NSA-Skandal: Merkwürdige Aufbauten auf US-Botschaften
NSA-Spähskandal
So funktionieren die Abhöranlagen in US-Botschaften
Falsche Fassaden aus Polyethylen oder Keramik, dahinter Hochleistungsantennen: Es gibt klare Hinweise auf Spionage-Installationen in US-Botschaften. Experten kennen die Tarntechnik - von alten britischen Abhöranlagen.
Auf den Dächern der US-Botschaften in Berlin und Genf sieht man merkwürdige Aufbauten. Sie wirken wie etwas zu groß geratene Anlagen für die Haustechnik. Eine Besonderheit lässt sich in Genf und Berlin erkennen: Große Flächen der Außenwände bestehen aus einem anderen Material als die Umgebung.
Diese seltsamen Sichtblenden kennt der britische Enthüllungsjournalist Duncan Campbell. Er hat 1999 über eine Abhörinstallation berichtet, mit der der britische Geheimdienst den gesamten Telefonverkehr mitschneiden konnte, der über eine Richtfunkverbindung nach Irland ging. Campbell verortete die Abhöranlage damals in einem Funkturm mit eigenartigen Sichtblenden, der auf einem Militärgelände in Nähe der Funkanlage der British Telecom errichtet worden war. Campbell hat den vom Militär später aufgegebenen Turm besucht, er fand Überbleibsel von Elektroinstallationen, Kühlanlagen - und eben jene Abdeckungen aus dielektrischem Material.
Derartiges Material zeichnet sich dadurch aus, dass es elektrisch isolierend wirkt, elektromagnetische Wellen, wie sie für Mobilfunk genutzt werden, aber durchlässt. Ein Vorteil von Dielektrika ist, dass man sie aus vielen unterschiedlichen Rohstoffen herstellen kann.
US-Botschaft in Berlin: Merkwürdige Dachaufbauten mit Sichtblenden
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
Beispielsweise eignet sich Polyethylen dafür ebenso gut wie bestimmte Keramiken. So lassen sich Werkstoffe unterschiedlicher Beschaffenheit verwenden, die sich gut in die jeweilige Umgebung einfügen, entsprechend einfärben, formen und tarnen lassen. Einem unbedarften Beobachter wird kaum auffallen, dass es sich bei manchen Fassadenabdeckungen um solche Tarnkappen handelt, hinter denen Abhörantennen verborgen sein können.
Auf dem Dach der US-Botschaften am Pariser Platz in Berlin ist ein Aufbau zu erkennen, in den offensichtlich solche Abdeckungen eingebaut sind. Hinter dieser Sichtblende befinde sich die Abhörtechnik, sagt Campbell. Ebenso fällt bei der US-Botschaft in Genf auf, dass es im Obergeschoss einen fensterlosen Bereich und zudem einen rechteckigen turmartigen Aufbau auf dem Dach gibt, hinter denen Abhöreinrichtungen verborgen sein könnten.
US-Spezialeinheit "Special Collection Services"
Duncan Campbell zeigt weitere mögliche Anlagen auf US-Botschaften und beschreibt Parallelen zu der von ihm in Capenhurst beobachteten Anlage auf. Campbell sagt über die Dachaufbauten auf der US-Botschaft in Berlin: "Solche Dachaufbauten kann man auf den Dächern von einem Dutzend US-Botschaften in Europa und weltweit erkennen. Nur in den Staaten, die zur Allianz der 'Five Eyes' gehören, sieht man so etwas nicht."
US-Botschaft in Genf: Seltsame Aufbauten in der Nähe des Uno-Geländes
Foto: Google Earth
Es gibt einige Hinweise darauf, dass US-Spezialeinheiten auf den Botschaftsdächern in europäischen Metropolen Menschen abhören:
In einem als "streng geheim" eingestuften NSA-Papier aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass in Berlin eine Spezialeinheit von CIA und NSA namens "Special Collection Service" (SCS) residiert. Diese Einheiten betreiben getarnte Abhöranlagen.
Die Einheit kann Mikro- und Millimeterwellen, Mobilfunk und W-Lan-Netze abfangen, sowie Zielpersonen orten. Das berichtet der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe.
In einem dem SPIEGEL vorliegenden NSA-Dokument wird die Tarnung von Abhöranlagen auf den Dächern von US-Botschaften beschrieben. Der Begriff "concealed collection system" steht im Geheimdienstjargon für Überwachungstechnik, die auf einem Gebäude verdeckt installiert werde. Antennen würden "in falschen architektonischen Details oder Anlagen auf dem Dach versteckt".
Im selben NSA-Dokument ist außerdem von "stateroom sites" die Rede. Es handelt sich dabei um kleine, mit wenig Personal besetzte Überwachungseinrichtungen in den Botschaften oder Konsulaten der USA, Großbritanniens, Kanadas und Australiens. Die wahre Aufgabe der Überwacher sei der Mehrheit der Botschaftsmitarbeiter nicht bekannt.
US-Unterlagen: Abhöranlagen in Botschaften werden auf dem Dach getarnt
Wie könnte man mit Antennen hinter solchen Sichtblenden Mobilfunkgespräche abhören? Die wohl bekannteste, mehrfach öffentlich vorgeführte Methode: Eine Anlage zum Abhören von Mobilkommunikation gibt sich als Basisstation aus und leitet den Verkehr zu den tatsächlichen Basisstationen der Anbieter durch. Jürgen Schmidt, Sicherheitsexperte beim Fachmagazin "c't", sagt: "Die Verschlüsselung von Mobilfunknetzen ist kaputt. Die GSM-Verschlüsselung haben interessierte Privatleute geknackt. UMTS- und 4G-Datenverbindungen sind meines Wissens bislang nicht öffentlich geknackt, aber das heißt nichts. Man muss davon ausgehen, dass Geheimdienste wie die NSA das können."
Bei diesem Verfahren könnte eine Anlage auf einem Dach eine Fläche wie ein Mobilfunkmast abdecken. "Mit einem Radius von mehreren Hunderten Metern, vielleicht sogar einem Kilometer", schätzt Schmidt. Das ist die bekannteste Abhörtechnik. Man kann aber nicht ausschließen, dass es auch möglich ist, rein passiv abzuhören - also ohne sich überhaupt als Basisstation zwischen Handy und Mobilfunkprovider einzuklinken.
Sogar Steckdosen wurden aus den USA eingeflogen
Einige Mobilfunkbasisstationen sind per Richtfunk mit dem Kernnetz des Anbieters verbunden. Wenn es Überwachern gelingt, diese Funksignale mitzuschneiden, könnten sie passiv überwachen - so wie der britische Geheimdienst GCHQ es laut Duncan Campbell in den Neunzigern bei der Richtfunkverbindung nach Irland tat.
Schon der Bau des Berliner Botschaftsgebäudes wurde zur Geheimsache. Wohl auch, weil der russische Geheimdienst Wanzen direkt in die in die Wände des Moskauer Botschaftsneubaus eingearbeitet hatte, ließ man die Baustelle am Pariser Platz von Secret Service und CIA überwachen. Ohne besondere Genehmigung kam niemand hinein. Beim Richtfest wurde streng darauf geachtet, dass keiner der Gäste über das Erdgeschoss hinaus kam.
Nur der Anschluss für Löschwasser an der Grundstücksgrenze entspricht deutschen Maßen. Alles was sich im Inneren befindet, orientiert sich an US-Normen, wurde von US-Bauprüfern kontrolliert. Sogar Steckdosen und Türgriffe wurden aus dem Heimatland eingeflogen. Und obwohl jeder Bauarbeiter vor der Zulassung zur Baustelle wochenlang überprüft wurde, waren stets Mitarbeiter des US-Baukonzerns Hensel Phelps für die Arbeiten in den Sicherheitsbereichen zuständig. Material wurde hinter Sichtblenden angeliefert, egal ob es sich dabei um Küchenmobiliar oder womöglich Abhörantennen handelte.
7 BilderNSA-Skandal: Merkwürdige Aufbauten auf US-Botschaften
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Dach der US-Botschaft in Berlin: Antennen und fensterartige Einbuchtungen deuten darauf hin, dass auf dem Botschaftsgebäude am Brandenburger Tor ein Abhörzentrum betrieben wird. Interne NSA-Dokumente belegen, dass in Berlin eine Eliteeinheit von CIA und NSA arbeitet.
