Warnung vor russischer Antivirensoftware Kaspersky wirft Bundesamt »ungerechtfertigten Angriff« vor

Deutschlands Cybersicherheitsbehörde warnt vor Kaspersky-Software. In einem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt, kritisiert der Firmengründer die Entscheidung. Er fürchtet weltweite Folgen für die IT-Sicherheit.
Eugene Kaspersky: »Unbegründete Anschuldigungen«

Eugene Kaspersky: »Unbegründete Anschuldigungen«

Foto: Pavel Golovkin/ AP

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Am Dienstag hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor dem Einsatz von Kaspersky-Virenschutzprodukten offiziell gewarnt und deren Anwendern empfohlen, sie »durch alternative Produkte zu ersetzen«. Konkrete Vorwürfe hatte das Amt in seinem Warnschreiben nicht erhoben. Es bestehe aufgrund der aktuellen Lage aber das »erhebliche Risiko eines erfolgreichen IT-Angriffs«, heißt es in der Warnung .

Die Argumentation der Behörde: »Ein russischer IT-Hersteller kann selbst offensive Operationen durchführen, gegen seinen Willen gezwungen werden, Zielsysteme anzugreifen, oder selbst als Opfer einer Cyberoperation ohne seine Kenntnis ausspioniert oder als Werkzeug für Angriffe gegen seine eigenen Kunden missbraucht werden.« (Lesen Sie hier mehr zu den Hintergründen.)

Firmengründer Eugene Kaspersky schreibt nun in einem offenen Brief ans BSI, der dem SPIEGEL exklusiv vorab vorlag, dass das »reine Spekulationen sind, die durch keine objektiven Beweise oder technischen Details gestützt werden«. Die Entscheidung hält Kaspersky für eine rein politische, und möglicherweise eine, die nicht vom BSI selbst getroffen wurde. Er schreibt, er empfinde es als »ironisch, dass die Organisation, die sich für Objektivität, Transparenz und technische Kompetenz einsetzt, (...) sich buchstäblich über Nacht dazu entschlossen hat oder gezwungen wurde, diese Prinzipien aufzugeben«. Das BSI ist dem Bundesinnenministerium untergeordnet.

Auszug aus dem offenen Brief von Eugene Kaspersky

Auszug aus dem offenen Brief von Eugene Kaspersky

Das Unternehmen habe nur wenige Stunden Zeit gehabt, um sich zu den »unbegründeten Anschuldigungen zu äußern«, schreibt Kaspersky. »Dies ist keine Einladung zum Dialog – es ist eine Beleidigung.«

Die Entscheidung des BSI sei nicht nur »grundfalsch« und ein ungerechtfertigter Angriff auf sein Unternehmen und dessen Mitarbeiter, sie bedeute auch eine Schwächung der IT-Sicherheit in Deutschland und »einen riesigen blinden Fleck« für europäische Sicherheitsexperten, »die nicht mehr in der Lage sein werden, Bedrohungsdaten aus der ganzen Welt – und insbesondere aus Russland – zu empfangen«.

Lesen Sie hier den Brief, der am Mittwoch auch auf der Website des Unternehmens in Gänze veröffentlicht werden soll, in voller Länge:

Offener Brief von Eugene Kaspersky an das BSI

Wenige Stunden nach der BSI-Warnung hatte der Bundesligaklub Eintracht Frankfurt seinen Sponsorenvertrag mit dem russischen Softwareunternehmen gekündigt – und dabei auf die Behörde verwiesen.

Auch bei Unternehmenskunden und privaten Anwendern sorgte die Warnung für Unsicherheit. Die Kundenbetreuung befinde sich seither im Dauereinsatz und werde mit Anrufen bestürmt, heißt es im Unternehmen.

Kaspersky nennt den Krieg auch so

Eugene Kaspersky selbst hatte sich zuvor erst einmal öffentlich zum Krieg zu Wort gemeldet – Tage nach dem russischen Einmarsch und mittels zweier kurzer Tweets. Seine Wortmeldung, in der er eine »friedliche Verhandlungslösung« forderte und zweimal von der aktuellen »Situation« sprach, wurde vielfach kritisiert. Allerdings sprach Kaspersky darin auch von einem »Krieg« und folgte damit nicht der Kreml-Sprachregelung.

Im offenen Brief schreibt er unter anderem: »Dieser Krieg ist eine Tragödie, die bereits Leid über unschuldige Menschen gebracht hat und sich auf unsere hypervernetzte Welt auswirkt«. Die globale Cyber-Sicherheitsindustrie könne »einen kollateralen Schaden erleiden – und damit alle weniger sicher machen«.

Das Unternehmen hat in IT-Sicherheitskreisen international einen guten Ruf, auf seinen Konferenzen sprachen in den vergangenen Jahren viele westliche Experten, darunter auch ehemalige Mitglieder amerikanischer Geheimdienste. Gleichzeitig gab es bereits vor dem Ukrainekrieg Vorbehalte und kritische Stimmen. Die USA hatten 2017 entschieden, keine Kaspersky-Produkte mehr in Regierungsbehörden zu dulden, die Niederlande zogen ein Jahr später nach.

»Hartnäckige Mythen«

In allen Debatten über das Unternehmen spielte die schillernde Figur des Gründers und dessen persönlicher Vergangenheit eine Rolle. Eugene Kaspersky hatte als Jugendlicher einst die technische Fakultät einer KGB-Schule besucht, seine erste Frau lernte er in einem Feriencamp des Geheimdienstes kennen.

Das Unternehmen widerspricht den »hartnäckigen Mythen« rund um Geheimdienstkontakte auf seiner Website . Man kooperiere zwar tatsächlich mit dem russischen Innenministerium und dem KGB-Nachfolger FSB heißt es dort – allerdings ausschließlich, um Cyberkriminelle zu bekämpfen. »Jede andere Form der Zusammenarbeit würde gegen unsere Prinzipien verstoßen.«

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