Justizministerin Barley zur DSGVO "Mit Verunsicherung verdienen Leute Geld"

Katarina Barley
Foto: Ralf Hirschberger/ dpaSPIEGEL ONLINE: Ab Freitag kommt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zur Anwendung. Laut Bitkom hält sich nur ein Viertel der deutschen Firmen für ausreichend vorbereitet. Blogger, Fotografen, Vereine und Schulen haben Angst vor Abmahnungen oder Bußgeldern, Anwälte und Datenschützer streiten über die korrekte Auslegung. Was ist da schiefgelaufen?
Barley: Etwas Neues bringt am Anfang immer Unsicherheiten mit sich. Das ist ganz normal. Doch im Fall der europäischen Datenschutzgrundverordnung ist vieles davon unbegründet. Das sieht auch der für das Thema zuständige Bundesinnenminister so. Als Verbraucherschutzministerin kann ich sagen: Das neue Recht gibt den Menschen mehr Kontrolle über ihre persönlichen Daten. Das ist ein gewaltiger Fortschritt für die Selbstbestimmung und Privatsphäre von Millionen Europäern. Die EU hat sich dabei das deutsche Recht zum Vorbild genommen. Alle, die jetzt Unterstützung bei den notwendigen Änderungen suchen, seien es Ehrenamtler, Engagierte in Vereinen oder Fotografen, müssen diese auch kompetent erhalten. Gerade die Landesdatenschutzbeauftragten leisten da eine wichtige Arbeit, etwa mit entsprechenden Checklisten und Erläuterungen.

Katarina Barley, 50, ist Justizministerin und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl. Bis Juni 2017 war sie SPD-Generalsekretärin. Dann übernahm sie das Familienministerium, nach der Bundestagswahl auch zeitweise geschäftsführend das Arbeitsministerium. Barley, promovierte Juristin, arbeitete vor ihrem Einzug in den Bundestag 2013 unter anderem als Richterin und Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht.
SPIEGEL ONLINE: Ist für Sie als Juristin die Restunsicherheit normal?
Barley: Mit Verunsicherung verdienen einige Leute momentan Geld, etwa indem sie überflüssige Beratungen anbieten. Das ist unredlich. Im Vergleich mit dem bisherigen deutschen Recht sind die Grundprinzipien der Datenschutzgrundverordnung weitgehend unverändert geblieben. Deswegen sehe ich auch die Gefahr von Abmahnungen, die viele Betroffenen fürchten, hier als gering an. Gegen das Abmahnungswesen werden wir aber insgesamt vorgehen. Das haben wir auch so im Koalitionsvertrag vereinbart.
SPIEGEL ONLINE: Facebook nutzt die DSGVO derweil zur Wiedereinführung der Gesichtserkennung in Europa. Die Einwilligung der Nutzer erfordert einen Klick. Das Beibehalten der Nichteinwilligung erfordert hingegen vier. Was sagt Ihnen das über Facebook?
Barley: Facebook will wie jedes Unternehmen möglichst viel Geld verdienen. Das muss den Nutzerinnen und Nutzern klar sein. Ich glaube aber, dass das Bewusstsein für den Wert der eigenen Daten in den vergangenen Monaten deutlich gewachsen ist. Es darf aber natürlich nicht schwieriger sein, eine datenschutzfreundliche Einstellung zu wählen, als eine, mit der Daten beliebig freigegeben werden. Die Grundeinstellung sollte immer die mit der höchsten Privatsphäre sein. Ausnahmen davon müssen dann ganz bewusst gesetzt werden. Das muss Standard werden.
SPIEGEL ONLINE: Das heißt?
