Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Netzneutralität braucht staatliche Subventionen

Mit einem "5G-Manifest" fordern Telekomkonzerne das Ende der Netzneutralität. Schlau ist das nicht, denn mit ihrer Forderung schaden sie nicht nur den Nutzern, sondern auch sich selbst.

tl;dr: Protestieren Sie jetzt - bequem per Klick  ! - in letzter Minute gegen die ungeilen Netzneutralitätspläne von EU-Kommission und großen Telkos.

Es ist ärgerlicherweise so langweilig wie wichtig: Mitte Juli 2016 steht der Kontinent kurz vor der EU-weiten Entscheidung zur Netzneutralität. Netzneutralität ist ein abstraktes, aber absolut essenzielles Konzept für die Existenz des Netzes, man könnte sie die Gewaltenteilung des Internets nennen. Die Anbieter des Netzzugangs, Firmen wie die Telekom, Telefonica, Vodafone also, dürfen keine Datenflüsse benachteiligen oder gegen Geld bevorzugen. Kurz: Sie dürfen sich nicht als Daten-Zoll aufspielen. Netzneutralität steht in ihrer Definition also einem theoretisch möglichen Einkommenskanal der größten Datenversorger entgegen und nebenbei praktischerweise auch zu viel Konkurrenz.

Deshalb haben eben diese großen EU-Telkos am 7. Juli 2016 das "5G-Manifest" veröffentlicht . In merkwürdig überstürzter Geschwindigkeit wurde das Schreiben von EU-Digitalkommissar Günter Oettinger unterstützt. Und zwar - eigentlich völlig absurd! - durch die umgehende Veröffentlichung des Manifests (PDF ) selbst auf den Seiten der EU-Kommission. Schon für sich genommen ein verstörender, aber bezeichnender Vorgang; hat man je gehört, dass etwa ein Bundesministerium die Forderungen einer Lobby auf der eigenen Seite zum Download anbietet sowie mit einem eigenen Blogbeitrag  und auf Twitter  anpreist?

Was ist 5G?

5G ist die Zukunft der mobilen Internet-Infrastruktur, es handelt sich um den kommenden Datenübertragungsstandard, den Nachfolger des heutigen LTE. Solche Funkfrequenzen werden staatlich reguliert, und das ist der Ansatzpunkt für die Politik. Das mobile Internet selbst ist sehr viel größer als die meisten Leute ahnen. So groß, dass einer der findigsten Netzanalysten des Planeten, Benedict Evans, vorschlug, nicht mehr vom "mobilen Internet" zu sprechen . Sondern vom Internet und vom "stationären Internet", denn mobil ist das neue Normal, das Smartphone ist das neue Internet.

5G ist nun eine Funktechnologie, die riesige Datenmengen in unfassbarer Geschwindigkeit transportiert, mehr muss man eigentlich nicht wissen, um das Problem zu begreifen. Denn die Regeln für diese neue Form der Datenübertragung werden genau jetzt aufgestellt. Und - Riesenüberraschung - die Telkos hätten gern, dass ihnen in die neue Netzinfrastruktur der EU eine Art Geldverdien-Garantie eingebaut wird.

Die Bösen sind nicht die Telekommunikationskonzerne

Das Doofe ist: Geldverdien-Garantie hört sich zwar unverschämt an - ist es aber nicht unbedingt. Es ist vielmehr sehr nachvollziehbar. Denn die Telkos müssen an verschiedenen, ineinandergreifenden Fronten wie eben 5G und Glasfaser-Infrastruktur viele Schrillionen Euro investieren, Funkstationen aufbauen, Glasfaser verlegen, Datenverteilungszentren errichten, sowie schlecht funktionierendes, aber sehr teures Marketing machen. Diese Investitionen tätigt man nicht, wenn man nicht ein wenig politisches Wohlwollen spürt, was die Rahmengesetzgebung für Investitionen lohnenswert macht.

Wichtig zu verstehen ist deshalb: Die Telekommunikationskonzerne sind nicht die Bösen, auch wenn man mit dieser simplifizierenden Perspektive die dringend benötigten Kräfte leichter mobilisieren kann. Die Telkos sind nicht die Bösen, sondern die Getriebenen. Ihr Produkt, der bloße Zugang zum Netz ohne weitere Mehrwerte, ist ein Produkt mit fallenden Margen, gerade auch der benötigten Investitionen wegen. Netzzugang ist von etwas Besonderem (man wählt sich ein und zahlt Minutenpreise) zu etwas Selbstverständlichem (Superflat für alles und immer) geworden. Mit Preisen, die strukturell im freien Fall sind, außer in Deutschland, weil sich deutsche Digitalkunden offenbar jeden Quark bieten lassen außer böse US-Chlorhühnchen.

