Anlagebetrug So funktioniert die Abzocke mit Fake-Anzeigen

Markus Lanz in Handschellen ist das Lieblingsmotiv von Kriminellen, die Opfer in Anlagefallen locken wollen. Hinter den gefälschten Anzeigen auf Medien-Websites steckt ein Milliardengeschäft.
Markus Lanz und eine Fake-Anzeige: Hinter der Masche steckt ein Milliardengeschäft

Markus Lanz und eine Fake-Anzeige: Hinter der Masche steckt ein Milliardengeschäft

Foto: ZDF

Seit mindestens einem Jahr tauchen sie immer wieder auf Websites deutscher Medien auf, darunter auch SPIEGEL.de: Anzeigen, die den Moderator Markus Lanz in Handschellen zeigen, dazu Texte wie »Tausende strömen nach Lanz’ Verhaftung zu den Geldautomaten«. Wer auf die Anzeigen klickt, landet – zumindest auf den ersten Blick – bei einem Artikel der Tagesschau, in dem die angebliche Verhaftung des Talkmasters damit erklärt wird, er habe eine sensationelle Geldanlagestrategie verraten wollen.

In seiner Sendung sagt Markus Lanz im ZDF: »Mit dieser Anzeige bin ich mittlerweile millionenfach konfrontiert.« Er werde in seinem Alltag immer wieder von Leuten angesprochen, die solche Behauptungen ernst nehmen und meinen, der Moderator sei von der Regierung mundtot gemacht worden.

Natürlich ist alles erfunden: Weder wurde Markus Lanz verhaftet, noch hat er in »Die Höhle der Löwen« eine Geldanlagemethode anpreisen wollen, mit der Anleger ohne Kenntnis oder Kapital jeden Tag mehr als 7000 Euro verdienen können. Eigentlich wären diese Betrugsseiten mit den üblichen Lektionen der Medienkompetenz einfach zu durchschauen: Ein Blick in andere Medien zeigt, dass Markus Lanz in Freiheit ist, und regelmäßigen Zuschauerinnen oder Lesern der Tagesschau müsste schnell auffallen, dass dort keine derartigen Anlagetipps gegeben werden.

Anstrich von Authentizität

So unglaubwürdig die Geschichte erst einmal klingt, so professionell werden alle Register der Kundentäuschung gezogen. Das Design einer Tagesschau-Website ist gekonnt imitiert. Unter dem Artikel erscheinen zusätzlich Kommentare von angeblich begeisterten Nutzern der Anlageplattform, die dem Ganzen den Anstrich von Authentizität geben. Zudem schüren die unbekannten Autoren Ressentiments, indem sie behaupten, dass »die Politik« dem »Durchschnittsbürger« den finanziellen Wohlstand vorenthalten wolle.

Fake-Anzeige im Angebot der »Welt«: Zahlreiche redaktionelle Angebote betroffen

Fake-Anzeige im Angebot der »Welt«: Zahlreiche redaktionelle Angebote betroffen

Foto: welt.de

Klickt man dann auf einen der vielen Links im Artikel, landet man auf einer schlichten Website mit gezielt seriösem Design und mehreren Siegeln, wie man sie auch auf realen Websites findet. Die Versprechen ähneln denen vieler Fintech-Unternehmen: etwa, dass keine Handelserfahrung notwendig sei und dass man bereits in 15 Minuten mit dem Handel beginnen könne. Gleichzeitig wird Druck ausgeübt: Oben erscheint ein rotes Banner, das den Nutzerinnen und Nutzern nur zehn Minuten Zeit gibt, sich zu registrieren, wegen der »sehr hohen Mediennachfrage«. Hierbei handelt es sich um ein bekanntes Muster, das nicht nur von Anlagebetrügern seit Jahren eingesetzt wird. Indem man Zeitdruck aufbaut, wird Stress erzeugt, der zu unüberlegten Kaufentscheidungen führen soll.

Druck wird aufgebaut

Wer die kurze Bedenkzeit nutzt, um auf Google nach dem Namen der vermeintlichen Wunderplattform zu suchen, bekommt in zahlreichen Suchtreffern versichert, dass es sich zumindest prinzipiell um ein seriöses Geschäft handelt, das nur die besten Nutzerbewertungen bekommen hat. Die Strategie zielt augenscheinlich darauf, die Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten sicherzustellen: Auf der einen Seite das seriöse Design der Tagesschau und die Reputation der Websites, auf denen die Werbung ausgespielt wird. Auf der anderen Seite die Kommentare scheinbar zufriedener Kunden und vermeintlicher Anlegerschützer, die zwar immer mal wieder auf das Risiko solcher Anlagen hinweisen, aber so tun, als ob es sich bei dem Unternehmen um prinzipiell seriöse Plattformen handelt.