Barley: Nach der Datenschutzgrundverordnung besteht die Pflicht, datenschutzfreundliche Voreinstellungen einzurichten. Das gilt nicht nur für soziale Netzwerke, sondern auch für das Smartphone oder den intelligenten Kühlschrank mit Internetanschluss. Die Einhaltung dieser Verpflichtung wird von den Datenschutzaufsichtsbehörden überwacht werden. Die Politik wird sehr aufmerksam beobachten, ob die Unternehmen diesen Verpflichtungen nachkommen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Facebook in einem Brief aufgefordert, seiner "unternehmerischen Verantwortung gerecht" zu werden, einen "ernsthaften Wandel" vorzunehmen, mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten für die Nutzer zu schaffen und seine Algorithmen zumindest teilweise offenzulegen. Und wenn nicht?
Barley: Wirksame Regulierung kann in diesem Bereich nur auf europäischer Ebene erfolgreich sein. Hier ist aktuell die E-Privacy-Verordnung in der Diskussion, mit der wir effektive Regeln gegen uferloses Tracking und Profilbildung, aber eben auch Regelungen für eine bessere Privatsphäre durchsetzen wollen. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit. Gleichzeitig kann öffentlicher Druck durchaus etwas verändern. Deswegen ist es mir wichtig, Unternehmen wie Facebook da nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Wenn Werbepartner abspringen oder Nutzer ihre Accounts auf Eis legen oder ganz löschen, dann lässt das kein Unternehmen kalt.
SPIEGEL ONLINE: Das passiert aber nicht. Jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Wenn wir uns die jüngsten Quartalszahlen ansehen, die Entwicklung des Börsenkurses und wenn wir Zuckerbergs öffentlichen Äußerungen glauben, stellen wir fest: Dauerhafte Einbußen hat Facebook nicht.
Barley: Es wäre ärgerlich, wenn wir uns immer nur auf Facebook beschränken würden. Es geht um alle großen Internetunternehmen. Die ducken sich weg. Ein Ansatz, mit dem man ein Umdenken bewirken kann, ist die sogenannte Interoperabilität. Das Ziel ist es, dass man nicht zwingend selbst bei einem bestimmten Dienst angemeldet sein muss, um sich mit anderen Nutzern austauschen zu können. Ein gutes Beispiel, wo das schon funktioniert, sind die Mobilfunkanbieter, deren Netze ja auch miteinander verbunden sind. Zu Messengerdiensten wie WhatsApp sollte es Alternativen geben, die deutlich bessere Datenschutzstandards haben. Aber solange es keine Interoperabilität zwischen den Messengerdiensten gibt, ist es quasi unmöglich, die Marktmacht eines Anbieters wie WhatsApp zu brechen. Die Politik könnte das gesetzlich erzwingen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben außerdem mehrfach über ein mögliches Pluralismus-Gebot gesprochen. Was für ein Gesetz könnte denn den staatlichen Eingriff zum Beispiel in die Newsfeed-Sortierung von Facebook rechtfertigen?
Barley: Jeder regt sich über die Filterblasen auf, weil die nicht gut seien für die Demokratie. Ein Pluralismus-Gebot wäre ein Ansatz, diese Filterblasen zum Platzen zu bringen. Das ist ein Diskussionsbeitrag von mir gewesen. Wenn man einem Impfgegner auch mal einen Artikel zeigt, in dem es um die Gefährlichkeit des Nichtimpfens geht, dann kann er das lesen oder halt lassen. Es geht darum, mal eine andere Sichtweise zu zeigen.
SPIEGEL ONLINE: Unser Kolumnist Sascha Lobo hat Facebook als "soziale Infrastruktur" bezeichnet: "eine Plattform, die in einer digitalen Gesellschaft die Standards der Information, der Kommunikation und der Öffentlichkeit setzt". Und weil das so neuartig sei, wisse bisher niemand, wie ihre Regulierung aussehen müsste. Sehen Sie das auch so?
Barley: Teilweise. Ja, so etwas gab es noch nicht. Aber wir wollen ja nicht regulieren, um zu regulieren. Anders gesagt: Ich möchte nicht das eigentliche Angebot von Facebook und anderen sozialen Netzwerken problematisieren. Ich nutze sie selbst, wenn auch nur dienstlich, und ich finde es toll, dass es so etwas gibt. Klar muss aber sein, dass die Internetdienste die gesetzlichen Regelungen einhalten müssen - und dies auch effektiv kontrolliert wird. Aber Plattformen bringen eben konkrete einzelne Probleme mit sich, die wir lösen müssen. Und das können wir auch.
