Sascha Lobo

Mini-Long-Covid Nicht schlimm, aber nervig

Sascha Lobo
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Seit seiner Coronaerkrankung leidet unser Kolumnist unter Langzeitfolgen. Die sind zwar nicht so schwerwiegend wie bei echten Long-Covid-Betroffenen, trotzdem lassen sie sich nicht ignorieren.
Junge Frau mit Schutzmaske

Junge Frau mit Schutzmaske

Foto: Maria Sbytova / iStockphoto / Getty Images

Wenn jemand sichtlich erschüttert erklärt, dass der Spargel noch immer etwas holzig daherkommt, spricht man im Internet von First-World-Problems. Dieser Text geht ein wenig in diese Richtung, denn er handelt von den weniger tiefgreifenden Folgen einer Coronaerkrankung. Insbesondere wenn man diese Folgen mit dem klassischen, zerstörerischen Long Covid vergleicht, über das die famose Kollegin Margarete Stokowski berichtet hat. Trotzdem glaube ich, etwas Aufschreibenswertes beobachtet zu haben, ich nenne es: Mini-Long-Covid.

Im Februar und März bekomme ich Corona, gut zwei Wochen nach meiner Auffrischungsimpfung. Fachleute sagen, das sei in gewisser Weise ohnehin der ideale Zeitpunkt für eine Ansteckung, ausgesucht habe ich es mir trotzdem nicht freiwillig, immerhin ist der Verlauf recht mild. Kein Fieber, nur Kopfschmerzen, Schlappheit, leichte Verwirrung, schwere Verschleimung. Es sind gerade Verwandte zu Besuch, alle mit leichtem Verlauf, wir machen spontan eine knapp dreiwöchige Quarantäne-Iso-WG auf, bis alle wieder negativ sind.

Als wäre etwas von der Krankheit übrig geblieben

Das, was ich mir als Mini-Long-Covid erkläre, beginnt nicht plötzlich. Es fühlt sich eher an, als sei es von der Krankheit übrig geblieben. Am Anfang wirkt es ignorierbar, die Krankheit scheint einfach recht langsam abzuklingen. Als sich nicht mehr leugnen lässt, dass irgendwas nicht ganz richtig läuft, suche ich irgendwelche anderen Erklärungen. Und finde natürlich höchst erfolgreich welche. Also, diese Nacht habe ich wirklich schlecht geschlafen. Vielleicht geht schon wieder eine sehr späte Wintergrippe herum. Dazu Pollenalarm. Außerdem sind im dritten Coronamärz doch auch alle irgendwie noch ein wenig erschöpft.

Mein erstes, beobachtetes Symptom von Mini-Long-Covid ist überproportional häufiges Niesen. Das Symptom, das mir am ärgerlichsten erscheint, sind Wortfindungsstörungen. Mir fallen ganz naheliegende Worte nicht mehr ein, mitten im Satz gerate ich ins Stocken. Ebenso entgleiten mir Namen, die mir über Jahre geläufig waren. Manchmal verschlucke ich Silben, weil ich sie nur denke, aber versehentlich nicht ausspreche. Dazu kommen ab und an kurze, nicht besonders heftige Kopfschmerzanfälle, die vorüberziehen wie unentschlossene Gewitterwolken. Meine Nase ist praktisch nie ganz frei und juckt oft, aber manchmal füllt sie sich nachts überraschend mit schlammrutschhaften Mengen Schleims. Meine Konzentrationsfähigkeit ist meistens ganz okay, aber manchmal muss ich eine nervöse Verwirrtheit erdulden, zehn, zwanzig Minuten lang, in denen es keinen Sinn hat, etwas schreiben oder strukturiert nachdenken zu wollen. Auch eine gewisse Kurzatmigkeit macht sich bemerkbar, wenn ich etwas schneller eine Treppe hochhuschen will.

Alle diese Dinge gehören zu den klassischen Symptomen von Long Covid. Man könnte von außen also denken: »Klar, Long Covid.« Aber es gibt einen wichtigen Unterschied. So, wie Long Covid in den Medien und von Betroffenen beschrieben wird, handelt es sich um eine sehr ernsthafte Krankheit. Das ist einfach nicht, was ich habe, die meisten Erscheinungen kann ich überspielen, sie sind im Alltag vielleicht hier und da leicht nervig. Aber ich habe einen Alltag. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, dass ich neben jemandem stehen könnte, dessen Leben durch Erschöpfung, Organschäden und schwere Schmerzattacken implodiert ist – und wir beide sollen Long Covid haben (selbst wenn das streng genommen der Fall sein könnte). Es fühlt sich aber auch nicht richtig an, so zu tun, als sei da gar nichts oder alles eingebildet. Deshalb die Bezeichnung Mini-Long-Covid. Es ist übrigens gar nicht so absurd, sich so etwas auszudenken, denn Long Covid ist auch nicht als amtlich festgelegter Syndromname entstanden – sondern als Hashtag auf Twitter  (von einer Long-Covid-Patientin namens Elisa Perego).

