
Lobbyregister So hilfreich wie ein Cola-Foto gegen Durst


Mehr Transparenz in der Politik? - Gern, aber bitte nicht überall: Angela Merkel
Foto: Pool / Getty ImagesGuten Tag, sind Sie gerade wütend? Sie sollten es sein. Und zwar einerseits auf die Corona-Knalltüten und andererseits auf die Regierung Merkel, ja, das geht gleichzeitig, wenn man erwachsen ist. Seit Wochen verstopfen die Verschwörungspeople mit ihren bizarren 5G-Bill-Gates-Absurditäten die Kanäle der öffentlichen Aufmerksamkeit. Weil in ihren Aktionen und Erzählungen ein gefährliches Potenzial liegt, kann man nicht nicht über sie berichten.
Aber im nachrichtlichen Windschatten dieser selbstgerechten Fußhupen verschlechtert die Regierung Merkel die liberale Demokratie. Sie kämpft nämlich dafür, dass der elende Graubereich zwischen Korruption und Lobbyismus genau das bleibt: ein elender Graubereich. Sie schützt Mechanismen, die sich oft und oft als Einfallstore der Käuflichkeit erwiesen haben, Sie torpediert Bemühungen zu mehr Transparenz in der Politik, sie verhindert, dass die Demokratie im 21. Jahrhundert ankommt.
"Scheise was ist pasirt?" Soeben ist der Entwurf eines sehr wichtigen Gesetzes öffentlich geworden, der zum Lobbyregister. Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wer in welchem Auftrag wie die gewählte Politik beeinflusst. Über viele Jahre hat Angela Merkels CDU genau das blockiert, weil es zum Selbstverständnis der Union gehört, das Wahlvolk nicht mit zu vielen Informationen über das eigene Schaffen zu belasten. Jetzt aber - nach dem Amthor-Debakel mit Augustus Intelligence - schien der Druck zu groß zu werden, und Merkel musste sich der langjährigen Forderung von SPD und Opposition stellen, Licht ins Lobbydunkel zu bringen.
Politik funktioniert stark über öffentliche Aufmerksamkeit als Korrektiv. Die großen Debatten sind nach Wahlen das zweitwirksamste Instrument der liberalen Demokratie, weil der Druck der Öffentlichkeit stets auch als Drohung des Entzugs der Wahlgunst betrachtet werden kann. Das funktioniert manchmal überraschend gut - deshalb ist es so katastrophal, dass die Corona-Querfrontdenker alle politische Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Denn nun wird sichtbar, was das Nachlassen des öffentlichen Drucks in Sachen Amthor mit dem geplanten Lobbyregister angerichtet hat: Der Gesetzentwurf ist für mehr Transparenz so geeignet wie das Foto einer Cola bei Durst. Wirklich wahr.
Es beginnt mit der grotesken Unverschämtheit, dass das geplante Gesetz nichts - also buchstäblich nichts - von Philipp Amthors Aktivitäten für Augustus Intelligence offenbaren würde. Man muss sich das vor Augen führen: Ein Gesetz wird offensichtlich aus Anlass eines Skandals eingeführt, aber hätte gar keine Wirkung auf den Skandal gehabt. Als würde man einem brennenden Haus als Sofortmaßnahme Mozart vorspielen. Und das ist nur der Anfang.
Das Kanzleramt bleibt dunkel
Hans-Martin Tillack vom "Stern" hat treffsicher die bitterste Zumutung des Gesetzentwurfs aufgespießt . Bitte halten Sie sich kurz fest, es folgt keine Satire: Das geplante Lobbyregister spart alle Bundesministerien aus. Oh, und die Bundesregierung selbst. Das Kanzleramt, Schauplatz der größten und wirksamsten Lobbybemühungen in diesem Land, bleibt so verdunkelt wie eine Munitionsfabrik beim Bombenangriff. Hier als direkter Kontrast eine unvollständige Auflistung der jüngsten Lobbyschamlosigkeiten rund um das Haus Merkel:
Beim Skandal um Augustus Intelligence kann es durchaus sein, dass das Kanzleramt ein Treffen zwischen dem Firmeninvestor und Mitarbeiter Karl-Theodor zu Guttenberg und Angela Merkel verheimlicht hat, die Opposition spricht von "Täuschung des Parlaments".
Auch beim Skandal um Wirecard - es geht hier um den Milliardenbetrug eines ehemaligen DAX-Konzerns - bleibt die genaue Rolle des Kanzleramts unklar. Merkel setzte sich in China für Wirecard ein , zu einem Zeitpunkt, als bereits Zweifel an der Redlichkeit des Unternehmens international bekannt waren. Und zwar nur Tage nach einem persönlichen Besuch von zu Guttenberg bei Merkel, der, haha, nicht nur für Augustus Intelligence, sondern auch für Wirecard lobbyierte, Guttenberg als Mauschelmidas.