SPIEGEL ONLINE: Ein anderes Thema. Die Koalition streitet über das Werbeverbot für Abtreibungen. Wann gibt es da eine Einigung?
Barley: Wir befinden uns momentan innerhalb der Bundesregierung in Gesprächen. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen abgestimmten Vorschlag vorlegen werden.
SPIEGEL ONLINE: Aber Ihre Partei fordert eine Lösung bis zum Herbst.
Barley: Wir haben noch nicht Herbst.
SPIEGEL ONLINE: Es soll einen Zusatzabsatz geben, mit dem Ärzten Informationen über Abtreibungen erlaubt werden.
Barley: Wie gesagt sind wir in laufenden Gesprächen. Wir haben verschiedene Möglichkeiten besprochen. Mir ist wichtig, dass wir am Ende eine gesetzliche Lösung haben, die den betroffenen Frauen hilft und Ärztinnen und Ärzte nicht länger kriminalisiert. Darum geht es.
SPIEGEL ONLINE: Schließt die Union weiter aus, den Paragrafen 219a, in dem das Werbeverbot geregelt ist, abzuschaffen?
Barley: Das müssen Sie die Union fragen. Wir sind noch mitten in den Verhandlungen.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn die scheitern?
Barley: Darüber spekuliere ich nicht. Mir geht es wie gesagt darum, dass am Ende eine gute Regelung für alle Betroffenen steht.
SPIEGEL ONLINE: Die SPD will in der GroKo diesmal nicht mehr nur den Koalitionsvertrag umsetzen, sondern streitbarer sein, mehr SPD pur zeigen. Wie wollen Sie das umsetzen?
Barley: Diese Koalition besteht aus drei Parteien, die wirklich unterschiedlich sind. Das darf ruhig deutlich werden. Die Menschen erwarten das von einer Demokratie. Ich finde es seltsam, dass bei einer Diskussion immer gleich der große Streit heraufbeschworen wird.
SPIEGEL ONLINE: Aber noch mal: Wie setzen Sie die neue, offensivere Strategie der SPD persönlich um?
Barley: Ich bin in der Bundesregierung für Justiz und Verbraucherschutz verantwortlich. Diese Themen vertrete ich mit großer Leidenschaft. Wenn es da was am Koalitionspartner zu kritisieren gibt, tue ich das.
SPIEGEL ONLINE: Bevor klar war, wer in der SPD welches Ministerium bekommt, haben Sie sich selbst als "Allzweckwaffe" bezeichnet.
Barley: Das werde ich bis zum Ende meines Lebens zu hören bekommen. Ironie hat in der Politik noch nie funktioniert.
SPIEGEL ONLINE: Es war ja aber auch sehr selbstbewusst. Und da wurde natürlich prompt spekuliert: Auswärtiges Amt, Arbeitsministerium. Sind Sie nun zufrieden mit dem Justizministerium?
Barley: Ich bin wirklich sehr zufrieden. Es ist mein Terrain. Ich habe in Rheinland-Pfalz lange im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gearbeitet, war beim Bundesverfassungsgericht und Richterin. Ich habe beim Wechsel erst mal festgestellt, dass ich in den vergangenen Jahren kaum Juristen um mich herum hatte.
SPIEGEL ONLINE: Und das haben Sie ernsthaft vermisst?
Barley: In der juristischen Ausbildung lernt man unheimlich viel Handwerkszeug. Zum Beispiel: wie man an Probleme herangeht und wie man Ergebnisse präsentiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meinem Haus ticken da so wie ich. Und das ist auch der Grund, warum wir so schnell mit der konkreten Arbeit an Gesetzen loslegen konnten.