
Kampagnen-Software fürs Netz Die Empörungsmaschinen
Nie war es einfacher, Botschaften und Informationen zu veröffentlichen, miteinander zu verknüpfen und in politische Aktionen zu überführen. Zur Entfachung eines virtuell angetriebenen Protest- oder Wählersturms, für Ad-hoc-Hilfs- und Spendenaktionen braucht man nur die richtigen Werkzeuge. Ein wachsendes Angebot an Selbsthilfe-Software und immer mehr auf Mitmachpolitik spezialisierte Dienstleister helfen dabei. Der Präsidentschaftswahlkampf 2012 in den USA wird für einen weiteren Innovationsschub in Sachen Internetmobilisierung sorgen.
Bereits auf den Markt geworfen hat das US-Start-up VoterBuzz eine Apple- und Android-App, die vom US-üblichen Kandidaten-Klinkenputzen über Umfragen und Informationsverteilung bis zur Spendenabwicklung so ziemlich die ganze Klaviatur des E-Campaining für Parteien bieten will.
Die Propagandaschlacht per Smartphone und Tablet beginnt mit einem Abo: Je nach zu erreichender Wählerzahl kostet das den werbewilligen Kandidaten 50 bis 350 Dollar pro Monat. Die VoterBuzz-Macher glauben, damit ein Geschäft machen zu können, obwohl die Entwicklung angeblich rund 250.000 Dollar gekostet haben soll. Die Kanonen, mit denen in der E-Politik geschossen wird, werden immer dicker.
Das trägt dazu bei, dass sich auch die nicht parteigebundene, nicht staatliche Seite professionalisiert. Auch da reicht Open Source oft nicht mehr aus. Gerade Spendensammler stehen in qualitativer Konkurrenz: Nur wer absolut professionell auftritt, erscheint seriös. Clicks4charity oder die "grüne" Suchmaschine Ecosia, die in zwei Jahren über 530.000 Euro Spenden generiert haben will, sind erstklassige Beispiele. Der Bedarf an professionellen Programmen und Diensten, um in diesem Netz des Engagements mitmischen zu können, wächst entsprechend.
Non-Profit-Projekte für Non-Profit-Projekte
Bereits 2003 begannen nichtkommerzielle Initiativen wie das Tactical Technology Collective, NGO mit Tipps und Strategien zu beraten. Inzwischen stellt TacticalTech Software-Werkzeugsätze für verschiedene kommunikative Zwecke zusammen. Ihre Hauptaufgabe sieht die Organisation allerdings in Schulungsmaßnahmen für NGO-Mitarbeiter. Aus anderen NGO fließen TacticalTech Gelder zu, zudem kommen Einnahmen aus acht gemeinnützigen Stiftungen und Spenden.
Ähnlich sieht das bei Ushahidi aus, dort geht man allerdings einen pragmatischeren Weg: Die Organisation will das Sammeln, die Visualisierung und das zur Verfügung stellen von Informationen perfektionieren - zu gemeinnützig-politischen Zwecken. Ushahidi ist eine Transparenzplattform: Seinen Anfang nahm das Projekt 2008, als es die Gewaltausbrüche nach den Wahlen in Kenia mit interaktiven Karten und Zeugnissen von Bürgerjournalisten, also Zeugen vor Ort, dokumentierte.
Seitdem kam Ushahidi mehrfach als Werkzeug bei der Wahlbeobachtung zum Einsatz, trug dazu bei, Naturkatastrophen zu dokumentieren und half, den Fluss von Hilfslieferungen durch die Visualisierung von Versorgungslücken zu optimieren; beispielsweise nach den Erdbeben in Haiti, Chile und Neuseeland im vergangenen Jahr.
Wie jedes Werkzeug lässt es sich für verschiedene Zwecke einsetzen, für Proteste oder in der Logistik, in der PR oder nur zum Spaß. Ushahidi wird von elf namhaften Stiftungen und Firmen finanziert - darunter die Ford Foundation, Google, Mozilla und Cisco - und von weiteren Organisationen technisch und juristisch unterstützt.
TacticalTech und Ushahidi stehen an entgegengesetzten Punkten des Spektrums: von Open-Source-Paketen mit Rundumschlag-Charakter bis zu spezialisierten Lösungen für die politische Arbeit. Dazwischen werkelt eine wachsende Branche von Dienstleistern, die NGO und politischen Interessengruppen zuarbeiten. Viele stehen den Aktivisten weit näher als die Politberatungs-Profis von VoterBuzz mit ihrem kommerziell orientierten Kampagnenwerkzeug.
Werkzeug für Nichtspezialisten
Zu ihnen gehört die kleine Wiener Software-Schmiede more onion. Wie viele andere stieg sie ins Geschäft ein, indem sie Blogs für NGOs oder Kommunikationsforen wie die Online-Community von Attac International entwarf. "Wenn man mit einem NGO-typischen Gehalt auskommt", sagt Florian Engel, einer der drei Firmengründer, "kann man davon durchaus leben. Der Markt entwickelt sich langsam, aber stetig, nachdem E-Campaigning mittlerweile Teil jeder modernen Kampagne ist."
In dieser Woche stellte die Firma den "Advocacy Engine" vor, einen Baukasten für die eigene Protest- oder Kampagnenseite. Engels: "Wir entwickeln ein Produkt, das es NGO ermöglicht, mit wenigen Klicks eine Online-Kampagne auf die Beine zu stellen. Man kann damit diverse Online-Aktionen umsetzen, Petitionen einrichten, E-Mails aussenden und mit wenigen Klicks das Aussehen der Kampagnenseite ändern. Es ist sozusagen das Wordpress für E-Campaigning."
Eigentlich liegt Open Source im Trend. Doch Engel hat beobachtet, dass die meisten NGO keine Kapazität hätten, die nötigen Kompetenzen dafür im eigenen Team auszubilden. Da aber auch bei der Arbeit mit Open Source Software oft aufwendige Konfigurationen oder Anpassungen erforderlich seien, glaubt Engel, dass sich der Einsatz von "Advocacy Engine" rechnen könne.
Kampagnen, die mehr als einen hemdsärmeligen Charme brauchen, werden sich mittelfristig in ihren Methoden und ihrer Selbstdarstellung professionalisieren müssen - egal, ob mit kostenloser Open-Source-Hilfe oder proprietären Tools. Die Werkzeugsätze entstehen gerade allerorten, nebenbei auch das Geschäft dafür.
Engels ist sich völlig sicher, dass Online-Engagement mehr als eine Mode ist: "Die Frage ist nicht 'Online-Involvement' oder 'traditioneller Protest'. Die Frage ist: Was ist effektiv? Während das Interesse an E-Campaigning von Seiten klassischer Medien vielleicht abklingen wird, werden die Strategien weiter verfolgt werden, die zu politischen Veränderungen geführt haben."
Kürzer gesagt: Hat E-Campaigning Erfolg, wird es zum Normalfall.