Merkels ehemaliger Geheimdienstkoordinator, Klaus-Dieter Fritsche, lobbyierte sowohl für Augustus Intelligence wie auch für Wirecard.
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21.03.2023 09.09 Uhr
Keine Gewähr
Und das sind nur die durch Medienrecherchen bekannt gewordenen Schmierlappigkeiten der letzten Monate. Man kann von einer gewissen Regelmäßigkeit solcher Lobbyaktivitäten ausgehen, wenn man weiß, dass schon häufiger ehemalige Unionsgranden und Merkelvertraute in höchste Lobbypositionen gelangten, im Herbst 2019 etwa Hildegard Müller für die Automobilindustrie . Müller gilt seit ihrem Job als Staatsministerin im Kanzleramt als enge Vertraute Merkels, deren Kapital deshalb seit über zehn Jahren ist, jederzeit das Ohr der Kanzlerin zu bekommen. Es sind genau solche Gespräche, die im 21. Jahrhundert eigentlich transparent und nachvollziehbar sein müssten. Aber Angela Merkel blockt konsequent ab.
Ebenso wäre bei einer Reihe von Bundesministerien dringend mehr lobbyfokussierte Öffentlichkeit geboten. Zum Beispiel bei den Skandalen um Ursula von der Leyen und den Beratern von McKinsey (leider Handy gelöscht), Andreas Scheuer und die Mautmauscheleien (leider Handy gelöscht) oder Olaf Scholz und die mangelhafte Cum-Ex-Aufklärung sowie die Wirecard-Merkwürdigkeiten (bisher kein Handy gelöscht).
Eine aktuelle, erschütternde Recherche der "FAZ" beweist , dass auch in den ministeriellen Behörden mehr Öffentlichkeit und bessere Regeln notwendig wären. Die oberste Finanzaufsicht Bafin, dem Bundesfinanzministerium unterstellt, ist eigentlich dafür zuständig, Finanzdienstleister wie Wirecard zu überwachen. Allerdings dürfen die Mitarbeiter ganz legal zugleich auch mit Aktien handeln. Und Teufel Zufall, keine Aktie wurde von Anfang 2019 bis Mitte 2020 bei der Bafin häufiger gehandelt als die von Wirecard. Mit am intensivsten hat sich dabei die Abteilung WA2 beim Aktienkauf und Verkauf hervorgetan - ausgerechnet jene Abteilung, die zuständig ist für Marktmanipulationen, die Überwachung von Leerverkäufen sowie der Einhaltung der Regeln zum Insiderhandel. Also exakt die Felder, die für das Wirecard-Debakel essenziell sind. Und währenddessen, was für ein Hohn, zeigt ebendiese Bafin die Investigativjournalisten an, die früh vor Wirecard gewarnt haben. Das sieht nicht mehr nur nach Bock zum Gärtner aus, das wirkt schon wie eine Bockzucht in der Gärtnerschule.
Noch bis Mitte August fand jedoch das zuständige Bundesministerium für Finanzen, die Regeln für den Aktienhandel von Mitarbeitern seien "streng und angemessen" . Jetzt überlegt die Bundesregierung, die Regeln vielleicht doch zu verschärfen, vermutlich mit ähnlicher Ernsthaftigkeit wie beim Lobbyregister.
Zwischen Demokratierelevanz und Schmiermittelanwendung
Es ist genau dieser Verschweige- und Beschönigungsgeist der Ära Merkel, der Sie wütend machen sollte. Denn Lobbyismus ist für sich genommen demokratierelevant, wenn er als transparente, sauber agierende Interessenvertretung daherkommt. Aber die Erfahrung zeigt, dass nur die richtigen, offenen und nachvollziehbaren Strukturen samt Kontrolle durch die Öffentlichkeit den Lobbyismus davor bewahren, in die Schmiermittelanwendung zu geraten.
Dabei geht es nicht um vollständige, radikale Transparenz, die tatsächlich kontraproduktiv sein könnte - es geht um den ersten Anflug des Hauchs der Idee von Transparenz. Und das ist nicht meine persönliche Einschätzung. Die OECD hatte schon 2013 "Zehn Prinzipien für Transparenz und Integrität beim Lobbying" veröffentlicht. Der aktuelle Entwurf trifft nicht einmal die dort formulierten Minimalanforderungen . Genau diese dringend notwendige Öffnung des Politikbetriebs möchte Angela Merkel verhindern. Und weil durch das Corona-Getöse der letzten Wochen der öffentliche Druck in dieser Sache stark nachgelassen hat, scheint die Kanzlerin damit durchzukommen. In dieser Hinsicht sind die Corona-Rebellendarsteller das Beste, was Angela Merkel passieren konnte.