Das vermeintliche Anlegerportal ist betont schlicht gehalten: Wer seinen Namen und E-Mail eingibt, wird direkt nach der Telefonnummer gefragt

Das vermeintliche Anlegerportal ist betont schlicht gehalten: Wer seinen Namen und E-Mail eingibt, wird direkt nach der Telefonnummer gefragt

Foto: bitcoineer.app

Spätestens seit der Hype um Kryptowährungen die Massen erreichte, sind ähnliche Angebote wie Sand am Meer zu finden. Hinter zahlreichen Angeboten stecken Organisationen, die oft Callcenter in mehreren Ländern betreiben. Das Geschäft verläuft immer ähnlich. Die Anleger werden erst dazu gebracht, zum Einstieg zunächst relativ kleine Beträge in die Plattform zu stecken. Anschließend wird ihnen weisgemacht, dass ihre Anlage sehr erfolgreich ist, sodass sie immer mehr Geld investieren. Wer jedoch irgendwann versucht, das angeblich leicht verdiente Geld wieder abzuheben, wird oft enttäuscht: Das Geld ist weg und die Anlageplattform schließlich verschwunden.

Internationale Verbindungen

Oberstaatsanwalt Nino Goldbeck ermittelt seit Jahren gegen solche »Cybertrader«. Die Zentralstelle Cybercrime Bayern hat es mithilfe internationaler Polizeibehörden geschafft, dass bereits 27 Angeklagte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, mehrere Angeklagte sitzen in Untersuchungshaft. Doch damit befindet sich die Strafverfolgung erst am Anfang. »In einigen Staaten bildet das Geschäft mit diesen Plattformen quasi eine eigene Industrie, einen hochprofitablen Wirtschaftszweig«, erklärt Goldbeck dem SPIEGEL. »Die Tätergruppen arbeiten hochgradig arbeitsteilig, zum Teil konzernähnlich.«

Die Täter versuchen auf zahlreichen Wegen, neue Opfer zu ködern, teilweise sogar über Datingportale. Doch die Masche mit den Fake-Anzeigen scheint besonders kosteneffektiv zu sein: »Mit der Platzierung von Anzeigen auf renommierten Portalen und mit dem Kopieren des Designs versuchen die Gruppen, Glaubwürdigkeit zu gewinnen«, sagt Goldbeck. »Bei Spam-Nachrichten per E-Mail und anderen unseriösen Werbepraktiken ist die Erfolgsquote dagegen nur sehr gering.« Dies hat zu einer weiteren Spezialisierung geführt: Während manche Tätergruppen Callcenter in mehreren Ländern betreiben, die sich um den Kontakt zu den Opfern kümmern und sie zu ständig neuen Einzahlungen verleiten, kümmern sich andere Gruppen nur um die Werbung. Dabei entwerfen diese Gruppen für verschiedene Länder unterschiedliche Anzeigenmotive, in der Schweiz wird zum Beispiel der Bundespräsident in Handschellen gezeigt.

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Das Geschäft lohnt sich. Von ihren Neukunden verlangen die vermeintlichen Investmentanbieter häufig eine Einzahlung von 250 Euro. Kommt das Geld bei den Betreibern an, wird eine hohe Erfolgsprämie für die Werber fällig, hat Goldbeck in seinen Ermittlungen erfahren. »Die kann bei neuen Kunden – je nach Nationalität – 600 oder sogar 1200 Euro betragen«, sagt der Oberstaatsanwalt. Diese sogenannten Affiliate-Prämien für erfolgreiche Kundenvermittlungen gibt es auch im legalen Bereich, allerdings selten in der Höhe.

»Ein neues Opfer ist für die Betreiber der Callcenter also zunächst ein Verlustgeschäft«, erklärt Goldbeck. Doch es bleibt meist nicht bei den 250 Euro, die Betrüger überreden ihre Opfer, immer größere Beträge in die vermeintlich sichere Geldmaschine zu stecken. Wenn sie Strafanzeige stellen, haben sie oft Beträge im fünf- oder sechsstelligen Bereich an die Betrüger überwiesen. Manchmal schaffen es Täter sogar, einzelnen Opfern Millionenbeträge abzuluchsen.

Pro Jahr beträgt der Schaden im deutschsprachigen Raum mehr als eine Milliarde Euro, schätzt Goldbeck. Die Dunkelziffer sei hoch, weil nicht alle Opfer Anzeige erstatten. Die Federal Trade Commission meldet für das Jahr 2022 in den USA sogar Verluste von 3,8 Milliarden US-Dollar durch betrügerische Investmentanbieter.

