iTunes App Store Wie Apple Inhalte zensiert

"Party Trampoline": Im App Store darf man Politiker so nur mit Tüten über dem Kopf zeigen
Michael Wolff ist ein streitbarer Mann. Allein im Monat April hat er Amerikas First Lady Michelle Obama der Lüge bezichtigt, die katholische Kirche als die "größte antisemitische Kraft der Geschichte" bezeichnet und in einer Kolumne gefragt, ob Apple-Chef Steve Jobs "aufgehört hat, seine Medikamente zu nehmen". Der Journalist, Internet-Unternehmer und Buchautor Wolff legt sich gern mit Leuten an - und nun hat ihm Apple den Gefallen getan, ihm einen Grund zu geben, erst recht auf den iPhone-Konzern einzuschlagen. Wolff hat eine App, eine Applikation fürs iPhone entwickeln lassen, die nichts anderes tut, als seine Kolumnen anzuzeigen. Apple hat dieser App den Zugang zum iTunes Store verweigert, sie darf nicht verkauft werden.
Wolff betrachtet dies als Zensur einer missliebigen Stimme - Apple allerdings begründete die Ablehnung damit, die App enthalte "keine ausreichenden Inhalte, um ein breites Publikum anzusprechen".
Nun könnte man diesen Vorwurf einem großen Teil aller iPhone-Apps machen - auch virtuelle Biergläser, Grill-Simulatoren oder ein Bausatz für virtuelle Hamburger löschen beispielsweise weder Durst noch Hunger und dürften allenfalls ein Nischenpublikum für sich begeistern. Man könnte sogar sagen: Dass alle etwa 125.000 Apps im iTunes Store "ein breites Publikum ansprechen" könnten, erscheint doch ziemlich weit hergeholt.
Böse Politikerwitze sind verpönt im App Store
Ein weiteres Faktum stärkt Wolffs Interpretation seiner Zurückweisung: Seine App ist bei weiten nicht die einzige, die den strengen Anforderungen von Apples App-Gutachtern nicht genügen konnte. Das letzte prominente Opfer der restriktiven Hauspolitik war der politische Karikaturist Mark Fiore. Seine "NewsToons"-App wurde nicht zugelassen, weil sie, so die offizielle Begründung, "Inhalte enthält, die Figuren des öffentlichen Lebens der Lächerlichkeit preisgibt", und das verstoße nun einmal gegen die Hausregeln.
Nicht nur, dass sich hier eine sehr eigentümliche Vorstellung von Satire und Meinungsfreiheit offenbarte - peinlich war das Ganze auch noch aus einem anderen Grund: Mark Fiore hat gerade erst einen Pulitzer-Preis bekommen. Für genau die Art von Karikaturen, die Apples Zensoren lieber nicht auf dem iPhone sehen wollten.
In diesem Fall hat der Chef interveniert: Steve Jobs höchstpersönlich sorgte dafür, dass Fiores App doch noch in den iTunes Store durfte. So viel Glück hatten die Entwickler der "Bobble Rep"-App nicht: Ihre Anwendung enthielt nicht nur die Namen und Kontaktdaten aller Abgeordneten im US-Kongress, also wertvolle Information für demokratisch aktive Bürger, sondern auch harmlose kleine Karikaturen all der dort präsentierten Politiker. Grund genug, sie nicht für den App Store zuzulassen. Die nun erhältliche Version kommt ohne die niedlichen Politikerkarikaturen aus.
Noch skurriler mutet der Fall der App mit dem Namen "Party Trampoline" an: Darin kann man Figuren aus dem Weißen Haus auf einem Trampolin im Oval Office herumhüpfen lassen - auch wieder zu viel Humor mit "Figuren des öffentlichen Lebens" für Apple. Inzwischen gibt es die App nun doch im App Store - mit einer kleinen, entscheidenden, völlig absurden Änderung: Barack Obama und all die anderen Trampolin-Hüpfer sind nun unkenntlich gemacht - man hat ihnen Papiertüten mit Gucklöchern über die Köpfe gezogen.
Apple fürchtet Brüste und Politik
Die Reihe der aus dem App Store geworfenen Anwendungen zeigt, was Apples Sittenwächter fürchten:
- In der App "My Shoe" sollte Nutzer wie der irakische Journalist 2008 Schuhe nach dem US-Präsidenten George W. Bush werfen. Apples Urteil: Weg damit, so darf man Personen des öffentlichen Lebens nicht behandeln.
- Mit der App " Me so holy" konnten Nutzer ein Foto in eine Heiligenpostkarte einsetzen - Religion und Heiligenfigur angeben, Foto auswählen, Textbotschaft tippen und das Ganze verschicken. Sekunden später erhält der Adressat der Nachricht eine Art Bildpostkarte, aus der der Absender als Heiliger grüßt. Apple strich das "anstößige" Programm aus dem Software-Angebot.
- Im Sommer 2009 lehnte Apple eine App des in den USA populären Telefoniedienstes "Google Voice" ab. Die Begründung: Das Programm ersetze Funktionen des iPhones, und man habe Datenschutz-Bedenken. Kurz darauf zog sich Google-Chef Eric Schmidt aus dem Apple-Verwaltungsrat zurück.
- Ziemlich absurd scheint etwa die Ablehnung einer E-Book-App mit dem Namen "Eucalyptus". Das Programm ist unter anderem in der Lage, Texte von in den meisten Fällen längst verstorbenen Autoren von der Plattform "Gutenberg" zu laden. Dass unter anderem auch ein Werk mit dem Titel "Kama Sutra of Vatsyayana" mit der App angezeigt werden kann, war Apple offenbar zu frivol. Das Programm bekam zunächst keine Erlaubnis, im App Store angeboten zu werden - mittlerweile ist die Anwendung zu haben.
- Im November 2009 war für einige Zeit die App von Stern.de aus Apples Softwareshop verbannt - es habe einen "Dissens um die Erotik-Galerie" gegeben, erklärte ein Sprecher des Verlagshauses Gruner+Jahr (G+J ist am SPIEGEL-Verlag beteiligt). Der Verlag führte dann mit Apple einen "Dialog darüber, welche Inhalte möglicherweise noch für ethischen Anstoß sorgen könnten", nach einiger Zeit war die Anwendung wieder verfügbar.
Große Medienhäuser und Pulitzer-Preisträger haben offenbar Chancen, Gehör bei Apple zu finden, wenn sie sich über unfaire Entscheidungen beschweren und die Vorgänge veröffentlichen. Wie die Chancen kleiner Entwickler da stehen, von deren Problemen mit den Sittenwächter man womöglich gar nicht hört?
Apple äußert sich nicht zu diesen Entscheidungen und kommentiert die Regeln des App Store auch generell nicht. Die Verträge zwischen Entwicklern und Apple seien vertraulich.