Neue Gesetze Frontalangriff auf Filesharer

PR-Aktion der Rechteindustrie: Harte Strafen für Bagatelldelikte, Provider als Hilfssheriffs
Foto: Z1005 Waltraud Grubitzsch/ dpaZwei, drei Klicks - und schon landet ein aktuelles Musikalbum auf dem heimischen Rechner. Millionenfach werden MP3-Dateien über das Internet ausgetauscht. Das illegale Angebot ist schnell, einfach und vor allem: kostenlos.
Seit mehr als einem Jahrzehnt geht das nun schon so, und bisher sind noch alle Versuche der Rechteinhaber gescheitert, den massenhaften Datentausch einzudämmen. Nur zu gerne würden sie zum Großschlag gegen Raubkopierer ausholen. Doch dazu brauchen sie die Hilfe der Internet-Provider, die ihre Kunden überwachen und gegebenenfalls sperren sollen. Das lehnen die Provider ab.
Künftig könnten sie per Gesetz dazu gezwungen werden. Die Unterhaltungsindustrie fordert, Websites mit illegalen Tauschangeboten zu sperren und Internetnutzer bei wiederholten Verstößen gegen das Urheberrecht aus dem Netz zu werfen. "Raubkopierer sind Verbrecher", lautet die Parole. Das Klappern der Lobby hat in Deutschland bisher nicht zu den erhofften scharfen Gesetzen geführt.
Bundesbürgern das Internet zu sperren, so weit wollen viele deutsche Parlamentarier noch nicht gehen. Das Herunterladen eines urheberrechtlich geschützten Songs zum privaten Gebrauch ist bisher nur ein Bagatelldelikt und wird nicht strafrechtlich verfolgt, nur der Rechteinhaber kann zivilrechtliche Ansprüche geltend machen.
Harte Strafen für Bagatelldelikte
Doch das heißt nicht, dass die passenden Rechtsmittel für harte Strafen nicht trotzdem in Arbeit sind: Nach jahrelanger Überzeugungsarbeit durch die Industrie laufen mittlerweile auf allen politischen Ebenen parallel Gesetzesinitiativen gegen Raubkopierer. Im September soll der sogenannte Gallo-Report vom Europäischen Parlament verabschiedet werden. Und eine Gruppe von Industriestaaten verhandelt derzeit in geheimen Sitzungen harte Maßnahmen gegen Raubkopierer und Produktpiraten. Noch dieses Jahr soll das sogenannte Acta-Abkommen unterzeichnet werden.
Gesetze gegen Raubkopierer
Eine Reform des deutschen Urheberrechts, der sogenannte "dritte Korb", soll unter anderem bestimmen, wer im Netz in Zukunft wofür haftet und was Internet-Provider eigentlich tun müssen. Die Idee der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger: Internet-Provider sollen Nutzer, die eine Urheberrechtsverletzung begehen, frühzeitig warnen. Netzsperren lehnt sie ab. Das klingt gut, hat aber einen entscheidenden Haken: Um Warnhinweise zu zeigen, müssen Provider ihre Nutzer überwachen und analysieren, was sie gerade im Netz tun.
Der Gallo-Report ist ein sogenannter Initiativbericht des Europäischen Parlaments, den die konservative Europa-Abgeordnete Marielle Gallo aus Frankreich vorgelegt hat. Darin werden harte Strafen für Raubkopierer gefordert und Provider in die Verantwortung genommen. Bisher wurde er aber nur vom Justizausschuss angenommen, die Abstimmung im Parlament wurde verschoben. Der Bericht hätte keine gesetzgebende Wirkung, gilt aber als Signal an die Europäische Kommission, entsprechend tätig zu werden. Dort liegt ein Richtlinienpaket gegen Filesharer namens IPRED2 zurzeit auf Eis.
Seit 2008 verhandelt eine Gruppe entschlossener Industriestaaten mit einer Handvoll Schwellenländern das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta). Ziel ist es, Produktpiraten zu schwächen und geistige Eigentumsrechte besser zu schützen. Es geht um gefälschte Luxusartikel - und um Raubkopien im Internet. Die Verhandlungen und Entwürfe des Handelsabkommens sind geheim, aus durchgesickerten Dokumenten wird aber die Stoßrichtung klar: Internetprovider sollen zu Hilfspolizisten werden, die Durchsetzung des Rechts wird zum Teil auf Unternehmen ausgelagert.
In Großbritannien und Frankreich existieren schon Gesetze zum Internetausschluss von Urheberrechtsverletzern. Fast sieht es so aus, als könnte die Rechteindustrie einen Erfolg feiern, als stünde das Internet vor einer weitgehenden Regulierung. Ob der Frontalangriff auf Filesharer letztlich aber zum gewünschten Erfolg führen wird, ist aus technischen und politischen Gründen alles andere als sicher.
Denn jedes illegale Angebot, das aus dem Internet verschwindet, wird binnen kürzester Zeit durch ein neues, technisch oft verbessertes ersetzt. So war es zumindest bisher: hieß das erste populäre Tauschnetzwerk, das 1999 gestartet wurde. Bis die Musikindustrie Wind von der Datenschieberei bekam und im großen Stil vor Gerichte zog, vergingen zwei Jahre, und noch ein weiteres, bis Napster den Betrieb einstellen musste. Da gab es längst zahlreiche Alternativen.
Auch massenweise Abmahnungen, mit denen die Musikindustrie gegen einzelne Dateitauscher vorgeht, führten bislang nicht zur Läuterung der Internetnutzer. Durch die Medien gingen anrührende Geschichten von Großeltern, die plötzlich Tausende Dollar Schadensersatz zahlen sollten, weil der Enkel ein Britney-Spears-Lied online zum Download angeboten hatte. Der Image-Schaden für die Labels war beträchtlich, der erhoffte Abschreckungseffekt blieb lange aus. Mit schnelleren Internetverbindungen wurde es unterdessen auch praktikabel, ganze Kinofilme über das Internet zu tauschen.
Rechteindustrie schmiedet Koalition der Willigen
Dass die kostenlos verteilten Datenpakete ein Problem für die Rechteinhaber sind, ist unbestritten. Den Unternehmen entgehen potentielle Einnahmen, ihre Umsätze leiden mit zunehmender Internetverbreitung. Strittig ist jedoch die Höhe des Schadens. Die Rechteinhaber geben gerne für jede kopierte Datei den Verkaufswert als Verlust an - dabei ist ihnen kein physischer Datenträger abhanden gekommen, für das Erstellen einer digitalen Kopie sind die Kosten so gering, dass sie kaum messbar sind. Doch das sind ideologische Gefechte.
Es existieren Beispielrechnungen, nach denen es für ein Musiklabel lukrativer ist, einen illegalen Dateitauscher per Anwalt abzumahnen, als eine Musikdatei legal zu verkaufen. Auch wenn viele Internetnutzer den Unternehmen hier ein Kalkül unterstellen: Die Industrie hat wenig Lust, sich ihr Image mit den Abmahnungen weiter zu ramponieren und ruft nach der Politik. Sie will nicht alleine den Buhmann geben. Die Filmindustrie hat genau deswegen in Deutschland lange Zeit auf Abmahnungen verzichtet. Erst seit rund einem Jahr werden die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Denn letztlich geht es ums Geld, da fallen die Hemmschwellen.
Nur ist es nicht mehr so einfach wie bisher, an die Personalien der Dateitauscher heranzukommen. Nur noch 30 Prozent der Raubkopien werden über sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke getauscht, schätzt die Lobby der Filmindustrie. Das Überführen eines solchen Filesharers läuft bisher so: Man schaut nach, welcher Nutzer eine Datei zum Tausch anbietet, notiert dessen IP-Adresse und holt sich mit Hilfe eines Gerichts beim Provider die zugehörigen Daten des Nutzers.
Peer-to-Peer war gestern
Auch das ist nicht immer einfach, die Justiz erstickt förmlich an den Anträgen. Doch ein Großteil der illegalen Daten wird längst auf anderem Wege verschickt, über Streaming-Dienste und sogenannte One-Click-Hoster. Streaming-Dienste sind Webserver, die das Video direkt an einen Video-Player schicken, das vorherige Herunterladen der Datei einfällt. One-Click-Hoster sind wiederum Anbieter, bei denen sich Dateien anonym ablegen und herunterladen lassen.
Die IP-Adressen der Nutzer fallen in beiden Fällen nur bei den Anbietern an. Die stellen ihre Server mit Vorliebe in Ländern ab, die entweder laschere Gesetze haben oder andere Sorgen als Copyright-Verstöße. Die Rechteindustrie hat kaum Chancen, an die IP-Adressen solcher Nutzer heranzukommen, um zivilrechtlich gegen sie vorzugehen. Das Tauschen findet außerdem zunehmend in nicht-öffentlichen Netzen statt, noch dazu verschlüsselt. Um diese Aktivitäten einzudämmen, müsste man schon in die totale Überwachung aller Internetnutzer einsteigen.
