Neue Snowden-Dokumente Wie die NSA sich auf Olympia vorbereitet

Hamburg will 2024 Olympiastadt werden. Was dann droht, zeigen neue Snowden-Dokumente: Als Athen die Sommerspiele 2004 ausrichtete, zapfte die NSA die Kommunikation des ganzen Landes an - und horchte anschließend offenbar weiter.
Olympiastadion in Athen: Telekommunikation großflächig angezapft

Olympiastadion in Athen: Telekommunikation großflächig angezapft

Foto: Palladium

Die Begriffe, die die NSA verwendet, wenn es ums großflächige Ausspähen geht, klingen meist harmlos. Von "Systemen für die Sammlung und Weiterleitung" ist da die Rede oder von "Lücken im Sigint-Zugang". Ersteres bedeutet: Hier zapfen wir die Kommunikationsinfrastruktur eines Landes an und schicken das, was wir herausfischen, direkt nach Hause. Letzteres heißt: Es gibt noch Stellen, an denen wir nicht an alles herankommen, was durch die Kabel fließt, da müssen wir nacharbeiten, sprich: Abhörsoftware oder -schnittstellen installieren.

Genau das geschah auch, als im Jahr 2004 Olympische Spiele in Griechenland ausgetragen wurden, wie bislang unveröffentlichte Snowden-Dokumente nun zeigen. Der US-Geheimdienst verschaffte sich offenbar flächendeckenden Zugang zur griechischen Telekommunikation. "Die Welt wird zusehen, und die NSA auch!" heißt es in einem der Dokumente, die das Enthüllungsportal "The Intercept" am Dienstagmorgen deutscher Zeit veröffentlichte  und die SPIEGEL ONLINE vorab vorlagen.

Berechtigte Ängste vor Terroranschlägen

Die Dokumente geben einen Einblick in das, was passiert, wenn einem Land, einer Stadt die Ehre zuteil wird, die Olympischen Spiele auszurichten: Der Austragungsort wird zum Schauplatz von Überwachungsaktivitäten wahrhaft olympischen Ausmaßes. Das sollte beispielsweise Bewohner und Politiker Hamburgs interessieren, das sich ja um die Ausrichtung von Olympia 2024 bewirbt.

Offenbar geschah das, was die NSA in Athen und Umgebung anstellte, zumindest zum Teil mit dem Einverständnis der griechischen Regierung. In einem NSA-Dokument heißt es, dass man den "EYP, den griechischen Nationalen Nachrichtendienst" unterstützen werde.

Natürlich gab es in Griechenland, nur drei Jahre nach dem 11. September 2001, berechtigte Ängste vor Terroranschlägen. Die Verbündeten aus den USA wurden deshalb offenbar eingeladen, mit ihren überlegenen Fähigkeiten beim Abzweigen und Auswerten von Kommunikationsinhalten mitzuhelfen. Um, wie es in einem der NSA-Dokumente heißt, "Informationen zu sammeln und den EYP über mögliche terroristische oder kriminelle Aktivitäten zu informieren". Doch dabei blieb es nicht.

Die Netzwerke von Telekommunikationsfirmen angezapft

Um ihre Aufgabe zu bewältigen, scheute die NSA weder Kosten noch Mühen: "Ein Team von zehn NSA-Analysten wird 30 bis 45 Tage vor den Olympischen Spielen in Griechenland eintreffen und bleiben, bis das Olympische Feuer gelöscht wird", heißt es in einem Dokument. Vor allem aber wurden Spezialisten aus allen relevanten NSA-Abteilungen hinzugezogen. Keine Leitung sollte unangezapft bleiben.

Die sogenannte Commercial Technologies Group sammelte Informationen darüber, welche Technik Unternehmen in Griechenland verbauten, um die zusätzlichen Anforderungen der Spiele zu bewältigen. Die CIA stellte Daten über griechische Mobilfunknetze zur Verfügung. Die Abteilung Special Source Operations, die fürs Anzapfen von Datenkabeln zuständig ist, auch in Zusammenarbeit mit Telekom-Konzernen, stellte "verbesserten Zugang" zu Daten- und Telefonnetzen in Athen her.

Der Special Collection Service, der etwa von Botschaften aus Regierungsviertel abhört, stellte "zusätzliche Fähigkeiten zur Verfügung", Daten ins NSA-Hauptquartier in den USA zurückzuschicken. Und die Hacker von der Abteilung für maßgeschneiderte Operationen (TAO)  "führten Operationen zur Netzwerkausbeutung gegen griechische Telekommunikationsanbieter durch".

Mit anderen Worten: Sie zapfte deren Netze mit Hilfe maßgeschneiderter Spionagesoftware an. Hacker, Lauscher und Fachleute für Verschlüsselung wurden in Athen stationiert, um im Bedarfsfall aushelfen zu können.

"Wenn man einmal Zugang hat, hat man Zugang"

Aus Sicht der griechischen Regierung dürfte das meiste davon damals tatsächlich unkritisch gewesen sein - schließlich ging es darum, sich von einem Verbündeten bei der Terrorprävention helfen zu lassen. Was man in Athen aber wohl nicht einkalkuliert hatte: Die Amerikaner kamen nicht nur, installierten Wanzen, Abhörschnittstellen und Spionagesoftware - sie ließen sie auch dort, als sie wieder abzogen.

Der US-Journalist und NSA-Experte James Bamford berichtet jetzt in "The Intercept" : Sie schalteten den Apparat nach einer kurzen Schamfrist auch gleich wieder ein, um damit anschließend Angehörige der griechischen Regierung abzuhören, darunter Premierminister Kostas Karamanlis und dessen Frau, mehrere Minister, der Bürgermeister von Athen und auch Journalisten. Die Affäre schlug in Griechenland hohe Wellen, es gab eine offizielle Untersuchung. Bis heute ist unklar, ob sie im Zusammenhang mit dem mysteriösen Suizid eines griechischen Mitarbeiters der Telekom-Firma Vodafone steht, über den Bamford nun ausführlich berichtet .

Dass die NSA bleibt, wenn sie einmal da ist, dürfte auch deutsche Olympiaplaner jedenfalls brennend interessieren. Bamford zitiert einen namentlich nicht genannten ehemaligen hochrangigen NSA-Beamten mit den Worten, einmal installierte Überwachungsinfrastruktur werde nie wieder entfernt: "Wenn man einmal Zugang hat, hat man Zugang. Wenn man die Gelegenheit hat, Implantate zu installieren, dann ist das eben eine Gelegenheit."

Mitarbeit: Michael Sontheimer
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