Versteckt in Millionen Anzeigenmotiven

Den Tätern kommt das sogenannte Programmatic Advertising zupass. Durch Werbenetzwerke wie die von Google werden tagtäglich Millionen verschiedener Anzeigenmotive geschleust. Welche Anzeige bei welchem Nutzer erscheint, wird erst während des Ladevorgangs auf der Basis mehr oder weniger ausgiebiger Nutzerprofile bestimmt.

Um automatische Filter gegen Betrugsanzeigen zu umgehen, nutzen die Täter Methoden wie das »Cloaking«: So wird zunächst eine harmlose und seriös erscheinende Werbung eingereicht. Sobald die Anzeige auf den Websites erscheint, tauschen die Täter das Werbemittel und die verlinkte Website aus. Das Ergebnis: Ohne dass die Betreiber davon wissen, landen plötzlich die betrügerischen Anzeigen auf zahlreichen Websites. Besonders redaktionelle Webseiten scheinen das Ziel dieser Tätergruppe zu sein.

Wenn Sie diese oder ähnliche Anzeigen im Online-Angebot des SPIEGEL sehen, können Sie sich an den Leserservice unter leserservice@spiegel.de  wenden. Um die Abschaltung der Anzeigen zu erleichtern, können Sie einen Screenshot und idealerweise den Link beifügen, auf den die Anzeige weiterleitet.

Für die Verlage ist das Thema höchst unangenehm: Da die Täter ständig neue Domain-Namen verwenden, erfahren sie von einer neuen Welle von Betrugsanzeigen erst dann, wenn sich Leserinnen und Leser beschweren. Zwar können sie dann die Werbedienstleister informieren und die entsprechenden Accounts sperren lassen, doch der Schaden ist bereits angerichtet. Um die Sperren zu umgehen, schaffen die Täter ständig neue Websites, auf die ihre Anzeigen verlinken. Der Name der beworbenen Website ändert sich also, auch wenn das Design identisch bleibt.

Komplett auf vorher geprüfte Werbung zu setzen, ist angesichts der schieren Masse an verschiedenen Werbekampagnen kaum noch zu leisten. »Heute kann nicht mehr jede Kampagne händisch geprüft werden, wie es noch vor zwanzig Jahren möglich war«, sagt Sascha Dolling, stellvertretender Vorsitzender der Fokusgruppe Programmatic Advertising im Bundesverband Digitale Wirtschaft. Den Werbekanal ganz zu deaktivieren, können sich nur die wenigsten Verlage leisten: »20 bis 60 Prozent der Umsätze erzielen redaktionelle Angebote über solche offenen Marktplätze«, erklärt Dolling.

Zwar versuchen Dienstleister gegen die ständig neuen Wellen von Fake-Anzeigen vorzugehen. Allein Google sperrte im Jahr 2022 nach eigenen Angaben mehr als 6,7 Millionen Accounts von Werbekunden, die gegen die Richtlinien des Unternehmens verstießen. Doch ein Patentrezept hat die Industrie noch nicht gefunden.

Täter sollen sich nicht in Sicherheit wiegen

Da die betrügerischen Websites oft anonym angelegt wurden und zum Teil sogar fremde Adressen im Impressum aufführen, verläuft die Suche nach den Verantwortlichen bisher meist im Sande. Dies hat unter anderem der NDR feststellen müssen, als er gegen den Missbrauch des Tagesschau-Designs vorgehen wollte. »Daher wendet sich das Justiziariat derzeit vor allem an den jeweiligen Portalbetreiber, auf dessen Seite die Werbeanzeige auftaucht, mit der Bitte, die entsprechende Werbung zu blockieren«, erklärt der Sender dem SPIEGEL. Auch Markus Lanz zeigte sich in seiner Sendung resigniert: »Wenn Sie versuchen, dieser Leute habhaft zu werden – das hat überhaupt keinen Sinn.« Die Täter versteckten sich zu gut.

Tatsächlich beschränken sich die Strafverfahren bisher auf Täter, denen man konkreten Betrug nachweisen konnte. Doch Oberstaatsanwalt Goldbeck möchte in Zukunft auch diejenigen belangen, die den Betrügern zuarbeiten, indem sie Anzeigen schalten und Adressen potenzieller Opfer gegen Provision weitergeben. »Es sprechen gute Gründe dafür, die Affiliates verstärkt in die Ermittlungen einzubeziehen«, erklärt er gegenüber dem SPIEGEL. »Denn ohne ständig neue Daten und Kunden können die internationalen Banden nicht erfolgreich operieren.«

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