Hier kommen die sogenannten Access-Provider ins Spiel, die Unternehmen, die für den Anschluss der Nutzer an das Internet sorgen. Sie sollen den Zugriff auf offensichtlich illegale Angebote sperren, den Netzverkehr ihrer Kunden überwachen und regulierend eingreifen. Bisher pochen die Provider auf die , wollen nicht als Hilfssheriff der Rechteindustrie auftreten.
Sie fürchten den Aufwand und die damit verbundenen Kosten. Vor allem in Deutschland werden regulierende Eingriffe in das Internet außerdem von einer gut vernetzten Szene von Bürgerrechts- und Internetaktivisten als Angriff auf die Meinungsfreiheit gebrandmarkt. Mit den Grünen und Teilen von SPD und FDP haben sie verbündete im Bundestag, die eine Verschärfung des Urheberrechts kritisch begleiten.
Mehr Schutz für Miley Cyrus und Gucci
Auch auf europäischer Ebene gibt es diese Bedenken. Der harsche Gallo-Report, ein Positionspapier mit Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums, den die französische EVP-Abgeordnete Marielle Gallo vorgelegt hat, sollte eigentlich noch vor der Sommerpause vom Parlament verabschiedet werden. Eine Mehrheit von Konservativen und Liberalen galt zunächst als sicher.
Sozialdemokraten und Grüne haben bereits eine Gegenresolution verfasst. Dass Rechteinhaber und Provider den Internetnutzern ohne Gerichtsverfahren den Zugang kappen könnten, lehnen sie ab. Der Unmut über die Wunschliste der Rechteindustrie ist offenbar sogar noch größer: Die Abstimmung über den Gallo-Report wurde am Montag mit breiter Mehrheit auf den September verschoben.
Wohl auch, weil in dem Bericht das umstrittene Acta-Abkommen befürwortet wird, ein internationaler Vertrag mit Maßnahmen gegen Copyright-Verletzungen und Produktfälschungen. Der wird seit Jahren von großen Industriestaaten und einer Handvoll Schwellenländern verhandelt - ganz im Geheimen, unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit. Einige EU-Abgeordnete lehnen Acta schon deshalb ab.
Industriestaaten preschen vor
Eigentlich gibt es internationale Organisationen, die genau für solche Vorhaben eingerichtet wurden und entsprechende Abkommen verwalten: Die 1967 gegründete World Intellectual Property Organization innerhalb der Vereinten Nationen (184 Mitgliedstaaten) und die 1995 installierte World Trade Organization (153 Mitgliedstaaten). Mit Acta werden diese Organisationen ganz gezielt umgangen - es sollen endlich Ergebnisse her. Der exklusive und entschlossene Club aus 39 Staaten, darunter die EU-Länder, die USA, Kanada, Japan, die Schweiz, Australien, Neuseeland, will sich langwierige Verhandlungen und politische Tauschgeschäfte sparen.
Der Rest der Welt soll vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dagegen protestieren nicht nur Bürgerrechtsaktivisten. Auch die indische Regierung lehnt Acta ab. Sie fürchtet, dass die rigorosen Vorschriften den Export von Generika und nicht-patentierten Medikamenten aus Entwicklungsländern behindern könnten. Ähnliches könne auch für IT-Produkte gelten. Indien werde sich deshalb mit weiteren von den Acta-Verhandlungen ausgeschlossenen Ländern wie Brasilien, China oder Ägypten absprechen und gegen das Abkommen wehren.
Selbst in den Ländern, deren Regierungen Acta mit aushandeln, regt sich Widerstand. Der deutsche Bundesrat hat die Regierung im Mai aufgefordert, dem Acta-Abkommen nicht beizutreten. Die Länder halten die Einschnitte in die Grundrechte für so gravierend, dass sie mitreden möchten. Auch die Parlamente müssten unbedingt an den Verhandlungen beteiligt werden.
Zehn Jahre sind seit der Gründung von Napster vergangen. Trotz Gesetzesinitiativen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene: Mit einem Erfolg gegen die Internet-Piraterie in absehbarer Zeit rechnen selbst die Lobbyverbände nicht mehr.