Medienzensur in den USA Was WikiLeaks mit Internetsperren zu tun hat

Die US-Luftwaffe sperrt WikiLeaks aus, Air-Force-Mitarbeiter dürfen manche Zeitungsseiten nicht mal mehr aufrufen. Solche Schritte kennt man sonst eher aus totalitären Staaten - ein Grund mehr, technische Zensurmechanismen fürs Netz strikt abzulehnen.
Pro-WikiLeaks-Demonstrant: Meinungsfreiheit in Gefahr?

Pro-WikiLeaks-Demonstrant: Meinungsfreiheit in Gefahr?

Foto: Rick Rycroft/ AP

Bei der US-Luftwaffe darf man bei der Arbeit seit kurzem nicht mehr die "New York Times" aufrufen. Auch nicht "Le Monde", den britischen "Guardian" oder SPIEGEL ONLINE. Wer es trotzdem versucht, wird mit der Nachricht beschieden: "Zugriff verweigert. Der Internetgebrauch wird aufgezeichnet und überwacht."

Medienzensur am Arbeitsplatz, unter explizitem Verweis auf die Veröffentlichung von Auswertungen der bei WikiLeaks veröffentlichten US-Diplomatendepeschen - das ist eine neue Qualität im Kampf der USA um die Meinungshoheit in dieser Affäre. Eine ganze Reihe anderer Schritte ging voran: Da wurden - mutmaßlich - Unternehmen wie Amazon, Paypal, Mastercard oder Visa unter Druck gesetzt, dem Enthüllungsportal Ressourcen oder Geldmittel zu entziehen, obwohl es derzeit nicht einmal eine rechtliche Handhabe gegen die Veröffentlichung gibt.

Da wurden Warnungen an Behördenmitarbeiter und sogar Studenten ausgesprochen, sich die veröffentlichten Dokumente gefälligst nicht anzusehen. Beamte verstießen damit gegen Sicherheitsauflagen, Studenten könnten sich Job-Aussichten in Regierungsbehörden verderben, hieß es zur Begründung . Selbst die Dokumente bei Twitter oder Facebook zu erwähnen, könne Karrieren im Staatsdienst verhindern.

Das Weiße Haus hatte schon vor knapp zwei Wochen formal darauf hingewiesen, dass alle Bundesbeschäftigten ohne entsprechende Sicherheitseinstufung Dokumente, die als geheim eingestuft seien, nicht lesen dürften. Auch nicht von zu Hause, von ihren privaten Computern aus.

Und Zeitungen am Kiosk?

Die "New York Times" kommentierte den Schritt der US-Luftwaffe jetzt mit den Worten: "Es ist bedauerlich, dass die Air Force sich nicht dazu entschlossen hat, ihrem Personal den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, die praktisch alle anderen Menschen in der Welt lesen können." Die Stellungnahme des SPIEGEL zum Vorgehen der Air Force: "Das Vorgehen der US-Luftwaffe ist ein unverständlicher und bedauernswerter Schritt. Jetzt warten wir ab, ob amerikanischen Regierungsangehörigen auch noch der Kauf von 'New York Times', 'Guardian' und SPIEGEL verboten wird."

Die USA, in denen Meinungs- und Pressefreiheit bislang als hohes, unantastbares Gut galten, nähern sich in diesen Tagen, was das Gebaren ihrer Behörden und Volksvertreter angeht, in mancher Hinsicht anderen Staaten an, die sie sonst stets intensiv kritisiert haben. Surf-Verbote und der deutlich formulierte Wunsch nach einer gesetzlichen Handhabe gegen bestimmte Veröffentlichungen erinnern an Staaten wie Iran oder China. Natürlich sind die USA von deren Zensurmechanik und Kontrollanspruch weit entfernt. Doch was im Moment geschieht, geht weiter als alles, was man im "Land der Freien" bisher gewohnt war - selbst in der Zeit nach dem 11. September 2001.

Was die Vorgänge rund um WikiLeaks auch zeigen, ist: Die Debatten, die hierzulande beispielsweise über das Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie geführt worden sind, waren kein belangloses Herumtheoretisieren, keine grundlose Panikmache. Die grundsätzliche Frage, wie viel Kontrolle Staaten darüber ausüben dürfen sollten, was ihre Bürger im Netz sehen und lesen dürfen und was nicht, stellt sich in diesen Tagen dringlicher denn je.

Internetfilter im Interesse der nationalen Sicherheit?

Hätten die USA ein Zugangserschwerungsgesetz, wie es Ursula von der Leyen einst vorgeschlagen hat, hätten sie die nötige Infrastruktur - wie würden sie heute verfahren? Würde dieses Werkzeug weiterhin nur gegen Kinderpornografie eingesetzt? Oder wäre ein Land, in dem man Soldaten das Zeitunglesen verbietet, nicht womöglich doch bereit, eine solche Infrastruktur auch zum Schutz der eigenen Bevölkerung vor allzu viel Information zu nutzen? Wären Wikileaks.ch, Wikileaks.de und all die anderen Alternativadressen (mittlerweile sind es weit über 2000), unter denen man die Botschaftsdepeschen und andere Dokumente heute selbst nachlesen kann, von den USA aus noch zu erreichen? Oder würde im Interesse der nationalen Sicherheit nicht vielleicht doch gefiltert?

Genau diese Art von Befürchtung war es, die die Gegner des Zugangserschwerungsgesetzes im vergangenen Jahr so auf die Barrikaden brachte. Dass selbst das Land, dessen erster Verfassungszusatz "Redefreiheit und Pressefreiheit" garantiert, unter bestimmten Umständen bereit ist, solche Rechte mancherorts vorübergehend für zweitrangig zu erklären, gibt all jenen recht, die vor der Einrichtung einer zensurtauglichen Infrastruktur gewarnt haben.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren