Abstimmung im Bundesrat SPD beschwor Horrorszenarien für Bestandsdatenauskunft

Nordrhein-Westfalen warnte vor Terroristen und Kinderpornografie: Um die umstrittene Bestandsdatenauskunft durch den Bundesrat zu bekommen, hat das Innenministerium des Landes offenbar mit aufgebauschten Schreckensszenarien nachgeholfen.
Bundesrat am 3. Mai: Horrorszenarien aus dem NRW-Innenministerium

Bundesrat am 3. Mai: Horrorszenarien aus dem NRW-Innenministerium

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

Zwei Wochen, nachdem der Bundesrat die neue Bestandsdatenauskunft durchgewinkt hat, offenbart ein interner Vermerk, wie die Befürworter für eine Mehrheit kämpften. Das Gesetz erleichtert Ermittlern die Identifizierung von Internetnutzern und den Zugriff auf PIN- und PUK-Nummern von Handys. In den Tagen vor der Entscheidung am 3. Mai wackelte die Zustimmung im Bundesrat.

Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen verfasste daraufhin ein Schreiben, das Ressortchef Ralf Jäger (SPD) helfen sollte, unwillige Grüne und Sozialdemokraten umzustimmen. Die ersten drei Absätze des Dokuments, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, sind gefettet. Sie beginnen jeweils mit dem Hinweis "Achtung!!". Dann beschreiben die Innenexperten Horrorszenarien, falls das Gesetz blockiert würde.

"Islamisten und anderen Terroristen"

Angeblich könnten die Strafverfolger in Zukunft keine Telefonnummern mehr bei den Providern abfragen. Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaften seien dann in weiten Teilen ausgeschlossen, heißt es in dem Vermerk. Selbst vor peinlichen Pauschalisierungen machen die Innenexperten nicht halt. So schreiben sie, die "Internetaufklärung bei Islamisten und anderen Terroristen" sei bei einer Blockade ebenso unmöglich wie bei "Kinderpornographie".

Der Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer war Sachverständiger des Landtags Nordrhein-Westfalen für das Gesetz. Er hält die Kernaussagen des Dokuments für falsch. "Auf 95 Prozent der Bestandsdatenabfragen hätte eine ausbleibende Neuregelung überhaupt keinen Einfluss gehabt", sagt Buermeyer.

Das sieht das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen anders. Dort besteht man darauf, dass die inhaltlichen Aussagen korrekt sind. Die Formulierung zu den Islamisten sei "unglücklich" gewesen. Seine Wirkung verfehlte die ministerielle Argumentationshilfe wohl nicht. Zwar enthielt sich NRW auf Wunsch der Grünen. Das Land Berlin stimmte jedoch entgegen ursprünglicher Vorbehalte der Regierungspartei SPD zu. Hier soll Jäger nach Informationen von SPIEGEL ONLINE Druck auf seine Parteigenossen ausgeübt haben, für das Gesetz zu stimmen. So geschah es dann auch: Die Bestandsdatenauskunft konnte den Bundesrat passieren.

Gegner bereiten Verfassungsbeschwerde vor

Gegen das Gesetz organisieren Gegner nun eine Sammelbeschwerde . Patrick Breyer, der für die Piratenpartei im Landtag von Schleswig-Holstein sitzt, und Katharina Nocun, neue politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, wollen das Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Sie wollen sich der Argumentation des Arbeitskreises gegen Vorratsdatenspeicherung anschließen, nachdem die Bestandsdatenauskunft in sechs Punkten gegen die Verfassung verstoßen soll .

Unter anderem bemängeln sie die weitreichenden Zugriffsrechte, dass es keine genauen Vorgaben zur Herausgabe von Passwörtern gibt und dass Provider ihre Kunden nicht über einen Datenzugriff informieren sollen dürfen. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hatte das Gesetz scharf kritisiert. Dass Bestandsdaten schon bei jeder Ordnungswidrigkeiten abgefragt werden können, nannte er verfassungsrechtlich bedenklich.

Die nun gestartete Sammelbeschwerde, die auf ihrer Website bereits mehr als 1700 Unterstützer zählt , vertritt der Jurist Meinhard Starostik, der als Rechtsanwalt und Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin arbeitet. Starostik hatte 2007 eine Sammelbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung im Namen von rund 35.000 Bürgern vertreten. Das Gericht kippte daraufhin die umstrittene Datenerhebung. Auch gegen eine zentrale Arbeitnehmer-Datenbank hatte Starostik eine Sammelbeschwerde vertreten, die Regierung beerdigte das Vorhaben schließlich vor dem Start.

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