
S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Überwachung wird für Behörden zur Sucht

Ein "ernsthafter Vorgang" sei es, sagte Angela Merkel. Zuvor schon ließ sie durchscheinen, dass sie "enttäuscht" und "fassungslos" sei. Ein BND-Mann hatte für den CIA unter anderem Unterlagen für den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags ausspioniert.
Das ist als Reaktion der Kanzlerin außerordentlich wenig, im direkten Kontrast zu ihrem brüllenden Begleitschweigen zur Totalüberwachung aber wirkt es bereits, als sei Merkel tatsächlich emotional mitgenommen. Interessant, dass sie zwei Mal während der bereits seit 13 Monaten bekannten Totalüberwachung schärfere Worte sich traute zu gebrauchen. Oder zumindest gebrauchen zu lassen.
Einmal, als ihr Handy überwacht wurde. Da war "Vertrauen gebrochen". Und nun, da ein anderes politisches Organ überwacht wurde. Das wahre Skandalon ist aber gerade nicht, dass Geheimdienste einander und die Politik eines Landes ausspionieren. Das wahre Skandalon ist ein Zusammenwirken folgender Katastrophen der Zivilgesellschaft:
- Eine weltweite Geheimdienstmaschinerie fühlt sich berechtigt, nicht bloß andere Dienste und Staaten auszuspionieren, sondern jeden, alle und alles: Überwachung ist Standard. Weshalb zur Stunde das Grundgesetz in jeder Buchhandlung in die Abteilung phantastische Literatur gestellt werden müsste.
- Ein substanzieller Teil der Politik findet das richtig, weil Bürgerüberwachung ein politisch angenehmes Instrument ist: Sie lässt sich gegen alle Evidenz als "Sicherheit" verkaufen und rechtfertigt durch ihre schiere Größe enorme Budgets.
- Die deutschen Dienste, der lächerliche BND und der sogar noch lächerlichere Verfassungsschutz, sind so verfassungsgefährdend tief in die Überwachungsmaschinerie verstrickt, dass sie eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssten.
Wirklich wichtig ist daher gar nicht irgendein BND-Mann, der nach monatelanger Berichterstattung über die Überwachung amerikanischer Cloud-Plattformen über eine ebensolche ernsthaft versucht, deutsch-amerikanisch-russischer Dreifachagent zu werden. Es wäre spannend zu erfahren, wie der BND die Eignung von Leuten mit Zugang zu "streng geheimen" Dokumenten überprüft. War da ein beigelegter Fragebogen im Yps-Spione-Köfferchen?
Ritualisierte Empörung zu ausgewählten Anlässen
Nein, die eigentliche Frage ist, warum die Politik - und eben insbesondere Merkel - sich zu ausgewählten Anlässen der ritualisierten Empörung hingibt, konkrete Taten aber eher in homöopathischer Dosis vollbracht werden, so dass selbst die von Merkel ernannte Internetbotschafterin nicht mehr anders zu helfen weiß als Aufklärung anzumahnen. Die Antwort lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen:
Spähsucht.
Ein weltweit operierender, gigantischer Behördenapparat samt angrenzender Unternehmen ist der Spähsucht verfallen. Wie bei anderen Drogen gibt es eine Beschaffungskriminalität, und am Ende wird der Betroffene zur Bedrohung für andere.
Dieser Metaphorik folgend, lässt sich eine Menge erklären, was vorher empörend erratisch schien:
- Die wiederholten, hilflosen Reaktionen der Regierung zur Totalüberwachung entsprechen exakt dem hilflosen Umgang mit einem schwer drogensüchtigen Familienmitglied.
- Das abwiegelnde Gesamtverhalten entspricht der völlig irrationalen Hoffnung, die Sucht möge gegen alle Offensichtlichkeit schon nicht so schlimm sein.
- Die Süchtigen selbst sind zu jeder noch so absurden Lüge bereit, um sich selbst und anderen vorzugaukeln, sie seien gar nicht süchtig.
Umso katastrophaler, dass die destruktive Droge Bürgerüberwachung quer durch alle politischen Lager nicht nur verharmlost wird. Schlimmer. Sie wird als segensreiches Medikament betrachtet, was ungefähr der ärztlichen Naivität entspricht, mit der 1910 Heroin als großartiges Heilmittel gegen ungefähr alles von Herzleiden bis Hustenanfällen verschrieben wurde.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann schlug als Lösung der Maut-Debatte ernsthaft vor, sämtliche Pkw mit GPS-Sensoren zu überwachen - der Fairness halber. Nach einem Jahr Diskussion über die Totalüberwachung als Politiker derart blind für Bürgerüberwachung zu sein, erfordert schon genau die Art von Verdrängung und Verklärung, die so typisch ist für Suchterkrankungen.
Spähsucht also. In diesem Fall wäre, anders als bei sonstigen zerstörerischen Süchten, kalter Entzug die beste Therapie. Die Non-Sensibilität des Grünen Überwachungsfreunds Hermann aber zeigt, dass die Überwachungssucht überhaupt erst einmal als solche erkannt werden muss. Falls Angela Merkel tatsächlich kurz "enttäuscht" gewesen sein sollte: Es ist nichts als die Enttäuschung über einen Schwerstsüchtigen, der völlig überraschend ein Versprechen brach, um an den Stoff zu kommen.
tl;dr
Keine Macht den Spähsüchtigen!