Megaupload und Co. Die geheimen Gesetze des Raubkopierer-Untergrunds

Cracker-Szene (Symbolbild): Ehrenamtliche Raubkopierer, reiche Profiteure
Foto: CorbisHamburg - Die Betreiber von Megaupload sitzen in Haft. US-Staatsanwälte werfen dem Gründer des Unternehmens Kim Dotcom, ehemals Kim Schmitz, sowie weiteren Personen Verstöße gegen Gesetze zum Schutz des Urheberrechts vor. Der am Donnerstag eröffneten Klage zufolge soll das Unternehmen einen Schaden von 500 Millionen Dollar verursacht haben.
Die weitere Verbreitung von Raubkopien im Web wird der Zugriff kaum bremsen - zu groß, zu verzweigt und zu komplex ist die Szene. Nicht alle Mitglieder verfolgen kommerzielle Interessen, manche betreiben die Herstellung von Kopien wie einen Mannschaftssport. Andere dagegen verdienen Millionen mit der Verteilung von Musik, Filmen oder TV-Serien zum Nulltarif.
Das Internet ist bis heute der größte Gratis-Selbstbedienungsladen in der Geschichte. Gerade dieser Zustand hat das Web überhaupt so schnell wachsen lassen. Ein Beispiel: Im Jahr 2000 gab es in Deutschland 170.000 DSL-Anschlüsse. Das war das Jahr, in dem die Dotcom-Blase platzte, das Internet also plötzlich nicht mehr ganz so sexy zu sein schien. Aber es war auch das Jahr, in dem die Ur-Tauschbörse Napster ihren großen Durchbruch feierte. Sie erwies sich als Killer-Anwendung für DSL-Zugänge. Bereits 2001 waren es hierzulande 1,9 Millionen Anschlüsse, die Anzahl hatte sich binnen eines einzigen Jahres verelffacht - dank der Möglichkeit, plötzlich kostenlos und in unbegrenzter Menge an Musikdateien zu kommen.
Für datenintensive Dienste wie die Videoplattform YouTube, die erst danach kamen, war der Boden bereitet. Die globale Unsitte des Musiktausches zum Nulltarif hatte also für jene Infrastruktur gesorgt, ohne die gestreamte Videos über das Netz noch heute nicht möglich wären.

Das ist ein offenes Geheimnis, über das Internetprovider nicht gern sprechen. Bis vor kurzer Zeit machte durch Tauschbörsen wie das Bittorrent-System generierter Traffic immer noch den Löwenanteil der Gesamtdatenmenge aus, die über Internetleitungen um den Globus wandert. Dem Unternehmen Ipoque zufolge, das auf die Analyse von Netzwerknutzung spezialisiert ist, verursachten die sogenannten Peer-to-Peer-Tauschbörsen (P2P), die legitimen Erben von Napster, in den Jahren 2008 und 2009 fast 53 Prozent des Internet-Traffics in Deutschland.
Diese Daten sind nicht repräsentativ, aber sie geben einen guten Anhaltspunkt für die tatsächliche Verteilung. Gemeint ist der Wert der verbrauchten Bandbreite, nicht die Zahl der Seitenaufrufe: Gerade Videodateien sind in der Regel sehr groß und verursachen beim Transport damit viel Traffic. In anderen Teilen der Welt war der Anteil des Tauschbörsenverkehrs demzufolge noch wesentlich höher, etwa in Osteuropa (70 Prozent) oder Südamerika (65 Prozent).
Die zwei wichtigsten Systeme: Bittrorrent und Filehoster
Heute spielt Bittorrent nicht mehr dieselbe Rolle wie noch 2009. Dafür hat der Anteil des Traffics enorm zugenommen, der von direktem Video-Streaming und auch von direkten Downloads verursacht wird: Wer sich auf Seiten wie Megavideo oder kino.to einen Film oder eine Serienfolge als Stream ansieht, lädt die Datei nur noch temporär herunter. Doch noch immer werden so gewaltige Datenmengen verschoben. Eine durchschnittliche Serienfolge in komprimierter HD-Qualität umfasst etwa 180 bis 350 Megabyte, eine Filmdatei in der Regel 700 Megabyte oder mehr, je nach Qualität.
Heute werden Raubkopien also auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen verteilt: Über die schon traditionell zu nennenden Peer-to-Peer-Tauschbörsen wie Bittorrent und über Download-Sites mit kommerziellem Hintergrund wie eben Megaupload. Erstere sind kein sehr lukratives Geschäft, allenfalls mit Werbung auf Verzeichnisseiten wie "The Pirate Bay" kann ein bisschen Geld verdient werden. P2P ist Volkssport - aber riskant. Wer daran teilnimmt, läuft Gefahr, von den Piratenjägern der Brancheverbände erwischt zu werden, weil seine IP-Adresse dabei sichtbar ist.
150 Millionen aus Abos, 25 Millionen aus Werbung
Die Geschäfte der Filehoster dagegen lohnen sich, wie auch aus der Anklageschrift gegen die Megaupload-Betreiber hervorgeht. Insgesamt sollen Megaupload und Megavideo demnach 150 Millionen Dollar Einnahmen allein aus sogenannten Abonnementgebühren eingebracht haben. Hinzu kommen noch einmal 25 Millionen Dollar an Werbeeinnahmen. Auch die sogenannten Uploader, die neue Filme, Serien oder Musik auf den Megaupload-Servern hinterlegt haben, sollen bezahlt worden sein.