Warum das Manifest so kontraproduktiv ist

Die eigentliche Botschaft des 5G-Manifests aber, ist eine kaum verhohlene Drohung: Macht die EU-Gesetze so, wie wir das gern hätten, sonst: Investitionsstopp! Uff. Hammer. An ihren Drohungen sollt ihr sie erkennen, so steht es fast wörtlich ja schon in der Bibel, und in der Tat - Investitionsstopp ist vielsagend. Denn die Drohung weist auf den Kern der Problematik hin:

Es geht darum, ob das mobile Internet der Zukunft nach dem Modell "neutrale Infrastruktur" funktioniert wie zum Beispiel das Straßennetz in Deutschland. Oder nach dem Modell "Mautstation", wo irgendwo immer wieder lästige Häuschen aufgebaut sind, die bestimmte Verkehrsteilnehmer zur Kasse bitten.

Das bedeutet nicht, dass im ersten Fall das Internet kostenlos wird. Es heißt aber, dass diejenigen, die die Straßen bauen, nicht bestimmen dürfen, wer auf welche Weise darauf herumfährt. Daher "Gewaltenteilung des Internets", und mit dieser Metaphorik wird auch deutlich, warum das Manifest samt Drohung so kontraproduktiv ist: Die großen Telkos wollen weniger Netzneutralität im Tausch gegen ein angeblich ganz tolles Netz.

Hört sich doch akzeptabel an? Tatsächlich ist es aber ein Angebot der Sorte: Ja, für eine goldene Zukunft verlangen wir zwar dein Erstgeborenes, aber doch nur ein Beinchen und ein Ärmchen und vielleicht eine Niere, mehr nicht. Jedenfalls noch nicht.

Eine Start-up-getriebene Gegenbewegung  für die Erhaltung der Netzneutralität geht soweit, das 5G-Manifest als "Autobahn-Raub" zu bezeichnen. Netzneutralität ist nämlich nicht, wie Günter Oettinger andeutete, "Internetsozialismus" von irgendwelchen "Netztaliban". Sondern vielmehr die Grundvoraussetzung für einen fairen Digitalmarkt und damit zugleich ein Start-up-Turbo. Es ist ja kein Zufall, dass das digital erfolgreichste Land, die USA, schon vor einiger Zeit recht strikte Netzneutralitätsregeln aufgestellt hat.

Und jetzt?

Was soll man nun tun? Leider ist die Antwort nicht so leicht, wie viele Internet-People - auch ich - es gern hätten. Denn (hier scheint wieder die Getriebenheit der Telkos durch) in der Tat sind in den nächsten Jahren massive Investitionen notwendig. In einer Höhe, die nach meiner Einschätzung private Unternehmen kaum stemmen können. Und täten sie es doch, das nächste Netz wäre nur als Luxusgut zu refinanzieren. Was unbedingt zu verhindern ist. Das sah auch das EU-Parlament so, das sich zwar 2015 für die Netzneutralität entschied, aber ein paar ärgerliche Schlupflöcher ließ, die jetzt mit dem 5G-Manifest ausgenutzt werden sollen.

Das ist auch deshalb unklug, weil Netzneutralität langfristig auch für die Telkos selbst gut ist, selbst wenn sie das derzeit noch anders sehen mögen. Mit einem simplen Gedankenexperiment lässt sich das nachvollziehen. Was, wenn Google - wie es in vielen Städten der USA geschieht - hyperschnelle Glasfasernetze in Europa aufbaute? Und über diese Infrastruktur irgendwann selbst zum 5G-Provider würde? Und sich dann zum Beispiel entschlösse, YouTube in angemessener Qualität nur noch über die eigenen Netze zu verbreiten? Ohne gezwungen zu sein, mit der Datenübertragung Geld zu verdienen? Netzneutralität schützt in gewisser Weise auch die Telkos, deshalb müsste die EU-Kommission sie eigentlich per Regulierung zu ihrem Glück zwingen.

Digitale Infrastruktur muss staatlich subventioniert werden

Das hieße konkret: Digitale Infrastruktur - Glasfaser wie 5G - muss massiv staatlich subventioniert werden, damit auf und mit dieser Infrastruktur überhaupt sinnvoller Wettbewerb stattfinden kann. Schon allein, damit ein echter Markt entstehen kann und kein Netzzugangsoligopol. Als Gegenleistung für diese mit Steuermitteln finanzierten Subventionen verpflichten sich die Telkos, den Netzzugang als erschwingliches und netzneutrales Gut zu vermarkten und eben nicht als Luxusartikel mit Mautstation.

Der Schlüsselsatz des 5G-Manifests aber ist zugleich von erfrischender wie von entlarvender Ehrlichkeit, denn er lautet: "Wir müssen die Gefahr von restriktiven Regeln zur Netzneutralität hervorheben." Man muss sich vergegenwärtigen, dass sich zum Beispiel die Telekom in den vergangenen Jahren immer wieder, scheinbar überraschend, für die Netzneutralität ausgesprochen hat. Wie sich jetzt mit diesem einen ehrlichen Satz herausstellt, war das eine Farce: Es ging immer nur um eine umgedeutete Schein-Netzneutralität, die dem Begriff nicht gerecht wird. Die Maske ist gefallen, jetzt kommt es drauf an.

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