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
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Dach der Berliner US-Botschaft: Links oben sind die Dachaufbauten mit merkwürdigen Sichtblenden zu erkennen.
Foto: Google Earth
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US-Botschaft in Berlin: Die hellen Sichtblenden an den Ecken des Gebäudes weisen in alle vier Himmelsrichtungen.
Foto: Google Earth
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Einbuchtungen und Sichtblenden über der US-Botschaft: NSA-Experte James Bradford, der die Bauten vom gegenüberliegenden Hauptstadtbüro des SPIEGEL begutachtete, kommt zu dem Schluss, dass die "Abdeckung aus dem gleichen Material zu sein scheint, mit dem die Dienste auch größere Anlagen abschirmen".
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
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US-Unterlagen: In einem dem SPIEGEL vorliegenden NSA-Dokument ist außerdem von "stateroom sites" die Rede. Es handelt sich dabei um kleine, mit wenig Personal besetzte Überwachungseinrichtungen in den Botschaften oder Konsulaten der USA, Großbritanniens, Kanadas und Australiens. Die wahre Aufgabe der Überwacher sei der Mehrheit der Botschaftsmitarbeiter nicht bekannt.
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US-Unterlagen: Die Dokumente zeigen, dass eine Spezialeinheit von CIA und NSA in US-Botschaften mit dem Abhören beauftragt ist. Offenbar können Mitarbeiter des "special collection service" Mobilfunkverbindungen überwachen und gezielt nach bestimmten Personen suchen. Dieses als "top secret" klassifizierte NSA-Dokument zeigt offenbar eine Antenne sammt Steuereinheit-
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Genf: Die US-Botschaft ist gut 600 Meter vom Gelände der Vereinten Nationen entfernt. Laut einer geheimen Übersicht aus dem Jahr 2010 unterhält der "special collection service" an rund 80 Standorten weltweit Abhöreinrichtungen in Botschaften, davon lagen allein 19 in europäischen Städten, etwa in Paris und Genf.
Foto: Google Earth
US-Botschaft in Genf: Seltsame Aufbauten in der Nähe des Uno-Geländes
Dach der US-Botschaft in Berlin: Antennen und fensterartige Einbuchtungen deuten darauf hin, dass auf dem Botschaftsgebäude am Brandenburger Tor ein Abhörzentrum betrieben wird. Interne NSA-Dokumente belegen, dass in Berlin eine Eliteeinheit von CIA und NSA arbeitet.
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
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US-Botschaft: Die Einbuchtungen des Gebäudeteils auf dem Dach sind laut britischem Geheimdienstexperten Duncan Campbell nicht verglast, sondern mit "dielektrischem Material in der Optik des umliegenden Mauerwerks verblendet".
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Wärmebild mit derselben Perspektive: Je heller das Bild, desto höher die Temperatur. Auffällig sind die warmen Punkte weiter oben, auch im Gebäudeteil mit den Einbuchtungen ist die Temperatur hoch. Ein Indiz, dass sich dort Abhörtechnik befinden könnte.
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Und noch eine Luftaufnahme: Die fraglichen Räume, die auf dem Wärmebild auffallen, befinden sich an den Seiten des runden Bauteils.
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Einbuchtungen und Sichtblenden über der US-Botschaft: NSA-Experte James Bradford, der die Bauten vom gegenüberliegenden Hauptstadtbüro des SPIEGEL begutachtete, kommt zu dem Schluss, dass die "Abdeckung aus dem gleichen Material zu sein scheint, mit dem die Dienste auch größere Anlagen abschirmen".
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
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Die US-Botschaft liegt am Pariser Platz, gleich neben dem Brandenburger Tor. Bundestag und Kanzleramt liegen um die Ecke. Ein perfekter Standort, "um die Mobilkommunikation im Berliner Regierungsviertel zu erfassen", sagte der Berliner IT-Sicherheitsexperte Andy Müller-Maguhn dem SPIEGEL.