Diejenigen, die Raubkopien ursprünglich bereitstellen, machen das bis heute allerdings häufig ehrenamtlich. Wie ihre Vorgänger, die Kopierschutz-Cracker der achtziger Jahre, nennen sich die Mitglieder der sogenannten Release Groups "The Scene". Release ist im Englischen ein doppeldeutiger Begriff: Er bedeutet sowohl "veröffentlichen" wie auch "in die Freiheit entlassen".
Was in der Szene vor allem zählt, ist die möglichst frühzeitige Veröffentlichung des Materials, zunächst nur für die Mitglieder selbst. Wer einen Film, ein Spiel, ein Album zuerst verfügbar macht, hat gewonnen. Auf Filme spezialisierte Release-Gruppen wetteifern beispielsweise darum, Hollywood-Produktionen noch vor dem eigentlichen Kinostart zu ergattern. Welche Gruppe hinter einem Release steckt, erkennt man schon am Dateinamen der Raubkopie.
Neuware direkt aus dem Presswerk
Die sogenannten Supplier spielen dabei eine zentrale Rolle. Die erfolgreichsten Release-Gruppen setzen bei der Materialbeschaffung auf Insider, auf Menschen, die in Press- oder Kopierwerken arbeiten, in Synchronstudios oder Unternehmen, die auf die Untertitelung von Filmen spezialisiert sind. Die Qualität der Lecks, aus denen eine Gruppe ihren Nachschub bezieht, entscheidet auch über die Qualität ihrer Releases und damit über ihren szeneinternen Status.
Innerhalb der Gruppen gibt es eine klare Hierarchie und genaue Aufgabenverteilung. Die Release-Szene ist organisiert wie eine komplexe globale Sportliga mit eigenem Regelwerk: Es gibt lange Listen mit konkreten Anweisungen, etwa dass ein Spiel sich von der Festplatte starten lassen muss, ohne dass eine CD im Laufwerk liegt, oder wie groß eine Videodatei maximal zu sein hat.
Für staatliche Ermittler, die gedungenen Piratenjäger der Unterhaltungsindustrie und das Management der Medienkonzerne selbst bleibt die Situation schwierig: Rechte werden verletzt, die Einnahmen einer Multimilliarden-Dollar-Industrie beschnitten (wenn auch in weit geringerem Ausmaß, als es die Statistiken der Branchenverbände glauben machen sollen). Und all das geschieht, ohne dass die ursprünglichen Täter selbst davon einen nennenswerten finanziellen Vorteil hätten.
Im Kampf gegen diese Szene setzen die Verbände nun auf die Beeinflussung internationaler Gesetzgebung - und in den USA auf die derzeit so umstrittenen Gesetzesvorhaben zum Urheberrechtsschutz, Sopa und Pipa. Der Schlag gegen Megaupload aber scheint nun zu zeigen, dass die bestehenden Gesetze durchaus ausreichen.
Einige Akteure der Szene betrachten die Verbreitung der Früchte ihrer eigenen Arbeit an Normalsterbliche tatsächlich als parasitär. Ihr Sport besteht vor allem darin, das Material zu besorgen, es zu knacken und es der Szene zur Verfügung zu stellen. Die kostenlose Belustigung all der anderen ist bestenfalls ein Nebeneffekt.
Einen Cracker namens "Predator" machen Seiten, die Szene-Releases zum Download für jedermann zur Verfügung stellen, regelrecht aggressiv. In einem Interview mit der Computerzeitschrift "C't" erklärte er 2004: "Hätte ich die Bandbreite, würde ich solche Web-Angebote mit Denial-of-Service-Attacken strafen." Das sind Angriffe, bei denen Server mit gezielten Anfragen von Tausenden, manchmal Zehntausenden ferngesteuerten Rechnern überlastet werden, bis sie schließlich ihren Dienst versagen (Denial of Service, abgekürzt DoS = Dienstverweigerung).
Aber nicht alle sehen das so: Nach dem Schlag gegen Megaupload gibtes nun wieder DoS-Attacken - diesmal aber geht es gegen Branchenverbände und Regierungsorganisationen. Der Fall zeigt: Immer wieder gelingen Strafverfolgern Schläge gegen die Szene, die jedoch nur minimale Auswirkungen haben. Etwa eine 12 Länder umfassende konzertierte Polizeiaktion im Jahr 2004 unter der Führung des FBI gegen eine Reihe großer Kopierschutzknacker-Gruppen. Bis zum Frühjahr 2009 wurden dem US-Justizministerium zufolge 60 Menschen als Folge der "Operation Fastlink" verurteilt. Viele bekamen Geld- und Bewährungsstrafen, einige mussten für ein bis zwei Jahre ins Gefängnis.
Die Szene als Ganzes aber zeigt sich davon nahezu völlig unbeeindruckt. Der Nachschub reißt nicht ab.