Jugendschutz "Sieg der Bürokratie über die Parlamente"

Dass es Web-Inhalte gibt, die Kinder nicht sehen sollten, ist unumstritten. Dass der Entwurf zum neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag dafür sorgen kann, hingegen nicht
Foto: Joerg Sarbach/ APKünftig sollen Website-Betreiber angeben, ob ihre Seiten für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Das Verfahren sieht vor, dass sie sich registrieren und selbst einstufen. Wer das nicht tut, läuft Gefahr, "unsichtbar" zu werden: Eltern sollen dann mit einer Filtersoftware bestimmen können, was für Inhalte ihre Schützlinge im Internet nutzen dürfen - und welche blockiert werden. Das sieht der Neuentwurf des Staatsvertrags zum Jugendmedienschutz (JMStV ) vor, den die Länder in dieser Woche beschließen wollen. Er betrifft Anbieter audiovisueller Inhalte im Netz und Telemedienanbieter bis hin zu Blogs.
Neben staatlich anerkannten Alterskennzeichnungen und Zugangssperren für unter 18-Jährige sieht der JMStV auch Sendezeiten vor. Den "Tatort" gibt es in der Mediathek der ARD dann erst nach 20 Uhr - ganz wie im Fernsehen. Web-Seiten, die sich nicht an den Jugendschutz halten, können beim Provider gesperrt werden. Das soll auch derzeit schon rechtlich möglich sein, wurde aber nur in Einzelfällen angewandt. Tatsächlich haben viele Anbieter entsprechende Zeitgrenzen bereits umgesetzt: Angebote wie Movies bei MSN zeigen Filme mit Altersfreigaben ab 16 Jahren erst in den späten Abendstunden.
Obwohl sowohl die Alterskennzeichnung als auch der Einsatz der Filtersoftware freiwillig sein soll, kritisieren Netzaktivisten die Pläne der Jugendschutz-Bürokraten. "Es wird versucht, das Internet so zu behandeln wie Fernsehen oder Radio", sagt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. Sie bemängelt weltfremde Fehleinschätzungen und eine "Röhrenradio-Weltsicht".
Sie plädiert stattdessen an die Verantwortung der Eltern. Die Informatikerin hat sich bei Kollegen mit Kindern umgehört. "Da steht der Computer im Wohnzimmer und die Eltern sitzen dabei, wenn die Kinder ins Netz gehen. Wie früher mit dem Fernsehen." So könnten die Kinder Medienkompetenz lernen - und der Staat müsse nicht elterliche Pflichten übernehmen.
"Filtersoftware ist aus technischer Sicht ohnehin kein adäquates Mittel", sagt Kurz. Alvar Freude vom Arbeitskreis Zensur kritisiert, dass Internetnutzer in die Diskussion um Jugendschutz nicht eingebunden wurden. Stattdessen hätten Organisationen - zum Teil mit wirtschaftlichen Interessen - nur Kompetenzen verteilt.
Die Zustimmung zum Entwurf ist Formsache
Martin Stadelmaier, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und damit federführend verantwortlich für den JMStV, lobt hingegen das "nutzerautonome" Programm. So könnten Eltern frei entscheiden, dass ihr 15-jähriges Kind schon Inhalte mit einer Freigabe ab 16 Jahren vertrage.
Wenn nun aber viele Website-Betreiber sich das Procedere für eine Altersfreigabe sparen wollen und sich für "ab 18" entscheiden, "dann nutzt doch keiner mehr die Filter", sagt Alvar Freude.
Also alles kein Problem? Freude sieht das anders: Wenn der JMStV-Ansatz sich als Rohrkrepierer erweisen sollte, leitete das wohl "nur die nächste Eskalationsstufe" ein. Im Klartext: Wenn die Selbsteinstufung nicht genügend genutzt würde und niemand die Filtersoftware einsetze, dann könnten restriktivere Ansätze folgen.
Seit Freitag gibt es den überarbeiteten Entwurf des neuen JMStV, an dem die Bürokraten in den Landesregierungen und die Kommission für Jugendschutz in den vergangenen Monaten gearbeitet haben. Bereits am Donnerstag soll er von den Ministerpräsidenten angenommen werden. Die Zustimmung der Landesparlamente gilt nur noch als Formsache, üblicherweise wird hier nicht mehr am Entwurf herumgeflickt. "Das ist der Sieg der Bürokratie über die Parlamente", kritisiert der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek das Verfahren.
Dieser Sieg könnte allerdings noch auf völlig anderem Wege verhindert werden. Auf dem Polit-Camp in Berlin, bei dem sich am Samstag Stadelmaier und Kurz zur Diskussion trafen, holte sich der Moderator besonderen Expertenrat aufs Podium: Eine Gruppe Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren. Die surfen nicht nur am Rechner zu Hause, sondern auch mit ihren Handys im Internet.
Und weil sie technisch versierter sind als ihre Eltern, wollen sie die Software einfach umgehen.