Internet-Überwachung Datenschützer verlangen Aufklärung von Regierung

Screenshot eines NSA-Programms: Weltweiter Zugriff auf Daten
Hamburg/Berlin - Für Kanzleramtschef Roland Pofalla ist die NSA-Affäre "beendet", für Innenminister Hans-Peter Friedrich steht fest, dass die Regierung nichts tun kann: "Die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung existieren nun einmal, deshalb werden sie auch genutzt." Mit diesen Antworten wollen sich die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder aber nicht weiter abspeisen lassen.
In einer gemeinsamen Erklärung rufen sie die Bundesregierung nun zum Handeln auf. Es sei "noch immer nicht alles getan" worden, um "das Ausmaß der nachrichtendienstlichen Ermittlungen" mit Hilfe von Programmen wie Prism, Tempora und XKeyscore für die Bundesrepublik Deutschland aufzuklären.
"Es geht um nichts weniger als das Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat", heißt es in der Erklärung. Die Datenschützer erinnern die Regierung daran, dass der Schutz der Grundrechte zu ihren Aufgaben gehört: "Die staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte erfordert es, sich nicht mit der gegenwärtigen Situation abzufinden."
In der gemeinsamen Entschließung der Datenschützer stehen aber nicht nur Appelle, sondern konkrete, umsetzbare Forderungen an die Regierung:
1. Aufklären, welche Rolle deutsche Dienste und US-Konzerne spielen
Während die Bundesregierung die NSA-Affäre für aufgeklärt hält, sehen die Datenschützer viele Unklarheiten. Zum Beispiel:
- Die bisherigen Enthüllungen durch die von Edward Snowden veröffentlichten NSA-Interna lassen für die deutschen Datenschützer diesen Schluss zu: Die Aktivitäten der Geheimdienste in den USA und in Großbritannien laufen auf eine "globale und tendenziell unbegrenzte Überwachung der Internetkommunikation" hinaus.
- Dagegen müsse die Bundesregierung etwas tun, fordern die Datenschützer. Und sie stellen fest: Die Regierung ist nicht so machtlos, wie sie tut.
2. US-Regierung unter Druck setzen
Die Bundesregierung habe viele Hebel, um Druck auf die USA auszuüben. Die Datenschützer zählen einige geplante und bereits geschlossene völkerrechtliche Abkommen auf, an denen die USA großes Interesse habe:
- Das Datenschutz-Rahmenabkommen und das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA dürfen nach Sicht der Datenschützer nur abgeschlossen werden, wenn die europäischen Datenschutzgrundrechte ausreichend geschützt werden.
- Angesichts der Überwachungsaktivitäten der US-Dienste gehörten das Fluggastdatenabkommen und die Überwachung des Zahlungsverkehrs auf den "Prüfstand", fordern die Datenschützer in ihrer Entschließung.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung genau das als eine Aufgabe der Regierung formuliert. Im Urteil heißt es: "Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss."
3. Echte Kontrolle ermöglichen
Auch drei Monate nach den ersten Enthüllungen der Überwachungsprogramme von NSA und GCHQ sind noch viele Fragen offen. Die bisherigen Kontrollmechanismen funktionieren offenkundig nicht. Die Datenschützer haben einige Verbesserungsvorschläge:
- Die Geheimdienst-Kontrollgremien der Parlamente brauchen mehr Befugnisse und eine gesetzlich festgelegte, verbesserte Ausstattung.
- Kontrolllücken sollen geschlossen werden. Die Datenschützer kritisieren, dass sie die Geheimdienste im sogenannten G10-Bereich nicht kontrollieren dürfen. Heute funktioniert die Geheimdienstkontrolle so: Was das Parlament kontrolliert, soll Datenschützer nichts angehen. Die Datenschützer fordern eine gemeinsame Kontrolle.
- Die Regierung soll Voraussetzungen zur Gründung "unabhängiger Zertifizierungsstellen" schaffen, die Hard- und Software objektiv prüfen.
4. Grundrechtsfreundliche Infrastruktur ausbauen
Die Datenschützer haben drei interessante Infrastrukturvorschläge:
- Die Regierung soll prüfen, ob Telekommunikationsverbindungen sich in Zukunft möglichst nur über Netze innerhalb der EU routen lassen.
- "Sichere und anonyme Nutzungsmöglichkeiten von Telekommunikationsangeboten aller Art" sollen ausbaut und gefördert werden.
- Die Regierung soll sicherstellen, dass "Betroffenen keine Nachteile entstehen, wenn sie die ihnen zustehenden Rechte der Verschlüsselung und Nutzung von Anonymisierungsdiensten ausüben".
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hatte bereits im Juni in einem Gastbeitrag auf SPIEGEL ONLINE gefordert, die zügellose Überwachung müsse zurückgefahren werden. "Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen und über ihre Parlamente entscheiden, wie weit staatliche Erfassung und Überwachung gehen dürfen", so Schaar.
Nicht nur die Bundesregierung behindert derzeit die Aufklärung: Eine aussichtsreiche Online-Petition, mit der die Piraten-Politikerin Katharina Nocun eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der britischen Internet-Überwachung erreichen wollte, hatte der zuständige Ausschuss abgelehnt. Die Petition würde weder eine lebhafte noch eine sachliche öffentliche Diskussion anregen, noch sei sie konkret oder verständlich genug, so die Begründung.
Später wurde bekannt, dass bereits andere Petitionen zu dem Thema eingereicht worden waren. Eine weitere Petition würde der "Übersichtlichkeit der Website schaden", bekam n-tv als weitere Antwort zur Ablehnung der Petition.