Netz-Überwachung Bosbach drängt auf Vorratsdatenspeicherung

Das Thema mobilisiert Tausende Demonstranten, auf EU-Ebene wachsen die Zweifel am Sinn des Ganzen, das Verfassungsgericht hat sie in Deutschland auf Eis gelegt - und die Unionsparteien wünschen sie sich zurück, die Vorratsdatenspeicherung: Zoff mit dem Koalitionspartner ist damit programmiert.
Wolfgang Bosbach: Schnelle deutsche Regelung, bevor Brüssel kippt?

Wolfgang Bosbach: Schnelle deutsche Regelung, bevor Brüssel kippt?

Foto: dapd

Osnabrück/Hamburg - Die Union drängt wieder auf eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), behauptete gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung", das Internet werde "zunehmend zum strafverfolgungsfreien Raum." Kriminelle wüssten, dass sie nirgendwo sicherer handeln könnten als im Netz, weil ihre elektronischen Spuren nicht mehr gespeichert würden. "Die Ermittler haben daher riesige Probleme, Fälle von Datenklau, Kreditkartenbetrug oder Kinderpornografie aufzuklären", sagte Bosbach.

Es ist nicht die erste Wortmeldung zu diesem Thema in den vergangenen Wochen - und natürlich ist das kein Zufall. Zum Stichtag 15. September soll EU-Kommissarin Cecilia Malmström ihr Verdikt vorlegen, ob die auch der deutschen Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegende EU-Direktive 2006/24 überarbeitet werden muss. Ein positiver Entscheid gilt als wahrscheinlich: Malmström selbst sieht die Direktive kritisch, zudem häuften sich in den vergangenen Monaten in den EU-Ländern die Vorbehalte gegen die Vorratsdatenspeicherung. Nicht nur beim deutschen Verfassungsgericht, das die deutsche Variante der präventiven Bürger-Überwachung im März 2010 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken auf Eis legte, kollidiert die verdachtsunabhängige Archivierung des elektronischen und Telekommunikationsverhaltens aller Bürger mit dem Verständnis von Bürgerrechten.

Das sehen auch weite Teile der FDP so, die sich in Oppositionszeiten deutlich gegen die Vorratsdatenspeicherung gewandt hatte. Führende Liberale gehörten zum Klägerkreis beim Bundesverfassungsgericht gegen die umstrittene Regelung. Dessen ungeachtet erwarte er von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) endlich eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung, sagte Bosbach der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Bosbach wörtlich: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Korrekturen bei der sechsmonatigen Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten gefordert hat, liegt bereits ein halbes Jahr zurück", betonte er. Er frage sich, worauf die Ministerin warte. Eine etwaige Reform der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sei kein Hindernis für eine rasche Neuregelung.

Die Union will grundsätzlich mehr Netz-Kontrolle

Und auch ein anderes, heiß umstrittenes Thema rückt Bosbach erneut in den öffentlichen Fokus: Mit Blick auf die ausgesetzten Internet-Sperren gegen Kinderpornografie sagte Bosbach, der einseitige Ansatz des Löschens der Seiten genüge nicht. Wenn Inhalte nicht zügig gelöscht werden könnten, müssten die Seiten gesperrt werden.

Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), kritisierte in dem Blatt: "Es genügt nicht, auf die Löschung kinderpornografischer oder rechtsextremer Seiten hinzuwirken." Notwendig sei auch, die Urheber solcher Machwerke zur Rechenschaft zu ziehen. Das scheitere aber regelmäßig daran, dass die Verbindungsdaten der Täter schon nach wenigen Tagen nicht mehr verfügbar seien.

Die Unionspolitiker folgen der Argumentation des BKA-Chefs Jörg Ziercke, der sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch die Netzsperren, für deren Ausgestaltung und Überwachung das BKA zuständig sein sollte, einfordert. Mit Verweis auf die Kriminalstatistik der vergangenen Jahre argumentiert der BKA-Chef, dass die Aufklärungsrate von Internetdelikten rückläufig sei, die Vorratsdatenspeicherung darum notwendig. Allerdings dokumentiert eben diese Kriminalstatistik des BKA für die Jahre 2008 und 2009 die bisher niedrigsten Aufklärungsraten überhaupt - in den einzigen Jahren, in denen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland durchgeführt wurde.

Vor wenigen Tagen hatte der FDP-Politiker und Justizstaatssekretär Max Stadler in Bezug auf die Kinderpornografie-Sperren um Geduld gebeten: Er erinnerte daran, dass der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag vom vergangenen Herbst "klar regelt", dass ein Jahr lang versucht werden solle, die Seiten zu löschen. Somit werde zwar erst im kommenden Frühjahr Bilanz gezogen - dann aber auf einer aussagekräftigen Basis. CDU-Politiker hatten in den vergangenen Monaten wiederholt behauptet, die Löschung der Seiten funktioniere nicht.

Auch in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung sieht der Koalitionspartner der Union derzeit keinen Grund zur Eile: Eine Überarbeitung der zugrundeliegenden EU-Direktive sei eine konkrete Möglichkeit. "Wir sehen uns als Bundesjustizministerium in unserer Haltung bestätigt, jetzt keine voreiligen, nationalen Regelungen zu treffen", sagte Stadler in der vergangenen Woche.

pat/dapd
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