. hat die Ministerin vermutlich nicht - es ist nämlich höchst unwahrscheinlich, dass sie existieren. Bei dem Gedanken an Gesichtserkennung per Handy laufe es ihr "kalt den Rücken runter", so Aigner: "Selbst George Orwell hätte sich das nicht träumen lassen." Diese Gesichtserkennung ist derzeit allerdings nirgendwo im Einsatz. Auch wenn Googles Android-Handys dazu möglicherweise in der Lage wären - selbst der Suchmaschinenkonzern sieht da noch Probleme in Sachen Privatsphäre.

Aigner mahnt derzeit also ein bisschen im Diffusen herum, Merkel dagegen verwies in ihrem Podcast vom Samstag ganz ruhig auf die Eigenverantwortung der Nutzer, die online doch besser "nicht allzu freizügig" mit ihren Daten umgehen sollten. In Sachen Streetview erwähnte sie nur die Möglichkeit, man könne bei Google ja Einspruch dagegen erheben, dass das eigene Haus fotografiert werde.

Damit pfiff sie ihre Ministerin nicht explizit zurück - Merkel verwies sogar auf das Widerspruchsmusterschreiben, das Aigners Haus nun im Web vorhält. Echte Unterstützung für das eigene Kabinett aber sieht anders aus, immerhin schießt Aigner schon seit Wochen gegen Google.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" setze sich aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen zusammen. Der letzten Version des Antrags zufolge handelt es sich jedoch nicht mehr um zwei mal 13, sondern zwei mal 17 Mitglieder. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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