Malik Böttcher ist Hausarzt in Berlin, betreibt eine Corona-Schwerpunktpraxis und ist Geschäftsführer einer Klinik, die eine Corona-Ambulanz anbot. Er hat an vielen Fronten der Pandemie gekämpft und war auch Teilnehmer des wöchentlichen Coronagesprächskreises der Berliner Klinikleitungen mit der Gesundheitssenatorin. Im Gespräch bestätigt er die Beobachtungen: »Als Mini-Long-Covid würde ich ein Auftreten von einem oder mehrerer Symptome der Sars-CoV-2-Infektion bezeichnen, die prolongierte Verläufe zeigen. Oft sind die gesundheitlichen Einschränkungen nur leicht und finden daher wenig Beachtung. Allerdings werden sie individuell durchaus als verunsichernd wahrgenommen und können so die Lebensqualität vermindern.«

Vielleicht ist das der Schlüssel zum Verständnis von Mini-Long-Covid. Es ist zu leicht, als dass man in Sorge wäre oder wirklich darunter litte und seine Ärzt*innen informieren würde, aber zu präsent, um wegignoriert zu werden. Diese niedrige Schwelle macht Mini-Long-Covid natürlich auch schwer erfassbar. Erst recht, wenn schon heftiges Long Covid von einigen Ärzt*innen noch immer als Einbildung oder psychosomatisch betrachtet wird. Bei Gesprächen im weiteren Bekanntenkreis zeigt sich, dass deutlich mehr als jede zweite zuvor coronakranke Person über bestimmte, na ja, Mini-Symptome berichtet. Und niemand möchte es gleich Long Covid nennen, schon deshalb, weil die meisten froh sind, die Krankheit überstanden zu haben. Von anekdotischer Evidenz wird man nicht satt, aber die Wissenschaft ist gerade erst dabei, das Coronavirus, Covid und auch Long Covid besser zu verstehen, da können sich noch eine ganze Menge Statistiken massiv verschieben.

Die Furcht, als Hypochonder verspottet zu werden

Die gegenwärtige Studienlage weist auf einen Anteil von rund zehn Prozent der Menschen hin, die nach einer Covid-Infektion Long Covid entwickeln sollen. Aber diese Zahl ist mindestens wackelig, weil sie je nach Messmethode und Betroffenengruppe bis weit über 50 Prozent reichen kann. Außerdem hat ein recht bekannt gewordener Artikel im Fachmagazin »The Lancet« im Sommer 2021 eine Symptomsammlung für Long Covid veröffentlicht . Mit rund 200 Einträgen, was natürlich bedeutet, da ist ungefähr alles dabei. Konkreter finden sich unter Long-Covid-Symptomen unter anderem Verstopfung, Alpträume, steifer Nacken, Hautbläschen, unverständliches Brabbeln, Bluthusten sowie das Gefühl, das Gehirn würde lichterloh brennen. Wenn man irgendwas hat, kann es also immer auch irgendwie Long Covid sein, das macht die Situation in keine Richtung einfacher. Für die Erkennung von Mini-Long-Covid wird es dadurch noch schwieriger. Auch eine gewisse Furcht, als Hypochonder oder Wichtigtuerin verspottet zu werden, spielt bei nicht schweren Krankheiten und Störungen oft eine Rolle.

Nach einer Vielzahl von Gesprächen mit Betroffenen und Beobachter*innen der Pandemie aus unterschiedlichen professionellen Perspektiven bin ich aber – obviously – zur Überzeugung gekommen, dass man über Mini-Long-Covid öffentlich sprechen sollte. Dass es den Patient*innen mit Long Covid ungleich schlechter geht und sie viel dringender Behandlung und Versorgung benötigen – das streitet vermutlich niemand unter den Mini-Long-Covid-Betroffenen ab. Aber vielleicht helfen der Name und die Erwähnung von Mini-Long-Covid denjenigen, die sich, wie Malik Böttcher beschreibt, verunsichert fühlen und deren Lebensqualität nach eigenem Empfinden leidet. Schon weil das Gefühl, es eben noch nicht ganz überstanden zu haben, sehr bedrückend sein kann.

Mitte Mai 2022, fast zehn Wochen nach dem letzten positiven Coronatest, spüre ich immer noch die Mini-Long-Covid-Folgen, allerdings gibt es Veränderungen. Die Wortfindungsstörungen zum Beispiel schwanken in der Intensität und hängen inzwischen stärker vom allgemeinen Fitnesszustand ab. Ich kann nicht genau sagen, ob mein Gehirn sich daran einfach gewöhnt und deshalb Workarounds erarbeitet hat. Die nächtlichen Schleimanfälle sind seltener geworden, dafür gibt es mehr Tage, an denen ich sehr oft niesen muss. Die Kopfschmerzen haben entweder abgenommen, oder ich werfe inzwischen automatisch so gnadenlos und so schnell Ibuprofen ein, dass es mir weniger vorkommt.

Ja, definitiv, das sind First-World-Problems. Trotzdem wäre ich froh, wenn jemand ein Long-Covid-Medikament entwickelte, und kann schon mal zur Motivation sagen: Es werden nicht nur die mutmaßlich zehn Prozent Heavy-Long-Covid-Geschlagenen nehmen. Sondern auch wir, die mutmaßlich riesige Zahl von Mini-Long-Covid-Betroffenen. Schon wegen der, na, Dings.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand, dass Elisa Perego als Ärztin arbeite. Sie ist jedoch Archäologin. Wir haben die Stelle angepasst.

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